In dem Jugendwerk von Wolfgang Amadeus Mozart stecke musikalisch und in der Geschichte selbst, mehr als man ihm zugetraut hätte. "Die Musik hat Tiefgang. Sie bedient das strenge Schema der Opera seria, weitet aber kräftig aus, indem ungeheuerliche Farben hineinkommen – dunkle, finstere Farben", so DLF-Musikkritiker Christoph Schmitz.
Sowohl in den Orchesterzwischenspielen als auch in den Arien höre man tief erschütternde Ombraszenen, die eine Todesnähe hätte, wie man sie mitunter erst im 19. Jahrhundert wieder höre, die aber bereits in diesem Frühwerk des 16-Jährigen das Requiem anklingen ließen.
Mozart verbindet Politik und Privatleben
Inhaltlich dreht sich Mozarts Oper um einen hasserfüllten römischen Diktator und vier jungen Menschen, die voller Liebe sind. In den Hauptrollen: Silla und der geächtete Senator Cecilio, der heimlich zu seiner Braut Giunia nach Rom zurückkehrt. Am Ende eskaliert das Ganze. "Mozart verbindet mit diesem Libretto Politik und Privatleben – und das macht diese Oper nach wie vor interessant", sagt Christoph Schmitz.
Von Wölfen und Barbie-Puppen
Regisseur Tobias Kratzer habe die Todessehnsucht jener Zeit in heutige Bilder gefasst. So werde schon während der Ouvertüre ein Video mit privaten Filmaufnahmen der Mächtigen der letzten fünf Jahrzehnte gezeigt: John F. Kennedy am Pool, wie er seine Kinder anlacht, Putin beim Angeln oder den nordkoreanischen Diktator Kim Jong Un. Dazu montiert, Barbie-Puppen, die von einem Schneider und ihrem männlichen Gefährten Ken eingekleidet werden sowie eine Stechmücke, die einem Menschen Blut aussaugt. Auch ein wolfsähnlicher Hund läuft immer wieder über die Bühne.
"Klasse" Besetzung - bis auf die Titelrolle
Die Rollen in Kratzers Inszenierung sind laut Schmitz "klasse besetzt", bis auf die Titelrolle des Lucio Silla, die der Brite Jeremy Ovenden singt. Doch das sei nicht weiter schlimm, denn viel wichtiger als die Titelrolle sei die Rolle der Giunia – gesungen von der niederländischen Sopranistin Lenneke Ruiten.
"Sie hat einen ungeheuren, agilen, höhensicheren Sopran. Sie singt und spielt, als wäre ihr wirklich die Rolle auf den Leib geschrieben", schwärmt Schmitz. Sie agiere mit einer großen schauspielerischen Intensität und ziehe die Zuschauer in ihren Bann.
Musikalisch geglückte Deutung
Überzeugen würden auch die anderen Solisten, wie die slowakische Sopranistin Simona Šaturová. "Ihr Sopran ist besonders facettenreich, besonders frequenzreich, sehr reif und genau. Sie ist auch eine tolle Schauspielerin", sagt Schmitz. Sein Fazit: Die musikalische Deutung ist sehr geglückt. Das gelte auch für das Dirigat von Antonelle Manacorda.