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Michael Moore : Stupid White Men. Eine Abrechnung mit dem Amerika unter George W. Bush.

Mit Marcus Heumann am Mikrofon, guten Abend und willkommen. Haben wir es in der jetzigen amerikanischen Regierung mit einem notdürftig als Politiker verkleideten Lobbyistenclub der amerikanischen Öl- und Rüstungsindustrie zu tun, der sich zudem mit einer grandiosen Wahlfälschung, die einen Egon Krenz alt aussehen ließe, an die Macht geputscht hat? Das derzeit in den amerikanischen wie europäischen Bestsellerlisten ganz oben stehende Buch "Stupid White Men” des Filmemachers Michael Moore zwingt dem Leser solche und weitere unangenehme Fragen zur inneren Verfassung unseres Bündnispartners Vereinigte Staaten geradezu auf. Moore, dessen Filmdokumentation über die Schießwut seiner Landsleute "Bowling For Columbine” gerade in unseren Kinos läuft, hat das Manuskript zu diesem Buch schon vor dem 11. September 2001 abgeschlossen; gedacht war es als eine kritische Zwischenbilanz der Bush-Politik nach einem Jahr Amtszeit. Aber auch die Fakten, die Moore bis dahin über den Zustand der USA und die Taten ihrer Regierung gesammelt hatte, sind zwischenzeitlich keineswegs unaktuell geworden, im Gegenteil. Besonders der "alte Europäer” wird bei der Lektüre dieses Buches oft nicht wissen, ob er lachen oder weinen soll. Oder auch: sich fürchten. Brigitte Baetz rezensiert.

Brigitte Baetz |
    Mit Marcus Heumann am Mikrofon, guten Abend und willkommen. Haben wir es in der jetzigen amerikanischen Regierung mit einem notdürftig als Politiker verkleideten Lobbyistenclub der amerikanischen Öl- und Rüstungsindustrie zu tun, der sich zudem mit einer grandiosen Wahlfälschung, die einen Egon Krenz alt aussehen ließe, an die Macht geputscht hat? Das derzeit in den amerikanischen wie europäischen Bestsellerlisten ganz oben stehende Buch "Stupid White Men” des Filmemachers Michael Moore zwingt dem Leser solche und weitere unangenehme Fragen zur inneren Verfassung unseres Bündnispartners Vereinigte Staaten geradezu auf. Moore, dessen Filmdokumentation über die Schießwut seiner Landsleute "Bowling For Columbine” gerade in unseren Kinos läuft, hat das Manuskript zu diesem Buch schon vor dem 11. September 2001 abgeschlossen; gedacht war es als eine kritische Zwischenbilanz der Bush-Politik nach einem Jahr Amtszeit. Aber auch die Fakten, die Moore bis dahin über den Zustand der USA und die Taten ihrer Regierung gesammelt hatte, sind zwischenzeitlich keineswegs unaktuell geworden, im Gegenteil. Besonders der "alte Europäer” wird bei der Lektüre dieses Buches oft nicht wissen, ob er lachen oder weinen soll. Oder auch: sich fürchten. Brigitte Baetz rezensiert.

    Am 13. Dezember 2000 entschied der Oberste Gerichtshof der Vereinigten Staaten, dass die Nachzählungen zur Präsidentschaftswahl zwischen Al Gore und George W. Bush zu stoppen seien. Der Texaner wurde aufgrund dieser strittigen Entscheidung eines republikanisch dominierten Gerichts mit nur wenigen hundert gezählten Stimmen Mehrheit zum 43. Präsidenten der Vereinigten Staaten.

    I was not elected to serve one party but to serve one nation. The president of the United States is the president of any single American, of every race and every background.

    George W. Bush der Präsident aller Amerikaner? Nein, nicht aller:

    Oh JesusMariaundJosef, ich halte es nicht mehr aus! Reich mir doch mal jemand die Fernbedienung! Ich muss wieder auf das Märchen umschalten, dass ich ein Bürger in einer Demokratie mit dem unveräußerlichen Recht auf Leben, Freiheit und dem Streben nach Icecream bin. Als Kind erzählte man mir, dass ich wichtig bin, dass ich jedem meiner Mitbürger ebenbürtig bin - und dass kein einziger von uns ungleich oder ungerecht behandelt werden und dass man Macht über andere nur mit deren Zustimmung ausüben darf. Der Wille des Volkes. Noch immer singen wir: "God bless America" und "The Star Spangled Banner". America the Beautiful, Land, that I love. Twilight´s ...last...gleaming. Oh say, can you see - sind die belgischen Blauhelme schon unterwegs? Beeilt Euch!

    Michael Moore ist Patriot. Aber keiner von der Sorte, die sich ihr Land schöner malen, als es ist, sondern einer von der Sorte, die leidet, weil das Land nicht so schön ist, wie sie es sich wünschen würde. Gründe dafür hat Moore genug. Angefangen mit der Wahl zum Präsidentenamt, die er ausführlich und mit viel Faktenkenntnis als abgekartetes Spiel zugunsten von George W. Bush skizziert, bis zur Gesetzgebung, die die Rechte der Reichen schützt und die der Armen immer mehr beschneidet. Moores Fazit:

    Früher warteten Politiker, bis sie im Amt waren, bevor sie zu Gaunern wurden. Diesen Gauner jedoch bekamen wir fix und fertig geliefert. Jetzt ist er ein unbefugter Eindringling in einem Regierungsgebäude, ein Hausbesetzer im Oval Office. Wenn ich Ihnen sagen würde, ich würde über Guatemala berichten, würden Sie mir unabhängig von Ihrer politischen Ausrichtung sofort glauben. Aber weil dieser Staatsstreich in die amerikanische Flagge gewandet war und in den Farben rot, weiß und blau daherkam, glaubten die Verantwortlichen, sie kämen damit durch.

    Die USA als Bananenrepublik, regiert von einer Clique älterer Geschäftsleute, die schon unter George Bush senior darauf achtete, dass nur nicht zuviel soziale Gerechtigkeit, Waffenkontrolle oder Umweltschutz im Land der unbegrenzten Möglichkeiten Einzug halten konnte? Auch wer ein solches Urteil auf den ersten Blick übertrieben und einseitig findet, der sollte zumindest die Fakten studieren, die Michael Moore akribisch zusammen getragen hat. Denn der Dokumentarfilmer ist nicht nur ein begnadeter Polemiker und witziger Quertreiber, sondern auch ein Überzeugungstäter mit dem Willen zur Aufklärung. Dabei geht es Moore aber nicht nur, wie der Untertitel der deutschen Ausgabe suggeriert, um "eine Abrechnung mit dem Amerika unter George W. Bush". Es geht ihm vielmehr um eine Abrechnung mit den sozialen und politischen Zuständen im mächtigsten Land der Erde, deren Niveau sich immer mehr dem ihrer zentral- und südamerikanischen Nachbarn annähert:

    163 Schulen in New York City haben das Schuljahr 2000/2001 ohne einen Rektor begonnen! Sie haben richtig gelesen - eine Schule ohne einen Menschen, der die Verantwortung trägt. Scheinbar experimentieren der Bürgermeister und die Schulbehörde mit der Chaostheorie - man stecke 500 Kinder in ein baufälliges Gebäude und sehe zu, wie die Dinge sich naturgemäß entwickeln! In der Stadt, von der aus weltweit der größte Reichtum gesteuert wird und in der mehr Millionäre pro Quadratmeter leben als Kaugummis auf dem Gehsteig kleben, haben wir aus unerfindlichen Gründen nicht genügend Geld, einem frischgebackenen Lehrer mehr als 31.900 Dollar jährlich zu zahlen. Und dann wundern wir uns, wenn niemand diesen Job will. (...) An rund 10 Prozent der staatlichen Schulen (in den USA) sind so viele Schüler gemeldet, dass die Aufnahmekapazität ihrer Räumlichkeiten um mehr als 25 Prozent überschritten wird. Der Unterricht muss im Flur, im Freien, in der Turnhalle oder in der Cafeteria abgehalten werden. (...) In New York haben fast 15 Prozent der 1.100 staatlichen Schulen keinen fest angestellten Hausmeister, so dass Lehrer ihre Fußböden selbst wischen und Schüler ohne Klopapier auskommen müssen.

    Kriminalisierung der Armen und Schwachen, Steuerbefreiung für die Reichen, Niedergang des Bildungssystems, Austauschbarkeit der politischen Parteien. Mit jeder Seite von Moores Buch wächst das Unbehagen des Lesers an den Zuständen in den USA - vielleicht auch deshalb, weil manche Tendenzen durchaus auch in Deutschland zu erkennen sind. Doch Michael Moore genügt es nicht, die Missstände aufzuzeigen, er will die Leser zum Handeln motivieren. Seine Waffe ist dabei sein Humor. Er gibt Handlungsanweisungen zum zivilen Ungehorsam, schreibt an George W. Bush und betet, der liebe Gott möge den Reichen und Mächtigen möglichst viele Schicksalsschläge verpassen, weil sie nur dazulernen könnten, wenn sie auch einmal Opfer seien. In bester amerikanischer Tradition setzt er auf die Fähigkeit jedes Einzelnen, Sand im Getriebe zu werden, und bleibt stets optimistisch, dass sich die Verhältnisse unter dem Druck der Staatsbürger einfach zum Besseren wenden müssen. Dabei ist er durchaus nüchtern genug, um festzustellen, dass auch die Partei der Demokraten kaum eine politische Alternative zur Regierung Bush darstellt.

    Besteht denn überhaupt noch ein Unterschied zwischen Demokraten und Republikanern? Gewiß. Die Demokraten sagen das eine ("Rettet den Planeten") und tun das andere - hinter den Kulissen halten sie heimlich zu jenen Schurken, die aus dieser Welt einen immer dreckigeren und schäbigeren Aufenthaltsort machen. Die Republikaner jedoch geben den Schurken gleich ein wichtiges Amt im Westflügel des Weißen Hauses. Das ist ein Unterschied. Man könnte natürlich einwerfen, dass es verwerflicher ist, jemandem zu sagen, man werde ihn schützen, und ihn dann auszurauben, als ihn einfach gleich auszunehmen. Dem Bösen, das sich offen zeigt und nicht im Schafspelz des Liberalen daherkommt, kann man viel leichter entgegentreten. Was ist Ihnen lieber, eine Küchenschabe, die vor Ihren Augen über den Boden krabbelt, oder ein Haus voller unsichtbarer Termiten, die in den Wänden stecken? Die Schabe kann zwar Krankheiten übertragen, aber zumindest wissen Sie, dass sie da ist, und können etwas dagegen tun. Bei den Termiten glauben Sie dagegen die ganze Zeit, Sie hätten ein wunderbares Heim - bis eines Tages alles einstürzt und Sie in einem Haufen Sägemehl aufwachen, zu dem die Termiten ihr Sweet Home verarbeitet haben. Bill Clinton unterzeichnete in den letzten Tagen seiner Präsidentschaft eine ganze Reihe von Direktiven und Bestimmungen, von denen viele versprachen, unsere Umwelt besser zu schützen und sicherere Arbeitsbedingungen zu schaffen. Das war ein sehr zynischer Akt. Die letzten 48 Stunden der Amtszeit abzuwarten, um das Richtige zu tun, damit alle im nachhinein dachten: Das war aber ein guter Präsident. Dabei wusste Clinton genau, dass diese Last-Minute-Verordnungen unter der neuen Regierung sofort wieder aufgehoben würden. Er wusste, dass keine einzige dieser Verordnungen Bestand haben würde. Es ging nur um sein Image.

    Moores Held ist dagegen der Verbraucheranwalt Ralph Nader, der im Rennen um die Präsidentschaft zwischen Al Gore und George W. Bush keine Chance hatte und der von den Demokraten dafür beschimpft wurde, ihrem Kandidaten wichtige Stimmen weggenommen zu haben. Ein Argument, das für Moore nicht zieht, denn, so seine Meinung: Wer immer nur das vermeintlich kleinere Übel wählt, ist selber schuld, wenn sich an den Verhältnissen nichts ändert. Folgerichtig ist deshalb, dass der USA, der "Nation der Dummköpfe", wie Michael Moore sie nennt, nun ein bekennender Nichtleser vorsteht. Einer, der Journalisten zu Beginn seiner Amtszeit schon mal auf Pressekonferenzen zur Antwort gab, er würde sie später noch mal anrufen.

    "I´m looking forward to talk to the prime minister about the importance of NATO, ehm..., anyway, I promise to call you tomorrow.

    Inzwischen lacht allerdings niemand mehr über George W. Bushs verbale Ungeschicklichkeiten. Denn seit dem 11. September 2001 ist die Kritik am amerikanischen Amtsinhaber sehr leise geworden, das Land scheint geeint durch eine Woge des Patriotismus. Trotzdem gelang Michael Moore mit seinem Buch, das vor diesem Datum abgeschlossen wurde, in den USA ein Überraschungserfolg. Mehr als eine halbe Million Exemplare wurden verkauft, seit 38 Wochen steht es auf der Bestsellerliste der New York Times. Ein amerikakritisches Buch, geschrieben von einem Amerikaner, der im eigenen Land damit auch noch Erfolg hat – in Michael Moores Sinne ein Beweis dafür, das die Demokratie in den USA doch noch funktioniert.

    Brigitte Baetz über Michael Moore: "Stupid White Men. Eine Abrechnung mit dem Amerika unter George W. Bush". Erschienen im Piper Verlag München, 329 Seiten zum Preis von 12 Euro.