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Mikrobiologie
Mensch ist gar nicht nur Mensch

Der Mensch ist keine klar abzugrenzende biologische Einheit, sondern ein komplexes System aus Zellen und Mikroorganismen. Letztere können sogar das menschliche Handeln beeinflussen. Wissenschaftler stellen nun die scharfe Trennung von Natur und Mensch infrage - und fordern zur Suche nach einem neuen Menschenbild auf.

Von Tomma Schröder |
    Anatomiemodelle aus der Anatomischen Sammlung der Ludwig-Maximilians-Universität in München
    Wir sind viele - denn der menschliche Körper wird von vielen bewohnt und gesteuert (imago / Reinhard Kurzendörfer)
    Der Mensch ist gar nicht nur Mensch. Sondern irgendwie viel mehr, sagt die moderne Biologie. Ein Holobiont nämlich. Also ein Wesen, das eigentlich aus sehr vielen Wesen besteht, die in wechselseitiger Abhängigkeit voneinander leben. Man könnte auch sagen: ein Ökosystem. Thomas Bosch, Mikrobiologe an der Universität Kiel:
    "Die moderne Biotechnologie und Mikrobiologie hat gezeigt, dass alle Organismen mit mindestens so vielen Bakterienzellen besiedelt sind, wie sie eigene Zellen haben. Manche Kollegen sprechen sogar davon, dass wir zehn Mal mehr Bakterienzellen im Körper haben. Und ich halte es für unglaublich wichtig, dass wir realisieren, dass wir viele sind. "
    Denn die Organismen und ihre Gene sind nicht nur einfache Gäste in unserem Körper: Sie sind ein Teil von uns und beeinflussen nicht nur, ob wir krank oder gesund sind, sondern haben auch Zugriff auf unsere Schaltzentrale: das Gehirn.
    Ferngesteuert von Mikroben
    "Mikroben reden direkt mit unseren Nervenzellen. Sie sezernieren kleine Stoffwechselprodukte, die auf Oberflächenantennen von Nervenzellen gehen, und dann sind die Nervenzellen aktiviert, und dann geben sie ein Signal weiter. Das wird dann über einen Nervenstrang ans Gehirn gegeben und dann verhalten wir uns entsprechend", sagt Thomas Bosch – und stellt mit diesem einen Satz wohl das Selbstverständnis vieler Menschen infrage: Wer redet da mit wem?
    Mikroben können unser Verhalten mitbestimmen? Tatsächlich können Biologen nicht mehr genau entscheiden: Wo hört der Mensch auf, wo fangen die Mikroben an? Das zeigt sich besonders plakativ, wenn etwa Mäuse mutiger werden, nachdem ihnen ein Milchsäurebakterium verabreicht wurde. Es gilt aber genauso für das Immunsystem, das nach bisherigem Verständnis eben die Aufgabe hat zwischen "Selbst" und "fremd" zu unterscheiden und so Krankheitskeime zu bekämpfen.
    "Die Mikrobiologie hat festgestellt, dass manche Bakterien Teil des Immunsystems sind. Die nehmen richtig teil am Erkennen von Pathogenen und sind voll integriert in das Signalsystem vom Immunsystem. Und das war mehr als merkwürdig. Das würde bedeuten, dass das Nicht-Selbst teil vom Selbst ist."
    Tobias Rees, Neurowissenschaftler und Anthropologe am Berggruen Insitute in Los Angeles, ist sich daher sicher: Der Mensch ist keine klar abzugrenzende biologische Einheit. Er ist ein komplexes System sehr vieler, sehr unterschiedlicher Organismen. Gleichzeitig ist der Mensch aber vielleicht auch weniger als er dachte.
    "Der Kulturbegriff wurde erfunden von Herder und Kant. Und die Annahme war sprichwörtlich, dass wir qualitativ anders sind als nur Natur, oder nur Tiere. Und dieses 'mehr als Natur' verlangt, dass es eine eigene Menschenwissenschaft gibt oder Kulturwissenschaft."
    Auf der Suche nach einem neuen Menschenbild
    Doch die neuen Erkenntnisse aus der Mikrobiologie lassen eine scharfe Trennung von Natur und Mensch nicht mehr zu. Daher, so schrieben Tobias Rees und Thomas Bosch im Fachmagazin "PLOS Biology", sei es auch an der Zeit, die starren Grenzen zwischen den Geistes- und Naturwissenschaften einzureißen und gemeinsam an einem neuen Menschenbild zu forschen. Thomas Metzinger leuchtet diese Auflösung der Fakultätsgrenzen noch nicht ganz ein. Aber der Mainzer Philosoph, der selbst viel interdisziplinäre Forschung betreibt, ist überzeugt davon, dass die Forschung zum Mikrobiom unser Menschenbild und auch die Geisteswissenschaften stark verändern könnte.
    "Für viele Philosophen ist das ganz sicher etwas Neues, vor allem, dass wir konvolvierte Lebewesen sind, also wir sind mehrfach geschachtelt in uns selbst. Dadurch wird klar, dass die klassische Vorstellung eines Selbst gar keinen Platz mehr hat in der modernen Wissenschaft. Die interessantere Frage ist natürlich, ob die Idee eines einzelnen und scharf abgegrenzten Lebewesens, des biologischen Organismus, ob die auch keine Zukunft hat, weil sich alles auflöst in einem Verständnis von uns selbst als eines Prozesses. Das heißt, so weit ich sie verstehe, ist diese moderne Forschung zum Mikrobiom sehr interessant, weil sie uns einfach zwingt, Begriffssysteme anzupassen und neu zu überdenken."