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Minicomputer im Klassenzimmer
An Calliope scheiden sich die Geister

Mit Calliope sollen Grundschulkinder lernen, wie ein Computer aufgebaut ist. Die kleine Platine ist für die einen ein Schritt in Richtung digitales Klassenzimmer. Andere sehen Calliope als Interessensprodukt großer Konzerne. Denn hinter dem Mini-Computer steckt auch Google.

René Scheppler und Maxim Loick im Gespräch mit Sandra Pfister |
    Drei Kinder in Berlin halten den Mini-Computer Calliope. Mit Calliope sollen Grundschulkinder anders als bei Smartphones und Laptops eine "zugängliche Technik" bekommen.
    Insgesamt sind 16.500 der Calliope-Rechner in deutschen Grundschulen im Einsatz (Calliope gGmbH / dpa / Jørn Alraun)
    Sandra Pfister: Bislang ist der Alltag an deutschen Schulen noch ziemlich analog. Bei allem, was die Große Koalition dagegen tun wollte, kam so gut wie gar nichts heraus. Wer füllt die Lücke? Oft gar keiner oder aber Konzerne. Sie kommen durch die Hintertür. Aktuell entzündet sich Kritik an Calliope. Calliope ist ein kleiner unschuldiger Computer. Eigentlich eine sternförmige, handtellergroße Platine. Mit der können schon Drittklässler Programmieren üben. 16.500 dieser Rechner sind bislang in deutschen Grundschulen im Einsatz. In fast allen Bundesländern laufen Pilotprojekte. Im Saarland werden die Calliope-Minicomputer sogar flächendeckend eingeführt. Es gibt da allerdings einen Haken, sagen zumindest Kritiker: Mitsponsor von Calliope ist Google. Ist das ein Problem? Darüber reden wir jetzt mit Maxim Loick, Mitinitiator von Calliope in Berlin, und René Scheppler von der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft in Hessen. Guten Tag!
    Maxim Loick: Hallo!
    René Scheppler: Guten Tag!
    Pfister: Herr Loick, fangen wir mit Ihnen an. Calliope ist ja eine gemeinnützige GmbH. Dahinter steht als bekanntestes Gesicht vielleicht Gesche Joost - die Internetbotschafterin der Bundesregierung bei der EU. Es hört sich erst mal unschuldig an, ist es das auch?
    Loick: Es ist tatsächlich unschuldig. Wenn man sich das mal anschaut, was eigentlich der Impetus für diese Initiative war, die Stephan Noller und ich gestartet haben, wo Gesche Joost später dazugekommen ist: Eigentlich war der Auslöser 2015 ein Projekttag in einer Schule, wo wir genau das vorgefunden haben, was Sie in Ihrer Anmoderation genannt haben. Quasi einen Raum, der ein bisschen aussah wie eine Asservatenkammer der frühen 80er-Jahre, die in meine Kindheit zurückreicht, und wir dachten, das ist nicht der Raum, in dem Kinder auf die Welt vorbereitet werden, in die sie dann entlassen werden.
    Das bedeutet, wir haben dort einen Handlungsbedarf gesehen, ganz normal, und unsere Rolle zunächst einmal als Väter, und haben uns überlegt, wie kann man denn da einen Impuls geben, dass dieses Bildungssystem möglicherweise etwas daran ändert. Da war dann ganz klar, dass wir uns gedacht haben, wenn wir in die verschiedenen Bildungsministerien in den Ländern gehen, reicht es nicht, wenn wir dort mit Forderungen auftreten, sondern wir haben uns überlegt, man muss denen etwas anbieten können. Das war der Grund, weshalb wir zunächst einmal ein Board konzipiert haben, das mit der Ausbaustufe jetzt eben diese Calliope ist. Und wir haben initiales Lehrmaterial von der Uni Wuppertal erstellen lassen, die das auch kostenfrei für uns gemacht haben, und dann damit in die Bildungsministerien gegangen und haben das vorgestellt. Auch vor dem klaren Hintergrund, dass wir gesagt haben, wir werden als eine gemeinnützige GmbH Spendengelder einwerben, damit wir auch die Produktion dieser Boards attraktiv machen können, damit wir in großen Chargen produzieren können und dann vernünftige Preise anbieten können, damit das Bildungssystem, was ja nun mal chronisch klamm ist, nicht einfach nur mit einer Forderung konfrontiert wird, wo die Rolltore runtergehen, bevor man guten Tag gesagt hat.
    "Unterfinanzierung der Schulen wird ausgenutzt"
    Pfister: So, und da kommt jetzt Google ins Spiel Der Vorwurf lautet ja, dass die großen Softwaregiganten durch die Hintertür ins Klassenzimmer drängen. Calliope sei da das Einfallstor. Herr Scheppler, wieso sehen Sie das so im Falle des Calliope-Rechners?
    Scheppler: Also ich möchte kurz vorwegschieben, dass wir es hier nicht mit jemandem in meiner Person zu tun haben, der gegen die Digitalisierung der Schule oder der Bildung argumentiert, sondern gegen im Gegenteil seit zehn, 15 Jahren massiv in diesem Bereich aktiv ist, auch zugunsten genau dieser Beobachtung, die eben Herr Loick richtig festgestellt hat, an dem wir arbeiten müssen. Die Problematik liegt an einer anderen Stelle, und von daher würde ich auch die Frage ein Stück weit umdrehen wollen. Es geht nicht um Schuld, sondern es geht ein Stück weit um das Wie und auch dann das moralische Vorgehen an der Stelle. Die Problematik liegt einfach da drin, dass quasi jemand einen Handlungsbedarf gesehen hat, wie Herr Loick es eben gesagt hat. Und dass dann hingegangen wurde und quasi finanzstarke Partner gesucht wurden, die der Unterstützung dieses Ziels helfen sollen. Da haben wir dann das Problem - und das kann man auf lange Frist sich dann ausrechnen -, dass wir in eine Schieflage geraten, die mit Demokratie nicht mehr viel zu tun haben wird, nämlich wenn es finanzstarken Akteuren gelingt, ihre Ziele und ihre Interessen auf Wegen in die Schule zu bringen, die unsere Demokratie so nicht vorsieht. Nämlich dass einfach mal gemacht wird und einfach mal geschenkt wird. Das sehen wir so nicht vor, und da ist, glaube ich, Schule auch sehr anfällig aus dem anderen Grund, den Herr Loick richtig genannt hat, nämlich die Unterfinanzierung. Das wird ausgenutzt. Wenn wir dann sehen, wie Google dort vorgegangen ist. Dann möchte ich drei Schritte kurz aufzeigen, die, das, glaube ich, ganz gut verdeutlichen: Die Ausgründung der gGmbH Calliope hat stattgefunden aus dem Thinktank D64. Dieser Thinktank D64 ist parteinah der SPD und wurde mitbegründet von dem Pressesprecher Deutschland Google. Dann hat Google das Projekt Open Roberta - ich glaube, seit 2012, wenn ich mich nicht irre - mit mittlerweile weit über fünf Millionen US-Dollar finanziert. Das ist eine Programmieroberfläche. Ab 2016 fand dann die Förderung von Calliope statt, auch mit mittlerweile 1,1 Millionen Euro von Google. Dann hat man 2017 die beiden Dinge zusammengezogen, Open Roberta und Calliope hat man verbunden. Mittlerweile werden beide im Tandem genutzt. Das heißt, über mehrere Jahre hinweg wurde hier offensichtlich, wenn man das so nachvollzieht, was ich gerade geschildert habe, ein Netzwerk aufgebaut, das wir als Deep lobbying bezeichnen. Da geht es nicht primär darum, dieses einzelne Produkt - das hätte auch jedes andere sein können -, aber offensichtlich war dieser Türöffner, der da stattgefunden hat, im Sinne dieses Deep lobbyings für Google so weit nützlich, dass man jetzt in der Lage ist, nach mehreren Jahren es auch für das eigene Marketing zu verwenden, und diese Mechanismen, die sind unmoralisch.
    "Keinerlei Einflussnahme inhaltlicher Art von Google"
    Pfister: Also Sie meinen in dem Fall mit Deep lobbying, Google macht das nicht umsonst, auch wenn das in dem Fall erst mal unschuldig aussieht und die inhaltlich keinen Einfluss nehmen. Was erwidern Sie, Herr Loick?
    Loick: Ich erwidere zunächst einmal zu dem ersten Punkt, bei Calliope handelt es sich keineswegs um eine Ausgründung D64, sondern es ist eine frei von Stephan Noller, Gesche Joost, meiner selbst und ein paar weiteren enthusiastischen Menschen gegründete gemeinnützige GmbH. Es gibt dort keine Verbindungen zum freien D64. Das ist schon mal das Erste, und das Zweite ist, wir haben keinerlei Einflussnahme inhaltlicher Art von Google, von Microsoft. Bei uns auf der Webseite ganz klar aufgezählte Sponsoren beziehungsweise Spender muss man sagen … Sponsoren haben ja immer eine ganz klare Stoßrichtung. Wir haben dort Spenden eingesammelt von den Firmen, die dort ganz transparent genannt sind. Wir haben mit Bedacht die ganze Initiative so gestartet, dass sämtliche Lerninhalte und Lehrinhalte zusammen mit den Instituten in den Bundesländern erstellt werden sollen. Wir sind bewusst nicht mit vorgefertigtem Material in die Ministerien gegangen oder zu den Ministerien gegangen, sondern haben sie aufgefordert, nutzt dieses Angebot, das wir euch hier machen, um den Unterricht interessanter zu machen. Macht es mit euren Materialien.
    Ein weiterer Faktor ist, wir haben sämtliche Bauteile, sämtliche Software, sämtliche Lehrmaterialien unter offenen Lizenzen. Wir würden uns freuen, wenn wir ohne Gelder von Spendern auskommen würden. Wir würden uns ganz klar über alle freuen, über jedes Bundesland, was basierend auf unseren offenen Standards, auf unseren offenen Materialien sein eigenes Wort baut, gerne auch über die eigene Finanzierung, von mir aus, aus den Finanztöpfen der Bundesländer. Ich kann hier nun wirklich keine inhaltliche Einflussnahme von Google oder von SAP oder von Bosch oder - wer auch weiter unsere Spenderinnen da sind - erkennen. Ganz im Gegenteil: Wir haben eine sehr, sehr wirksame Schranke dem vorgeschoben, indem wir mit der gemeinnützigen GmbH einen unabhängigen Layer eingezogen haben, der diese direkte Einflussnahme unterbindet.
    Pfister: Also Google sammelt keine …
    Scheppler: Ich würde gerne direkt drauf antworten.
    Pfister: Dürfen Sie.
    "Es geht um die Einflussnahme auf eine Mentalität"
    Scheppler: Weil der Herr Loick mir eben vorgeworfen hat, dass ich etwas falsch dargestellt habe. Ich möchte zur Richtigstellung meiner Ausführung zitieren aus dem Jahresbericht 2015 des D64 Zentrum für digitalen Fortschritt, der genannte Thinktank. Zitat beginnt: "Es soll eine gemeinnützige GmbH oder eine Stiftung gegründet werden, die das Projekt professionell vorantreibt. Name wird Calliope sein. Mitglieder von D64 in diesem Gremium sind Stephan Noller, Gesche Joost, Maxim Loick. Weitere Kompetenzträgerinnen außerhalb von D64 sind …" und so weiter.
    Natürlich wirft niemand vor, dass Google direkt dann Einfluss nimmt, sondern auf Calliope oder Open Roberta, da geht keiner von Google hin und sagt, ihr macht so und ihr macht so. Nein, Deep lobbying funktioniert anders: Dass man Initiativen, die einem wohlgesonnen sind, die im eigenen Sinne, also im Sinne Googles, in den Interessen Googles, und das sind natürlich die der Digitalisierung, dass man die voranschiebt, dass man die ausfüttert, dass man die fördert mit der eigenen Finanzkraft. Es geht um die Einflussnahme auf eine Mentalität, auf die Demokratie in unserem Land und das Stärken von den eigenen Lobbyinteressen zugutekommenden Initiativen. Das ist die Problematik. In den Ländern muss dann nicht es so laufen, dass Calliope ins Ministerium geht und sagt, schaut mal, was wir hier Tolles haben und alle begeistert in die Hände klatschen. Es muss eher so laufen, dass ein Bundesland feststellt, im demokratischen Diskurs, in der Festlegung von Lehrplänen und Schulgesetzen, dass man hier zum Beispiel - und da kann man ja durchaus verschiedener Meinung sein, ich halte es vielleicht auch gar nicht für abwegig -, Programmieren im Unterricht irgendwo einbinden soll. Wie und wo muss demokratisch geklärt werden. Dann erfolgt eine Ausschreibung, dass man so ein Produkt haben möchte, und dann können sich nämlich auch mehrere Anbieter bewerben. Vielleicht wenn ein Anbieter sieht, oh, jetzt schreibt ein Bundesland etwas aus, bildet sich vielleicht auch ein neuer Anbieter, den es vielleicht noch gar nicht gibt. Wenn Calliope aber vorher diesen Markt schon besetzt mit den benannten Strategien, dann haben wir ein Problem und kommen in eine demokratische Schieflage an der Stelle.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.