"Wir sollten nicht zuerst auf die Idee kommen, die Steuern zu senken, sondern dafür sorgen, dass das Land zukunftsfest ist", sagte Dedy. Das Steuergeld sollte verwendet werden, um die öffentliche Infrastruktur in Schuss zu halten. Allein bei den Schulen gebe es einen Investitionsstau von über 30 Milliarden Euro, ebenso im kommunalen Verkehr, sagte Dedy und bezog sich auf Zahlen der Kfw-Bank.
Zugleich führte er die Kosten für die Integration von Flüchtlingen an. Der Bund habe zwar eine große Summe von sechs Milliarden über drei Jahre bereitgestellt. Dennoch müsse man erst mal schauen, wie sich die Kosten entwickelten.
Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) hatte Forderungen nach sofortigen Steuersenkungen bereits abgelehnt. Er will den Überschuss von 6,2 Milliarden Euro zum Schuldenabbau nutzen.
Das Interview in voller Länge:
Martin Zagatta: Sechs Milliarden Euro beträgt der Haushaltsüberschuss, sogar ein kleines Bisschen mehr, der Haushaltsüberschuss aus dem vergangenen Jahr. Eigentlich eine gute Nachricht, die aber umgehend für den üblichen Zwist sorgt. Ganz grob gesagt, setzt der SPD-Chef Gabriel, so hat er uns das gesagt im Interview der Woche, jetzt auf Investitionen, während Finanzminister Schäuble einen großen Teil des Geldes für den Schuldenabbau nutzen will und zumindest kleinere Steuersenkungen in Aussicht stellt. Von den Rekordeinnahmen profitieren auch die Länder und die Kommunen. Helmut Dedy ist der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städtetages und jetzt am Telefon. Guten Morgen, Herr Dedy!
Helmut Dedy: Schönen guten Morgen, Herr Zagatta!
Zagatta: Herr Dedy, die öffentlichen Kassen, die klingeln – wem gehört denn jetzt das zusätzliche Geld?
Dedy: Das zusätzliche Geld gehört erst mal allen drei Ebenen, dem Bund, den Ländern, den Gemeinden, und damit letztlich den Bürgerinnen und Bürgern.
Es spricht nicht viel für Steuersenkungen
Zagatta: Ist da ein Spielraum für Entlastungen? Aus Sicht der Bürger wird das ja natürlich im Vordergrund stehen.
Dedy: Es kommt so ein bisschen darauf an, von welcher Idee man sich leiten lässt. Wenn man die Idee nimmt, der ich anhängen würde, dass man das Land zukunftsfähig halten will oder zukunftsfähig machen will, dann glaube ich, dass nicht viel für Steuersenkungen spricht, dass aber etwas spricht für Schuldentilgung und sicherlich auch für Investitionen.
Zagatta: Aber die Steuer- und die Abgabenquote, das haben wir auch in dieser Woche gehört, die ist ja so hoch wie noch nie. Kann das denn so weitergehen, dass den Bürgern immer mehr abgeknöpft wird?
Dedy: Es wird den Bürgern ja nicht abgeknöpft, sondern das Geld wird verwendet dafür, dass wir die öffentliche Infrastruktur in Schuss halten, auf Deutsch. Das ist die Idee, die hinter der ganzen Veranstaltung steht. Wir wollen dafür sorgen, dass Deutschland, dass die Länder, dass die Gemeinden lebenswert bleiben, und deshalb glaube ich, dass wir nicht zuerst auf die Idee kommen sollten, Steuern zu senken, sondern dass wir erst mal auf die Idee kommen sollten, dafür zu sorgen, dass das Land zukunftsfest ist. Das heißt, wir müssen die Schuldenlast, die unsere Kinder und unsere Enkel erben werden, die müssen wir reduzieren. Und wir müssen dafür sorgen, dass Investitionen dort stattfinden, wo wir sie brauchen. Und wenn ich mal eine Zahl nennen darf: Die KfW, also die Förderbank des Bundes, sagt, es gibt kommunalen Investitionsbedarf bei Schulen von über 30 Milliarden Euro, im kommunalen Verkehr von über 30 Milliarden Euro. Und wir haben in den vergangenen Jahren sehr intensiv über Investitionen gesprochen, und wir haben immer wieder darüber gesprochen, dass wir dieses Land, dass wir die Infrastruktur verbessern müssen. Marode Straßen, Schulen, die nicht ansehnlich sind – Sie kennen das alles. Und jetzt ist das Geld da, es steht zur Verfügung, und von daher glaube ich, dass man diese Investitionsdebatte nicht einfach vergessen darf, sondern dass man der auch Rechnung tragen muss.
Sozialausgaben als Problem
Zagatta: Jetzt sagt aber zum Beispiel der Verband der Familienunternehmer, die Kommunen sind maßgeblich mit Schuld an der hohen Steuerquote, beispielsweise auch mit der Gewerbesteuer. Ist da nichts dran?
Dedy: Die Gemeinden haben tatsächlich ein Problem, und das Problem heißt Sozialausgaben. Wir haben auch vom letzten auf dieses Jahr wieder einen Anstieg der kommunalen Sozialausgaben um zehn Prozent. Das sind Ausgaben, die wir aber nicht selbst bestimmen können, sondern diese Sozialausgaben bestimmt der Bund durch seine Sozialgesetzgebung, bestimmen in Teilen auch die Länder mit. Also, es stimmt, wir haben ein Ausgabenproblem auf der kommunalen Seite, dem müssen wir Rechnung tragen. Wir brauchen das Geld auf der Einnahmenseite. Aber das ist nicht so, dass da die großen Spielräume entstehen.
Zagatta: Welche Rolle spielen da die Ausgaben für Flüchtlinge? Das wird ja immer wieder ins Gespräch gebracht.
Dedy: Wir stehen im Moment vor der großen Aufgabe der Integration. Wir haben ja 2015, 2016 so die Erstaufnahme bewältigt. Ich finde, vonseiten der Städte und Dörfer auch sehr gut bewältigt. Und jetzt stehen wir vor der Aufgabe der Integration. Da hat der Bund den Ländern eine größere Anzahl von Geld bereits gegeben, also eine größere Summe. Das sind sechs Milliarden, die da fließen über drei Jahre. Und diese Aufgabe wird uns weiter beschäftigen, und auch wegen dieser Aufgabe würde ich dafür plädieren, erst mal zu schauen, wie sich denn die weitere Entwicklung darstellt, und jetzt nicht gleich nach Entlastung zu rufen.
Gesellschaftlichen Zusammenhalt fördern
Zagatta: Sie haben da großes Verständnis, höre ich so durch, für Bundesfinanzminister Schäuble?
Dedy: Ich habe Verständnis für den Gedanken der Schuldentilgung. Ich habe aber auch großes Verständnis für den Gedanken der Investition. Und ich glaube, dass die Investitionen noch einen schönen Nebenaspekt haben: Sie fördern nämlich auch den Gedanken des gesellschaftlichen Zusammenhalts. Wenn die Schule, in die unsere Kinder gehen, auf einmal wieder ansehnlich ist. Wenn es mehr helle Plätze gibt, über die ich nicht hinweghuschen muss, sondern wo ich aufrecht hergehen kann, mich sicher fühle. Wenn ich mit dem Rollstuhl fahre und die Rolltreppe an der U-Bahn funktioniert, das sind doch alles Werte, die die Stadt lebenswert halten. Von daher glaube ich, dass Investitionen ein guter Weg wären. Und vielleicht kann man sich auf beide Wege ein klein wenig verständigen und sagen, ja, wir nehmen etwas zur Schuldentilgung, weil wir wissen, dass die Schulden mal von anderen beglichen werden müssen. Aber wir nehmen auch etwas, um die Investitionskraft der Kommunen zu stärken.
Zagatta: Wenn Sie sagen, sozialer Zusammenhalt, dass das so wichtig ist, wie erleben Sie es dann oder wie schätzen Sie das ein mit Ihren Erfahrungen – das Geld, das wir für Flüchtlinge ausgeben, sorgt das nach wie vor für Ärger, das ist ja oft die ganz große Diskussion, oder haben die Menschen in ihrer Mehrheit da großes Verständnis dafür?
Dedy: Also wir erleben beides. Wir erleben das Verständnis, wir erleben sehr viel ehrenamtliches Engagement, was damit natürlich auch korrespondiert, wir versuchen natürlich auch, diese Konkurrenzen zu vermeiden, also nicht zu sagen, du, wir haben in dieser Stadt das Geld ausschließlich für Flüchtlinge, oder wir haben es ausschließlich für dieses Thema, sondern wir versuchen, den Gedanken des sozialen Zusammenhalts dadurch Rechnung zu tragen, dass wir die Interessenlage insgesamt abbilden. Wir gucken, was braucht die Stadt, was braucht sie im investiven Bereich, was braucht sie im sozialen Bereich, was braucht sie auch bei der Integration von Flüchtlingen. Und wenn man das ganze Spektrum sich anschaut, dann glaube ich, dass es gelingen kann, die Menschen in den Städten auch mitzunehmen für den Gedanken der Integration.
Es gibt immer Mangel
Zagatta: Aber gehört da zur Wahrheit auch, dass das Geld, das für Flüchtlinge ausgegeben wird, das viele Geld, auch wenn man das vielleicht begrüßt und für richtig hält, dass es an anderer Stelle doch irgendwo fehlt?
Dedy: Es gibt immer Mangel, egal, in welcher Einnahmesituation wir sind. Mangelsituationen gibt es immer. Das heißt, Geld, das wir für eine Aufgabe brauchen, fehlt immer irgendwo anders. Und dann kommt es darauf an, dass man das vernünftige Maß findet und dass man austariert, was kann ich hierfür ausgeben, was kann ich dafür ausgeben. Und da glaube ich, dass unsere Städte da auf einem ganz guten Weg sind.
Zagatta: Sind auf einem guten Weg. Haben Sie überhaupt keine Sorgen. Oder macht Ihnen überhaupt irgendwas Sorgen in dieser Situation?
Dedy: Ja, Sorgen macht mir zum einen, wenn ich noch mal ans Geld denken darf, die Entwicklung der Sozialausgaben. Da haben wir ein Problem, da sehe ich auch bisher keine Lösung.
Zagatta: Muss da gegengesteuert werden politisch?
Dedy: Da muss gegengesteuert werden, ja. Wir haben die Situation, dass der Bund jetzt zum Beispiel das Bundesteilhabegesetz neu beschlossen hat. Das wird Mehrausgaben mit sich bringen. Darüber wird man reden müssen. Da ist jetzt verabredet, wir schauen uns das in zwei Jahren mal an und gucken dann, ob wir da noch mal gegensteuern können. Also da muss was passieren. Und was mir dann natürlich auch Sorgen macht, ist so der Hang zu den einfachen Lösungen. Ich finde schon, man muss ein bisschen länger nachdenken und überlegen, was erforderlich ist, um den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu erhalten. Und man darf sich nicht schnell auf die schnelle Lösung und auf die vermeintlich einfache Lösung konzentrieren.
Zagatta: Was heißt das konkret?
Dedy: Das heißt konkret, dass wir in den Städten intensiv darüber nachdenken, die Menschen mitzunehmen. Wenn Sie eine Flüchtlingseinrichtung zum Beispiel bauen, dann brauchen Sie einen langen Beteiligungsprozess vorher. Wenn Sie eine Flüchtlings- – wenn Sie Gelder aufwenden müssen, um Flüchtlinge zum Beispiel zu integrieren oder Gelder aufwenden wollen, weil sie Flüchtlingskinder in die Kita bringen wollen, dann müssen sie dazu die Geschichte erzählen. Das heißt, das ist in großen Teilen eine kommunikative Aufgabe vor Ort, die dann bei den Stadtspitzen liegt und wo sie erklären müssen, warum tun wir das jetzt, und warum tun wir das mit Zukunftsperspektive. Also, wir wollen, dass auch die Kinder von Flüchtlingen, die bei uns bleiben werden, dass die Deutsch können. Wir wollen, dass die eine vernünftige Schulausbildung haben. Wir wollen, dass die einen vernünftigen Abschluss machen und dass die dann irgendwann auch mal natürlich dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen. Wenn Sie diese Geschichten erzählen in den Städten, und das tun viele, dann bin ich eigentlich ganz guter Hoffnung.
Zagatta: Sagt Helmut Dedy, der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städtetages. Herr Dedy, ganz herzlichen Dank für das Gespräch!
Dedy: Ich danke Ihnen!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.