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Meryl Streep spielt Florence Foster Jenkins
Knapp daneben ist genau richtig

Florence Foster Jenkins ist die schlechteste Sängerin aller Zeiten. Das attestiert ihr das Guinness-Buch der Rekorde. Die außergewöhnliche Geschichte der exzentrischen Sängerin hat Regisseur Stephen Frears nun mit Meryl Streep und Hugh Grant als ungleichem Ehepaar verfilmt.

Von Maja Ellmenreich |
    Die Schauspielerin Meryl Streep
    Die Schauspielerin Meryl Streep (dpa / picture alliance / Brakemeier)
    Kaum einen Ton traf sie, keine Phrase sang sie so, wie es der Komponist vorgesehen hatte. Doch Florence Foster Jenkins sang voller Inbrunst, voller Leidenschaft – und dafür liebte sie ihr Publikum. Die wohlhabende Bankierserbin, die mit ihrem Geld andere Künstler unterstützte, erlangte bereits zu Lebzeiten Kultstatus: Die New Yorker Society riss sich um Eintrittskarten für ihre skurrilen Auftritte; zu ihren prominenten Fans gehörten Musikerkollegen wie Cole Porter und Enrico Caruso. Höhe- und Endpunkt der ungewöhnlichen Karriere von Florence Foster Jenkins war ihr Auftritt in der Carnegie Hall im Oktober 1944. Nur wenige Wochen später starb sie an einem Herzinfarkt.
    Die tragikomische Lebensgeschichte der Florence Foster Jenkins scheint wie gemacht für die mediale Wiederverwertung: Gleich mehrere Theaterstücke zeugen davon; im vergangenen Jahr kam die französische Adaption "Marguerite" in die Kinos. Seit kurzem erinnert der halbdokumentarische Film "Die Florence Foster Jenkins Story" an die Sängerin, und am 24.11. folgt mit "Florence Foster Jenkins" ein Film des britischen Regisseurs Stephen Frears mit Meryl Streep und Hugh Grant in den Hauptrollen.
    Durch und durch leidenschaftlich
    Florence Foster Jenkins hat den Segen von ganz oben. Denn schon Beethoven wusste: "Eine falsche Note zu spielen ist unwichtig, aber ohne Leidenschaft zu spielen, ist unverzeihlich!" Und an Leidenschaft mangelt es Florence Foster Jenkins wahrlich nicht – Leidenschaft für die Bühne, Leidenschaft für aufwändige Kostüme, vor allem aber Leidenschaft für die Musik.
    Ihre Maxime lautet denn auch "Music is my life." So überzeugt sie von der berauschenden und heilsamen Macht der Musik auch ist, so sehr ringt sie mit Selbstzweifeln und Lampenfieber. Die große Meryl Streep spielt zwar eine Frau in ihren Siebzigern, doch gleichzeitig auch ein kleines scheues Mädchen, das mit weit aufgerissenen Augen die Welt bestaunt, dem nur ein gedankenlos dahingesagtes Wort reicht, um alles – und vor allem sich selbst – in Frage zu stellen, das aber insbesondere mit seiner Begeisterungsfähigkeit tausende andere anzustecken vermag.
    Hugh Grant als Ehemann mit Helfersyndrom und Gentleman-Noblesse
    An erster Stelle ihren Mann und Manager St. Clair Bayfield. Zwar ist er selbst als Shakespeare-Darsteller gescheitert, doch an der Seite von Florence Foster Jenkins ist er ein begnadeter Schauspieler ganz unterschiedlicher Rollen. Er bestärkt und stützt seine Frau, schirmt sie ab vor Spöttern und Kritikern, lässt nur die Wohlmeinenden zu ihr vor und besticht diejenigen, die drohen, die Wahrheit zu sagen. Aus Liebe zu seiner Frau inszeniert Bayfield unablässig eine moderne Fassung von "Des Kaisers neue Kleider".
    Hugh Grant verleiht dem treusorgenden Ehemann genau die richtige Mischung aus Helfersyndrom, britischer Gentleman-Noblesse und großer Liebe. Stets hat er als Bayfield das Wohl seiner Frau im Blick und deshalb seine Augen überall. Er kümmert sich darum – nimmermüde und akkurat gekleidet – dass kleine Katastrophen abgewendet werden und große bloß nicht zu Florence vordringen. Die Liebe zwischen den beiden ist rein platonisch, denn ihr erster Ehemann, Mr. Jenkins, hat Florence mit Syphilis infiziert. Somit unterhält Bayfield neben seinem Full-time-job an der Seite von Florence auch noch eine nächtliche Beziehung zu einer anderen Frau. Doch auch das weiß er vor Florence zu verheimlichen.
    Wir erleben Hugh Grant also mal wieder in einer ihm so gut stehenden Prince-Charming-Rolle, doch dieses Mal nicht mehr jungenhaft und unbeholfen, sondern durch und durch souverän.
    Kartoffelsalat in der Badewanne
    Für das Zarte, Zerbrechliche in der ungleichen Beziehung sorgt Meryl Streep: von der Krankheit gezeichnet, kindlich-euphorisch und liebenswert schrullig. Wie immer versteht es Streep, die Figur im besten Sinne des Wortes "zu verkörpern". Dass sie eine hervorragende Singstimme besitzt, hat sie in vielen Filmen schon unter Beweis gestellt. Dieses Mal ist ihr Können die Voraussetzung dafür, auch das Nicht-Können überzeugend darzustellen.
    Regisseur Stephen Frears und Drehbuchautor Nicholas Martin haben die filmische Erzählung der letzten Lebensmonate von Florence Foster Jenkins mit nachgewiesenen Details gespickt: Stets trug sie ihr Testament in einer Aktentasche mit sich herum; sie bewirtete ihre Gäste mit Sandwiches und Unmengen an Kartoffelsalat – so viel, dass er in der Badewanne angemacht werden musste; außerdem hatte sie ein Faible für ungewöhnliche Bühnenkostüme – mit Engelsflügeln auf dem Rücken und extravagantem Kopfschmuck.
    Es wäre ein leichtes gewesen, sich über "Lady Florence", wie sie gerne genannt wurde, einfach nur lustig zu machen. Doch der neue Film von Stephen Frears, dem bereits 2006 mit "The Queen" ein großer filmbiographischer Erfolg gelungen war, er geht der bis heute anhaltenden Faszination für die schlechteste Sängerin der Welt nach, deren wenige Aufnahmen sich noch immer verkaufen. Deshalb ist "Florence Foster Jenkins" ebenso ein Film über die bedingungslose Hingabe zur Musik wie über den Respekt jemandem gegenüber, der mit großer Ernsthaftigkeit sein Lebensziel verfolgt. Die dafür nötigen Lügen und Schummeleien sind lediglich Mittel zum Zweck.
    Komödiantisches bis an die Grenze zur Klamotte
    Die Tatsache, dass Eigen- und Fremdwahrnehmung bei Florence Foster Jenkins so weit auseinander lagen, bietet dem Film Spielraum für Komödiantisches, für Slapstick bis an die Grenze zur Klamotte.
    Darin darf sich der US-amerikanische Schauspieler Simon Helberg austoben, der dem Sitcom-Publikum als Raumfahrt-Nerd aus der Serie "The Big Bang Theory" bekannt sein dürfte. In "Florence Foster Jenkins" spielt er nun – stellvertretend für das nichtsahnende Publikum – den Pianisten Cosmé McMoon, Florences langjährigen Begleiter. Beim Bewerbungsvorspiel muss er mit aller Kraft um Fassung ringen, als ihm das musikalische Unvermögen der begüterten Sängerin klar wird. Doch auch der blässlich-schmächtige McCoy, der mit seinem Grimasse-Talent einem Woody-Allen-Film entstiegen sein könnte, er erlebt – wie so viele andere auch – eine wundersame Wandlung: Seine anfängliche Fassungslosigkeit entwickelt sich zur Bewunderung und Verehrung für die mit großer Authentizität gesegneten Florence Foster Jenkins.
    Der Film – eine wahre Ausstattungsorgie übrigens – liefert nicht auf alle Fragen Antworten: Ist Bayfield wirklich durch und durch gut? Oder geht’s ihm nicht vielleicht auch um Florences Geld? Wie lebensfern ist sie tatsächlich? Hat sie jeden Sinn für die Realität verloren?
    Um das Format einer massenkompatiblen Tragikomödie zu erfüllen, bleibt einiges offen. Stephen Frears oberstes Ziel war es wohl, Sympathie zu schaffen für den Fehler in der sonst so perfekten Kunst. Oder wie formulierte es mit Florence Foster Jenkins selbst: "Die Leute mögen sagen, ich könnte nicht singen; aber niemand kann sagen, ich hätte nicht gesungen."