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Missbrauch durch Geistliche
Der Vatikan vor dem UN-Ausschuss gegen Folter

Täter werden nicht bestraft, sondern nur versetzt und Opfer nicht entschädigt: Nach Ansicht des UN-Ausschusses gegen Folter hat der Vatikan gegen das Völkerrecht verstoßen. Das ist das Ergebnis einer vierwöchigen Untersuchung, deren Bilanz jetzt vorgestellt wurde.

Von Marc Engelhardt |
    Blick auf den Petersdom im Rom.
    Der UN-Ausschuss gegen Folter fordert vom Vatikan, als Staat Verantwortung im Missbrauchsskandal zu übernehmen. (dpa / picture alliance / ANSA / Mario_De_Renzis)
    Claudio Großman ist um Normalität bemüht. Der Vorsitzende des UN-Ausschusses gegen Folter – er kommt aus Chile – lässt sich einfach nicht provozieren. Und das, obwohl der Genfer Nuntius schon vor der offiziellen Veröffentlichung des UN-Berichts eine Pressemitteilung verteilen lässt. Von grundsätzlich fehlerhaften Annahmen ist da die Rede, die irreführend und widersinnig seien. Doch Großman lächelt die Kritik einfach weg.
    "Im Kern – ich meine, ich habe das auch gerade erst bekommen – aber im Kern, da sind wir doch einer Meinung. Hier steht: Der Heilige Stuhl verurteilt sexuellen Missbrauch als ernstes Verbrechen und eine schwere Verletzung der Menschenwürde. Und das ist ja auch nicht überraschend, das Christentum hat schließlich maßgeblich zu unserem Verständnis von Menschenwürde und Menschenrechten beigetragen. Da gibt es also gar keinen Disput."
    Doch abseits dieses Kerns hört die Einigkeit schnell auf – das weiß auch Großman. Vier Wochen lang haben er und neun weitere Juristen, die gemeinsam den UN-Ausschuss gegen Folter bilden, den Bericht des Vatikans geprüft, der mit neun Jahren Verspätung eingereicht wurde. Zwei Tage lang hörten sie den Genfer Nuntius an, dazu Unterstützer und Kritiker des Vatikans. Jetzt haben sie ihre Bilanz vorgelegt, und die fällt nicht gut aus. Im Mittelpunkt steht erneut der Missbrauchsskandal durch Geistliche: beim Umgang damit bescheinigen die Menschenrechtler um Großman dem Vatikan erhebliche Mängel.
    "Worum es uns geht, ist die Verantwortung des Staates, also des Vatikans, anstelle des einzelnen Täters. Und diese Verantwortung beginnt dann, wenn es keine effektive Verhütung von Missbrauch gibt oder wenn Missbrauchsfälle nicht verfolgt oder bestraft werden."
    Nach Ansicht des UN-Ausschusses hat der Vatikan sich genau dieser Verstöße gegen das Völkerrecht schuldig gemacht: Überführte Priester seien zum Teil einfach in andere Diözesen versetzt worden, auch über Staatsgrenzen hinweg, um die Strafverfolgung zu behindern. Auch seien Strafverfolgungsbehörden oft unzureichend über Missbrauchsfälle in der Kirche informiert worden. Bis heute warteten viele Opfer zudem auf Anerkennung oder angemessene Entschädigung, sagt die Vizechefin des Ausschusses, Felice Gaer.
    "Uns wurde vom Heiligen Stuhl mitgeteilt, dass zwischen 2004 und 2013 etwa 3500 Missbrauchsfälle verfolgt wurden. Gut ein Viertel der Täter wurde des Amtes enthoben, der Rest auf andere Weise bestraft. Aber wie viele Opfer es gegeben hat, das wissen wir bis heute nicht."
    Die Forderung nach ausführlicheren Daten will Rom jetzt prüfen, ebenso wie andere Kritikpunkte. Doch der Vatikan wirft dem Ausschuss seinerseits grundsätzliche Fehler vor: Die Diskussion über sexuellen Missbrauch habe im Ausschuss gegen Folter schlicht nichts zu suchen, sagte der päpstliche Gesandte Silvano Tomasi nach seiner Anhörung Anfang des Monats:
    "Der Ausschuss hat mir eine Menge Fragen zum sexuellen Missbrauch von Kindern durch Geistliche gestellt. Angeblich sollen diese Vorfälle unter die Konvention gegen Folter fallen. Ich hoffe doch sehr, dass dieses Thema bei anderen Staaten eine gleich große Rolle spielt, wenn man sich ansieht, wie weit verbreitet Kindesmissbrauch ist: die WHO geht davon aus, dass jede fünfte Frau und fünf bis zehn Prozent der Männer Opfer von Kindesmissbrauch geworden sind."
    Von einer Kampagne gegen die katholische Kirche sprechen Unterstützer des Vatikans. Schriftlich nennt der Vatikan die Unterstellung falsch, dass Missbrauch von Kindern Folter oder eine auch von der Konvention verfolgte grausame, menschenverachtende oder entwürdigende Bestrafung darstellt. Ein Punkt, dem der UN-Ausschuss vehement widerspricht: dies müsse im Einzelfall geklärt werden. Doch für die meisten dieser Einzelfälle fühlt Erzbischof Tomasi sich ohnehin nicht zuständig.
    "Wenn der Heilige Stuhl für die Einhaltung der Konvention für jeden Katholiken überall auf der Welt verantwortlich wäre, dann würden wir ganz schnell einen der grundlegendsten Pfeiler des Völkerrechts verletzen: Die Souveränität von Staaten über ihr Territorium und die Menschen, die dort leben."
    Die völkerrechtliche Verpflichtung aus der Konvention gegen Folter gelte deshalb nur für den Vatikanstaat und seine gut 800 Bewohner, so Tomasi. Der UN-Ausschuss dagegen sieht eine Verantwortung des Kirchenstaats weit über dessen Grenzen hinaus, bekräftigt die Vizevorsitzende des Ausschusses, Felice Gaer.
    "Natürlich sagen wir nicht, dass der Heilige Stuhl für das Handeln jedes einzelnen Gläubigen verantwortlich ist. Aber die konkreten Fälle, die wir untersucht und kritisiert haben, scheinen doch zu belegen, dass der Heilige Stuhl weit über die Grenzen der Vatikanstadt hinaus Kontrolle ausübt."
    Nicht zuletzt die vom Vatikan selbst eingestandene Tatsache, des Missbrauchs überführte Geistliche bestraft zu haben, zeige, dass der Heilige Stuhl direkten Durchgriff bis weit nach unten in der katholischen Hierarchie habe – und damit Verantwortung übernehmen müsse. Der Prinzipienstreit könnte schwerwiegende Folgen haben – etwa dann, wenn es um Entschädigungen geht. Deshalb ist mit einer Verständigung in dieser Frage kaum zu rechnen – auch wenn der Ausschuss es nicht versäumte, Papst Franziskus für seine Reformbemühungen ausdrücklich zu loben.