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Museen in Not
Verschleppung der Probleme

Kunstmuseen klagen über Geldnot, ersticken an ihren Depots und zittern vor drohenden Schließungen. Der Kunsthistoriker Walter Grasskamp möchte nicht mit Museumsdirektoren, Restauratoren oder Stadtkämmerern tauschen. In seinem Buch spricht er von der Konkursverschleppung, die an vielen Orten offensichtlich ist, aber nicht thematisiert wird.

Von Andrea Gnam |
    Pinakothek der Moderne in München
    Das öffentliche Museum soll Hort der Geschichte sein, für ausgleichende Gerechtigkeit sorgen, was die Wertschätzung von Künstlern zu späteren Zeiten angeht und nach außen wirken. (imago / Westend61)
    Längst haben Museen in öffentlicher Hand und die aktuelle Kunstproduktion einen Umfang erreicht, der problematisch geworden ist: Unbegrenztes Wachstum bei gleichzeitiger Unterfinanzierung bieten keine tragfähige Zukunftsperspektive, rein ökonomisch betrachtet. Große und angesehene Häuser, die heute nicht mehr wegen der Qualität Ihrer Sammlungen, sondern wegen der Sonderausstellungen Aufmerksamkeit und die Zuwendung von Geldgebern erfahren, verfügen über mehr Möglichkeiten, der finanziellen Misere zu entkommen als ihre kleinen Cousins in der Provinz:
    "Mir ging es darum, mit größtmöglicher Neutralität einfach mal die Struktur zu bestimmen, in der diese Probleme entstehen, über die momentan geredet wird, sei es die Frage, darf man aus Museumsbesitz verkaufen, wie sieht es aus mit dem Verhältnis Wechselausstellung zu dem Dauerbestand. Wie sieht es mit Restaurierungsetats aus, und Depotunterhaltung, auch Depotbauten, wie sieht es damit aus, dass die moderne Kunst, die zeitgenössische Kunst so groß ist, dass sie die Kunst davor praktisch vom Platz verdrängt. Aber ich möchte weder in der Haut eines Museumsdirektors stecken heute, noch in der Haut eines Restaurators, noch in der Haut eines Stadtkämmerers. Wir sind, glaube ich an einem Punkt angekommen, wo die Verschleppung der Probleme nicht mehr möglich ist, das, was ich die Konkursverschleppung des Kunstmuseums genannt habe, die an vielen Orten offensichtlich ist, auch wenn sie dort nicht thematisiert wird."
    Das Verhältnis von Depot zu Schauraum – in der Regel sind nur fünf Prozent der angehäuften Bestände zu sehen – bedeutet nicht nur einen hoffnungslos stimmenden Überhang an Kunstwerken, die fast niemand mehr zu Gesicht bekommen wird. Das Depot selbst ist auch Spiegel unseres Verhältnisses zur Geschichte: Zu unterschiedlichen Zeiten bedarf es auch eines anderen Blicks auf das historische Erbe. Verdrängt das Neue mit raumgreifenden Installationen die Zeugnisse anderer Epochen zu schnell? Oder ist ausgerechnet das Museum, mit seinen sich im ständigen Wandel befindenden Einschätzungen von Vergangenem und Aktuellem ein Motor für unseren Umgang mit Geschichte? Kann es viel schneller Entwicklungen aufgreifen als Historiker? Das Museumsdepot bietet Optionen für mitunter dramatische Neubewertungen, die nicht nur monetärer Natur sind:
    "Das Museum hat, glaube ich, die Leitfunktion der Neubewertung der Vergangenheit, der Tradition nur da, wo die Bestände es hergeben und da kann es natürlich sehr interessant sein, wenn die junge Generation oder Fachfremde oder Besucher aufgefordert werden, was viel zu selten geschieht, wie ich finde, das Depot mal zu sichten und anders zu arrangieren, sei es für vorübergehende Ausstellungen, sei es für permanente Installationen. Diederich Diedrichsen hat das in Wien an der Kunstakademie mit einer Gruppe von Studenten gemacht und das Ergebnis war atemberaubend gut, die Studenten der Kunstakademie stellten andere Fragen an das Depot als Kunsthistoriker das stellen würden."
    Kunstmuseen in der Schieflage
    Erwägt ein Kämmerer einer verarmten Gemeinde den Verkauf eines Gemäldes aus den Beständen, um anderwärtig eine Finanzierungslücke zu schließen, ist die Empörung groß. Wir fühlen uns als Gemeinschaft unseres Gutes beraubt, selbst wenn wir das Werk noch nie gesehen haben und die Argumente des Kämmerers eine soziale Berechtigung haben mögen. Grasskamp spricht vom Kunstmuseum als einer "gebauten Wohlstandserwartung". Können wir eine erwachsenere Haltung zum Museum und zum unaufhörlichen Anhäufen der Besitztümer finden und wie würde diese aussehen?
    "Ich denke, es gibt mehr Funktionen, die das Kunstmuseum besitzt und ausübt und die tatsächlich abgerufen werden als sozusagen nur die stabilisierende, es hat sicherlich einen großen, beruhigenden Effekt, aber die persönliche Nutzung ist ja weniger das Thema als vielmehr der Auftrag, mit dem das Ganze ins Leben gerufen worden ist und seit Jahrhunderten unterhalten worden ist. Und dieser Auftrag ist ja über die, sagen wir, psychische Verfassung und den persönlichen Genuss hinausgehend immer einer der Bildung gewesen. Aber die Bereitschaft Bildung noch als ein Angebot zu finanzieren, ohne zu fragen, in welcher Größenordnung es wahrgenommen wird, die sinkt, in dem Maße, wie von den Museen einfach Besucherzahlen wie Produktzahlen verlangt werden und das bringt sie in eine völlige Schieflage, aus der die wenigsten herausfinden, denn niemand gibt gerne zu, dass er im Verhältnis zu einem Großstadtmuseum wenig Besucher hat und niemand kann den Nachweis führen, dass die Bildungserlebnisse in einem kleinen Museum mit wenigen Besuchern besser sind als in einer vollkommen überfüllten Vermeer-Ausstellung."
    Jedes einzelne Museum steht in vielfältigen ökonomischen Beziehungen, die brisanter sind, als das auf den ersten Blick erscheint: Kunstwerke verursachen mit fachgerechter Lagerung und Restaurierung hohe, dauerhafte Folgekosten. Sie können zwar immens an Wert zulegen, aber das Museum profitiert nicht davon, da es sie eigentlich nicht verkaufen darf. Dazu kommt – und das ist eine der von Grasskamp genannten Paradoxien, dass ein Ankauf durch das Museum über den Kunstmarkt die Preise für den Künstler nach oben treibt. Das wiederum aber kommt dem Kunsthandel zugute, während das Museum höhere Versicherungskosten zu gewärtigen hat. Die Privatmuseen und der neue Hang zur Gegenwartskunst spielen hierbei eine nicht zu unterschätzende Rolle, die das Museum zu einer Neuorientierung nötigen.
    "Wir erleben eine Refeudalisierung des Kunstsammelns und des Kunstvermittlungsbetriebes, in dem einfach große Wirtschaftsbetriebe ihre Privatmuseen in Paris oder in Venedig aufstellen. Mit einem Sammlungsvolumen von aktueller Kunst, bei dem ein, auch ein großes Metropolen-Museum nicht mehr die geringste Chance hat mitzubieten. Die Künstler, werden außer in den Metropolen-Museen doch eher ihr Heil bei den Privatsammlern und den Privatmuseen suchen, weil diese auch eine ganz andere Aufmerksamkeit erzeugen, indem sie nämlich mit Gegenwärtigkeit werben und das ist natürlich konträr zur Idee des Kunstmuseums, das natürlich eine Institution ist, die Vergangenheit bewahrt und vermitteln soll und da kommt eine Schieflage rein, für die man kein Rezept nennen könnte, aus dem das öffentliche Kunstmuseum sozusagen im Gründungssinne unbeschädigt hervorgehen könnte."
    Das öffentliche Museum soll gleichzeitig Hort der Geschichte sein, für ausgleichende Gerechtigkeit sorgen, was die Wertschätzung von Künstlern zu späteren Zeiten angeht und nach außen wirken. Der Ansturm auf ausgewählte Ausstellungen in den Metropolen indes ist nicht unbedingt ein Indiz für eine höhere Wertschätzung des Museums. Im Gegenteil, mit dem hohen Stellenwert der Besucherzahlen sinkt das Ansehen seines Amtes und die Autorität des Museumsleiters als Fachmann. Nur in Zahlen messbarer Erfolg oder Misserfolg in der Publikumsgunst zählen, auch hier gilt das Prinzip der forcierten Steigerung.

    "Die Museen sind ein Mirakel in der kapitalistischen Gesellschaft, weil sie nicht der Ökonomie der Effizienz verpflichtet sind, aber sie werden mit einer Konsumentenideologie konfrontiert, die ihnen nur dann eine Effizienz oder eine Finanzierungsgrundlage oder eine Legitimation zugestehen will, wenn bestimmte Quoten erreicht werden. Aber kann man sich ja mal fragen, was ist die angemessene Quote für ein Kunstmuseum? Muss es pro Tag zehn Besucher haben, muss es pro Tag fünfzig haben, muss es pro Tag hundert haben oder fünfhundert? Reichen fünf? Da lässt sich ja überhaupt nicht in irgendeiner Weise vernünftig begründen. Und deswegen ist der Knüppel der Quote so fatal und auch so entmutigend für viele, die in der Branche arbeiten. Weil damit eine Pseudoeffizienz, eine Pseudorentabilität suggeriert wird, die völlig am Institutions-Sinn vorbeigeht, aber in der Verflachung der Debatte damit die Institution zunehmend im Griff hat."
    Verschwendung gehört zum Gründungsgedanken
    Gar nicht auf Außenwirkung zu schauen ist nicht mehr Privileg der Museen, sondern in die Hand hochgeschätzter zeitgenössischer Künstler übergegangen. Nur sie können es sich leisten, die Attitüde der Geringschätzung des Publikums einzunehmen, wie zum Beispiel Dieter Roth oder Joseph Beuys, es taten. Sie wiesen die Verantwortung für den Zustand ihrer verderblichen Werke, die das Museum angekauft hat und erhalten muss von sich, mit der Begründung, der Verbleib und mögliche Verfall des Kunstwerks ginge sie nichts mehr an, rein theoretisch zumindest - in der Praxis indes eine Zumutung für die Restauratoren. Sollte man andere Museen bauen, die minimalistischer ausgestattet sind, weniger luxuriös mit den Ressourcen umgehen, so man überhaupt noch Museen bauen möchte? Indes die Verschwendung gehört zum Gründungsgedanken des Museums einfach dazu, gibt Grasskamp zu bedenken:
    "Also ein nicht luxusorientiertes Museum würde ich gar nicht besuchen (lacht), denn das gehört dazu. Es gehört die Verschwendung dazu, die Ausstattung der Fürstenhöfe, die Ausstattung der Kirchen, die Ausstattung also von Herrschaftssystemen, die wir glücklicherweise überwunden haben, die sehen wir heute als aus den Funktionen herausgelöste Leistungen von Künstlern und bewundern sie und es ist ein großes Verdienst der Französischen Revolution diese Werke eben nicht zerstört zu haben, sondern das, was den Luxus verkörperte in Bildung umzumünzen, das war ja die entscheidende kunstpädagogische Maßnahme der Französischen Revolution: Verbot der Zerstörung, auch von Werken des verhassten Gegners, der Kirche oder des Könighauses, Verbot der Zerstörung, und diese Worte sind ja gefallen in der Französischen Revolution in den Auseinandersetzungen. Und es war Jacques Louis David, also ein Künstler, der gesagt hat, ihr müsst, also ihr dürft, diese Werke nicht mehr als Ausdruck des Luxus bekämpfen, als die sie entstanden sind, sondern ihr müsst in ihnen Instrumente der Bildung erkennen, die für unsere Gesellschaft wichtig sind. Dem ist nichts hinzuzufügen."
    Walter Grasskamp: Das Kunstmuseum. Eine erfolgreiche Fehlkonstruktion
    C. H. Beck Verlag, 184 Seiten, 18 Euro