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Milliardenüberschuss im Bundeshaushalt
"Vorfahrt für Investitionen"

SPD-Fraktionsvize Carsten Schneiders warnt davor, das Haushaltsplus des Bundes von 6,2 Milliarden Euro allein für den Schuldenabbau zu verwenden. Stattdessen sollte es mehr Investitionen geben, vor allem in die Infrastruktur, sagte er im DLF. Hier sei das Geld besser angelegt als bei der Tilgung eines "relativ geringen Betrags".

Carsten Schneider im Gespräch mit Doris Simon |
    Der SPD-Bundestagsabgeordnete Carsten Schneider
    Carsten Schneider ist stellvertretender Fraktionsvorsitzender der SPD im Bundestag (Imago/ Christian Schroth)
    Einen Schuldenabbau schließe er "nicht gänzlich aus", so Carsten Schneider. Seine Partei sei in der Frage offen. Allerdings gelte: "Vorfahrt für Investitionen". Er bedauere es sehr, dass es dem "Verkehrsminister nicht gelungen ist, alle Mittel dort zu binden". Es gebe einen enormen Nachholbedarf vor allem in der öffentlichen Infrastruktur, sagte Schneiders weiter. Dazu gehöre der Straßenbau, aber auch der Bildungsbereich, vor allem Schulen. "Auch der Breitbandausbau ist absolut wichtig."
    Zugleich warnte Schneider davor, das Geld für Steuersenkungen zu verwenden. "Wir haben es hier mit einmaligen Maßnahmen zu tun, einmaligen Überschüssen", deshalb sollte das Geld auch nicht "für dauerhafte Ausgaben oder Mindereinnahmen" genutzt werden. "Da neige ich auch eher zur Vorsicht", betonte Schneider.
    Er sprach sich für eine Änderung der gesetzlichen Vorgaben aus, damit der Überschuss nicht komplett in die Rücklage fließe. Dies sei "eine wichtige politische Weichenstellung". Er sei sicher, so der SPD-Politiker, dass es in dieser Frage zu einer Einigung in der großen Koalition kommen werde.

    Das Interview in voller Länge:
    Doris Simon: Mitgehört hat SPD-Fraktionsvize Carsten Schneider, zuständig für Haushalt und Finanzen. Guten Tag, Herr Schneider.
    Carsten Schneider: Hallo, Frau Simon.
    Simon: Der Bundesfinanzminister will mit dem Haushaltsüberschuss des Bundes Schulden abbauen. Die CSU verlangt Steuererleichterungen. Ist es vernünftig, derzeit nicht alles in die ohnehin schon gut gefüllte Schatulle für die Integration von Flüchtlingen zu stecken?
    Schneider: Zunächst einmal freue ich mich, dass wir so gut gewirtschaftet haben. Das ist ein Verdienst in Deutschland insbesondere der Binnennachfrage. Wir haben kaum aus den Exporten heraus Impulse gehabt, sondern von innen heraus: Gute Lohnabschlüsse und auch die öffentlichen Investitionen, die wir getätigt haben, haben dazu beigetragen. Jetzt gilt es zu überlegen, wie wir mit diesen sechs Milliarden Euro umgehen. Sie haben es richtig gesagt: Sie gehen eigentlich in die Rücklage. Einen Teil davon lösen wir im Jahr 2017 auf, dann würde die sinken auf sechs Milliarden und man könnte sie nutzen, um dort Vorsorge zu haben.
    Ich persönlich und die SPD ist aber dafür, dass wir die Investitionen in Deutschland stärken. Dort haben wir einen extremen Nachholbedarf. Wir haben fast 130 Milliarden Euro Substanzverzehr jedes Jahr, was wir an die KfW zahlen, wo wir Investitionen brauchen. Ich bedauere sehr, dass das im letzten Jahr auch unserem Verkehrsminister nicht gelungen ist, alle Mittel dort zu binden. Diese Vorfahrt für Investitionen - das ist auch das, wie wir jetzt in die Verhandlungen reingehen werden.
    Simon: Die Union möchte ja, ich sagte es eingangs, Schulden abbauen oder Steuererleichterungen. Macht das nicht auch Sinn, angesichts der guten Konjunktur den Bürgern was zurückzugeben?
    Schneider: Na ja. Die Frage ist ja, angesichts der sehr guten Konjunkturlage, wie stabilisiert man das auch. Herr Schäuble hat ja auch darauf hingewiesen, dass Steuersenkungen dauerhaft sind, und wir haben es hier mit einmaligen Maßnahmen zu tun, einmaligen Überschüssen. In diesem Jahr 2017 gehen wir auch davon aus, dass das Wachstum runtergeht auf 1,4 Prozent. Wir hatten jetzt 1,9 in 2016. Das sind Unsicherheitsfaktoren, wie auch immer noch die außenpolitische Lage, etwa die gestrige Pressekonferenz von Trump, wo man nicht genau weiß, wo steuern die Amerikaner hin, die ja wichtig für unseren Export sind.
    Da neige ich auch eher zur Vorsicht und würde das nicht für dauerhafte Ausgaben oder Mindereinnahmen verbuchen, sondern dann wirklich das, was europäisch geboten ist, nämlich dass wir in Deutschland mehr investieren, das auch zu nutzen, um die öffentliche Infrastruktur voranzubringen. Das ist die Bildungsinfrastruktur, aber auch Straßen etc, weil das hilft, dauerhaft den öffentlichen Kapitalstock zu erhalten. Es geht nicht mal darum, den besser zu machen, sondern das, was wir an Desinvestitionen haben, was wir minderinvestieren gegenüber den Abschreibungen, ist deutlich höher und das ist auch generationsungerecht, denn damit verschieben Sie Lasten für zukünftige Investitionen in die Zukunft und ich würde das gerne heute machen. Das hat auch einen Konjunkturimpuls und so gehen wir auch in die Verhandlungen rein.
    "Der Großteil des öffentlichen Investitionsbedarfs ist bei den Kommunen"
    Simon: Herr Schneider, auf das Stichwort Zukunft kommen wir gleich noch. Sie sprechen die Investitionen an. Aber wir haben ja gerade von unserem Korrespondenten gehört, dass es ein praktisches Problem gibt, nämlich dass überhaupt gar nicht alles Geld ausgegeben werden kann, was da ist. Was macht es dann für einen Sinn, noch mehr Geld für Investitionen bereitzustellen?
    Schneider: Erstens, ich bedauere das. Das Haupt-Investitionsressort ist das Verkehrsministerium von Herrn Dobrindt. Wir haben als Bundestag sehr viel zur Verfügung gestellt. Auch der Breitbandausbau ist absolut wichtig. Die fünf Millionen, die da ausgegeben wurden, sind lächerlich angesichts dessen, was in der Digitalisierung abgeht, und da muss er seine Hausaufgaben machen und das zügig umsetzen.
    Das zweite ist: Der Großteil des öffentlichen Investitionsbedarfs, den es gibt, der ist bei den Kommunen. Das sind die Schulen, das sind auch kommunale Gebäude, Turnhallen etc., und dort gibt es einen enormen Investitionsbedarf. Und alles, was dort an Bürokratie entgegensteht, was den Abfluss behindert hat, das muss weg und da muss die Regierung sich hinsetzen mit den Ländern, wie das zügig umgesetzt werden kann. Ich bin mir sicher, das geht in Deutschland.
    Simon: Das muss dann aber auch in den Ländern weg?
    Schneider: Ja, klar. Deswegen habe ich ja auch gesagt, die sind dort auch gefordert, und ich meine, dass das besser investiert ist. Das sind kleine Aufträge für Handwerker. Ich kenne die Schulen in meinem Wahlkreis, in Erfurt und Weimar sehr genau. Da gibt es noch enormen Bedarf. Und ich würde das vor allen Dingen dort einsetzen und dort zur Verfügung stellen. Deswegen haben wir auch als SPD ja durchgesetzt, dass das Grundgesetz geändert wird und wir für Bildungsinfrastruktur Geld ausgeben dürfen als Bund. Das durften wir bisher nicht und das wollen wir auch nutzen.
    Simon: Für Sie ist das Zukunft. Für viele ist aber ein Schuldenabbau auch Zukunft, nämlich der belastet die kommenden Generationen. Deswegen sagt der Bundesfinanzminister, jetzt mit dem Geld Schulden abbauen. Hat er nicht einen Punkt?
    Schneider: Ich schließe das auch nicht gänzlich aus. Ich sage nur, Vorfahrt für Investitionen. Alles was wir dort machen können, sollten wir investieren. Das heißt nicht, dass wir gar keine Schulden abbauen.
    "Der Hauptpunkt sollten die Investitionen sein"
    Simon: Das heißt, Sie könnten sich vorstellen, dass das, was jetzt an Überschuss da ist, teilweise in Schuldenabbau läuft, teilweise in Investitionen?
    Schneider: Ich sage mal, wir sind da offen. Aber der Hauptpunkt sollten die Investitionen sein, das was wirklich umsetzbar ist. Es bringt ja auch nichts, Geld rauszuschmeißen ohne Sinn und Verstand. Aber gerade bei den kleinteiligen Investitionen geht das und das muss dann auch gemacht werden. Ich glaube, dass das besser angelegtes Geld ist, als einmalig einen relativ geringen Betrag zu tilgen. Das hat angesichts der Staatsschuld, die wir haben, keine Bedeutung. Und wir haben ja eine sinkende Schuldenstandsquote, denn unser Wirtschaftswachstum steigt und wir nehmen keine neuen Schulden auf. Wir haben die Null im Haushalt und damit sinkt die Staatsschuldenquote auf unter 60 Prozent im Jahre 2020. Das ist ein Ziel, das hat kaum ein anderes europäisches Land erreicht, und ich glaube, dem ist dann auch Genüge getan.
    Simon: Sie haben gerade beschrieben, wie gut wir dastehen. Wir stehen damit in Europa aber ziemlich allein da. Da wird schon lange von uns gefordert von außerhalb, dass wir mehr ausgeben müssen. Binnennachfrage verstetigen ist so ein Stichwort. Ist jetzt die Zeit reif?
    Schneider: Ja, diese europäische Debatte ist vollkommen zurecht geführt. Wir haben ja einen Leistungsbilanz-Überschuss - wir exportieren mehr als wir importieren - von fast acht, neun Prozent. Das ist wider die europäischen Verträge und wir brauchen mehr Binnennachfrage. Das ist zunächst aber mal ein Punkt für die Tarifverhandlungen auch. Da unterstütze ich die Gewerkschaften nach einem höheren Lohnabschluss auch für die Arbeitnehmer.
    Aber das ist natürlich auch eine für die öffentliche Infrastruktur. Und ich sage mal, es interessiert ja keinen, was nun die Probleme sind zwischen Bund, Ländern und Gemeinden in der Umsetzung von Mitteln. Das ist Verwaltungstechnik, das muss gelöst werden, und zwar zügig. Und dann sollten wir die Investitionen stärken, weil die sind letztendlich wie bei einem Unternehmen auch die, die in der Zukunft uns Ertrag bringen.
    Das sind auch Sachen, die man einmalig machen kann, die belasten einen nicht dauerhaft, sondern die haben dauerhaft einen Ertrag. Ich denke da eher an die Zukunft und würde die gestalten wollen und das unterscheidet dann Union und SPD. Aber das ist ja auch okay, dass man da Unterscheidungspunkte hat. Dann werden wir uns in der Koalition sicherlich einigen.
    Simon: Sie sprechen das so an, als ob es leicht ist. Es muss ja ein Gesetz dafür geändert werden, dass das Geld nicht komplett in die Rücklage für die Flüchtlingsintegration fließt. Erwarten Sie da schwierige Verhandlungen?
    Schneider: Ja. Ich gehe mal davon aus, dass sich das noch ein, zwei, drei Wochen hinzieht. Aber das ist ja auch eine wichtige politische Weichenstellung, die wir da stellen. Bisher haben wir uns im Finanzbereich mit der Union immer einigen können und dort, glaube ich, auch kluge Entscheidungen getroffen. Das sieht man ja auch, die Wirtschaft läuft nicht, weil wir so toll sind, sondern weil Deutschland natürlich gut ist. Aber wir tun auch nichts dagegen. Von daher, glaube ich, werden wir uns da auch einigen.
    Simon: SPD-Fraktionsvize Carsten Schneider war das, zuständig für Haushalt und Finanzen, zu der Frage, wohin mit dem Haushaltsüberschuss aus dem Jahr 2016. Vielen Dank, Herr Schneider, für das Gespräch.
    Schneider: Gerne!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.