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Mit jugendlichem Ungestüm am Piano

Yojo Christen, Jahrgang 1996, ist ein bemerkenswerter Pianist, dessen Biografie mit denen sogenannter Wunderkinder konkurrieren kann: erster öffentlicher Auftritt mit acht Jahren und mit 14 bereits eine erfolgreiche Tournee durch Japan. Derzeit arbeitet er an seiner ersten Oper.

Von Klaus Gehrke |
    Musik 1: Franz Liszt, aus Sonate h-moll

    Locker entspannt mit verwaschenen Jeans, Turnschuhen und Kapuzenshirt sitzt Yojo auf einer überdimensionalen Klaviertastatur Marke Steinway, wie unschwer hinter dem Rücken des Pianisten zu erkennen ist. Damit das Ganze noch unkonventioneller und cooler wirkt, hat der Grafiker des Covers die schwarzen Tasten, die das Sitzen ziemlich unbequem machen würden, einfach weggenommen. Dafür prangt direkt darunter die wichtigste Information: Yojo, 17, Piano.

    Dass das Alter des Pianisten so im Vordergrund steht, erklärt sich aus der CD-Reihe "Rising stars" des Labels TYXart: hier werden junge vielversprechende Musiktalente vorgestellt. Der ebenfalls noch sehr jungen Plattenfirma aus dem niederbayerischen Etterzhausen geht es dabei um Folgendes:

    "TYXart sucht keine chemisch gereinigten Wettbewerbs-Champions, sondern junge Persönlichkeiten, die durch besondere musikalische Fähigkeiten und Individualität überzeugen. Dazu gehört selbstverständlich als Voraussetzung eine hervorragende Technik, die den gespielten Werken gerecht wird. Doch dieser Aspekt ist kein inhaltlicher, der uns vom Wesen des Künstlers oder seiner Musik überzeugen kann. Und gerade darum geht es."

    Yojo Christen, Jahrgang 1996, ist ein bemerkenswerter Pianist, dessen Biographie mit denen so genannter "Wunderkinder" durchaus konkurrieren kann: erster öffentlicher Auftritt mit acht Jahren und mit 14 bereits eine erfolgreiche Tournee durch Japan. Dazu komponiert er seit seinem sechsten Lebensjahr, wurde als Zehnjähriger als Komponist bei der GEMA eingestuft und arbeitet derzeit an seiner ersten Oper. Christens Debüt auf dem CD-Markt erfolgte 2011. In seiner jetzt erschienenen zweiten Einspielung steht Franz Liszts h-moll-Sonate im Mittelpunkt, ein Werk, das immer noch als Herausforderung an jeden Pianisten gilt.

    Musik 2: Franz Liszt, aus Sonate h-moll

    Yojo Christen geht Liszts virtuose Sonate unverkrampft und mit einer gehörigen Portion jugendlichem Ungestüm an. Dabei setzt er interessante, zum Teil unkonventionelle Akzente und vergisst bei aller Virtuosität nicht, die mitunter schroffen abgründigen Passagen des Werkes konturenhaft in Szene zu setzen. Die Interpretation des jungen Pianisten zeigt ein klares durchdachtes Spiel mit kraftvollen aber auch sensiblen Tönen.

    Musik 3: Franz Liszt, aus Sonate h-moll

    Der Liszt-Sonate vorangestellt ist eines der bekanntesten Werke aus Ludwig van Beethovens früher Schaffensperiode: die Sonate Nr. 8 c-moll, op. 13, die so genannte "Pathetique". Über sie sagt Yojo Christen, Zitat:

    ""Ich verstehe nicht, warum viele Pianisten den ersten Satz so gemächlich spielen. Der junge Beethoven soll doch ein ziemlicher Hitzkopf gewesen sein. Was meint er da wohl mit 'Allegro di molto e con brio'"?"

    Musik 4: Beethoven, aus Sonate Nr. 8 c-moll, op. 13, 1. Satz

    So klingt das Allegro di molto e con brio, der Beginn des ersten Satzes aus Beethovens Pathetique bei Yojo Christen – sehr flott, im Vergleich zu anderen Einspielungen jedoch nicht exorbitant schneller. Auffällig ist dagegen das stellenweise Ungleichgewicht zwischen rechter und linker Hand, was möglicherweise an der Aufnahme liegt. Wie die Liszt-Sonate interpretiert der junge Pianist die Pathetique mit kraftvoll stürmischem Elan, setzt hier allerdings mitunter etwas befremdlich wirkende Rubati ein. Höchst eigenwillig gestaltet er den berühmten zweiten Satz, das Adagio cantabile.

    Musik 5: Beethoven, aus Sonate Nr. 8 c-moll op. 13, 2. Satz

    Warum Christen den zweiten Mittelteil des Satzes so schnell spielt, weiß wohl nur der Pianist selbst. In den Noten steht davon jedenfalls nichts. Wer auf Erläuterungen zur Interpretation im Booklet hofft, wird enttäuscht. Auch im Finalsatz gibt es einige künstlerische Freiheiten in Form von unterschiedlichen Geschwindigkeiten, die jedoch etwas antiquiert romantisch wirken.

    Musik 6: Beethoven, aus Sonate Nr. 8 c-moll op. 13, 3. Satz

    Mit dem dritten eingespielten Werk schlägt Yojo Christen einen Bogen von Klassik und Romantik zur zeitgenössischen Musik, auch wenn der Schöpfer der graphischen Notizen ‚Gespenster‘ streng genommen kein Komponist ist, sondern vielmehr bildender Künstler und Architekt. Allerdings nahm der Regensburger Klaus Caspers die graphischen Partituren von John Cage oder Morton Feldman zum Vorbild, in denen es statt Noten verschiedenste Arten von Zeichen und Signaturen gibt. Diese dann in Musik umzusetzen ist eine mitunter knifflige Aufgabe für den Interpreten, die viel Fantasie erfordert. Caspers ‚Gespenster‘-Graphiken deutet Christen überwiegend tonal.

    Musik 7: Klaus Caspers, Gespenster Nr. 5

    Eines zeigt die neue CD mit Yojo Christen durchaus – dass der junge Pianist viel künstlerisches Potential besitzt. Allerdings gibt es für mein Empfinden, vor allem, was die Beethovensonate betrifft, noch etwas Verbesserungsbedarf. Ebenso ist es löblich, wenn Plattenlabel sich für junge Künstler einsetzen; die im Booklet gescholtene Nachwuchswettbewerbsszene liefert interpretatorisch gesehen jedoch auch hohe Standards, an denen Stars von morgen sich schon mal messen lassen sollten. Die neue CD mit dem Pianisten Yojo Christen ist beim Label TYXart erschienen; fürs Zuhören bedankt sich Klaus Gehrke.