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Muslimische Dachverbände in Deutschland
"Meilenweit von einem aufgeklärten Islam entfernt"

Wir brauchen in Deutschland einen sehr liberalen und modernen Islam, sagte der Islamwissenschaftler Abdel-Hakim Ourghi im DLF. Auch stimme es nicht, dass der Islam nichts mit dem Extremismus zu tun habe. Jede Religion werde gefährlich, wenn es nationalistisch, ideologisch oder politisch werde. Kritik übte er an den deutschen Dachverbänden.

Abdel-Hakim Ourghi im Gespräch mit Christine Heuer |
    Der Islamwissenschaftler Abdel-Hakim Ourghi nimmt am 27.05.2015 in Köln am dritten phil.COLOGNE, dem internationalen Festival der Philosophie, teil.
    Die muslimischen Dachverbände in Deutschland sind nach Einschätzung des Experten Ourghi weit von einem aufgeklärten Islam entfernt. (picture alliance/dpa - Horst Galuschka)
    Die Haltung des Papstes zur Gewalt im Islam bezeichnete er als lobenswert. Aber, so Ourghi, der Islam befinde sich zur Zeit in einer Sinnkrise. Die Islamisten und der IS beteten in Moscheen, beriefen sich auf den Koran und den Propheten. "Sie legitimieren dadurch ihre Gewalt und betrachten sich als Muslime." Es sei nicht vertretbar, dass der Islam nichts mit dem Extremismus zu tun habe.
    Auch in Deutschland müsse man sich fragen, welcher Islam sich hier etabliert habe. Die muslimischen Dachverbände seien meilenweit von einem aufgeklärten, humanistischen Islam entfernt. "Wir wissen, dass in den Gemeinden der Dachverbände, wie der Ditib, nämlich in Dinslaken und einigen Städten, in ihren Moscheen eine Radikalisierung stattfindet", sagte Abdel-Hakim Ourghi im Deutschlanfunk.
    "Deutsche Dachverbände vertreten Interessen ihrer Herkunftsländer"
    Er rät davon ab, dass die Kirchen mit solchen konservativen Dachverbänden zusammenarbeiteten. "Deutsche Dachverbände, wie die Ditib und der Zentralrat der Muslime, vertreten die Interessen ihrer Herkunftsländer, und sie sind unserem Staat nicht loyal gegenüber."
    In erster Linie gehe es ihnen um die Deutungshoheit des Islams und Lobby-Arbeit. In den Moscheen der Dachverbände werde durch die sogenannte "Import-Imame" ein sehr konservativer Islam gepredigt, so der Islamwissenschaftler, der an PH in Freiburg lehrt. Das politische System in der Türkei habe einen großen Einfluss. Es sei aber lobenswert, wie die Kirchen und auch die Politiker sich für einen Dialog mit den Dachverbänden einsetzten, aber es seien die falschen Ansprechpartner.
    Mit Blick auf die Pro-Erdogan-Kundgebungen in Köln sagt er, es sei fatal zu sehen, dass die zweite und dritte Generation, die hier sozialisiert seien, für die Interessen eines Tyrannen auf die Straßen gingen. Sie unterstützten einen Diktator, der Islam und Nationalismus vermische.

    Das Interview in voller Länge:

    Christine Heuer: Papst Franziskus findet immer wieder deutliche Worte. Zuletzt hat er sich über den Terror durch radikale Muslime geäußert, es sei nicht richtig, den Islam mit Gewalt zu identifizieren, hat Franziskus gesagt, und man könne nicht sagen, dass der Islam terroristisch sei. In jeder Religion gebe es Fundamentalisten, auch in der katholischen.
    Alles Sätze, die der Papst auf dem Rückflug vom Weltjugendtreffen in Krakau gesprochen hat, wenige Tage nach der Ermordung eines katholischen Priesters in der Normandie.
    Aber hat er wirklich recht? Darüber möchte ich jetzt mit Abdel-Hakim Ourghi sprechen, der das Institut für islamische Theologie an der Pädagogischen Hochschule in Freiburg leitet. Guten Morgen, Herr Ourghi!
    Abdel-Hakim Ourghi: Guten Morgen!
    Heuer: Der Papst würde nicht von islamistischer Gewalt sprechen. Sie auch nicht?
    Ourghi: Na ja, ich wäre eher vorsichtig. Also, ich finde es eine lobenswerte Haltung des Papstes über die Gewalt im Islam und ich möchte auch darauf hinweisen, dass er den Islam nicht als terroristisch oder gewalttätig brandmarkt.
    Es ist wahrlich eine liebe Haltung, die der Papst an den Tag legt, allerdings, wir Muslime oder wenn man auch aus islamischer Sichtweise spricht, sie haben nämlich ... oder den Islamisten dienen als Handlungsanleitungen doch einige medinensische Koransuren und das politische Handeln des Propheten selbst. Und somit, die Islamisten berufen sich auf die sogenannten kanonischen Quellen des Islams, sowohl der Koran als auch die Tradition des Propheten.
    "Es ist nicht mehr vertretbar zu behaupten, dass der Islam nichts mit dem Extremismus zu tun hat"
    Heuer: Also, so ganz recht geben Sie Franziskus nicht. Ist das tatsächlich so, um das noch mal zu pointieren: Liegt Gewalt sozusagen in der Natur der Sache, wenn wir über den Islam sprechen?
    Ourghi: Ja, das können wir ... Ich wäre eher vorsichtig, es geht eher um die Interpretation, sage ich mal, der kanonischen Quellen im Koran und die Tradition des Propheten halt.
    Also hier, wenn wir über den Papst sprechen, ich spüre hier bei seiner Persönlichkeit oder bei seiner Autorität eine Demut halt, und Demut von einem Oberhaupt, der sich nicht über einen anderen stellt und auch nicht eine monotheistische Religion verurteilt. Das hat er ja mit der christlichen Liebe und der Nächstenliebe. Aber wir Muslime, sage ich mal, wir sagen: Der Islam befindet sich zurzeit in einer Sinnkrise und die Islamisten oder die IS halt, die beten in Moscheen und berufen sich auf den Koran und die Tradition des Propheten und legitimieren ihre Gewalt dadurch und sie betrachten sich als Muslime.
    Also, es ist einfach nicht mehr vertretbar zu behaupten, dass der Islam nichts mit dem Extremismus zu tun hat oder dass die Extremisten keine Muslime sind.
    Heuer: Wir der Islam erst gefährlich, wenn er politisch wird? Zum Beispiel nationalistisch aufgeladen?
    Ourghi: Also, jede Religion wird sehr gefährlich, wenn sie nationalistisch, ideologisch oder politisch einfach angedeutet wird. Also, da werden die Interessen miteinander, sage ich mal, verbunden und jede herrschende, sage ich mal, Klasse oder Elite zieht daraus Nutzen, um ihre Interessen in der Tat zu verwirklichen halt.
    Also, der Islam oder die Religionen überhaupt sind eher eine private Sache, eine persönliche Sache, eine private Sache als Verbindung zwischen dem Gott und dem Menschen.
    "Deutsche Dachverbände sind unserem Staat nicht loyal gegenüber"
    Heuer: Sie kritisieren in dem, was Sie veröffentlichen, Herr Ourghi, vor allem türkische konservative Muslime, auch und gerade in Deutschland. Tatsächlich aber hat von denen noch niemand ein Attentat hier verübt. Wieso halten Sie diese Menschen für besonders gefährlich?
    Ourghi: Also, es ist so: Es geht darum, die Frage zu stellen, welcher Islam sich bei uns hier in Deutschland etabliert hat. Erstens, ich möchte darauf hinweisen, dass die muslimischen Dachverbände meilenweit entfernt sind von einem aufgeklärten humanistischen Islam, nämlich diesem Islam, der ihnen ... oder diese Aufklärung, die ihnen eine den Kirchen vergleichbare Rolle in der deutschen Gesellschaft ermöglichen würde. Wir wissen in den Gemeinden der Dachverbände wie die DITIB, nämlich in Dinslaken und in einigen Städten, dass in ihren Moscheen eine Radikalisierung stattfindet. In Dinslaken sind 20 Anhänger der IS, die in solchen Moscheen sozialisiert worden sind.
    Deshalb rate ich immer davon ab, den Kirchen, dass sie mit den konservativen Dachverbänden zusammenarbeiten. Darüber hinaus ein zweiter Punkt, nämlich die Dachverbände hier bei uns in Deutschland wie die DITIB oder Zentralrat der Muslime vertreten die Interessen ihrer Herkunftsländer und sie sind unserem Staat nicht loyal gegenüber. Es geht ihnen in erster Linie nämlich um die Deutungshoheit des Islams und zweitens, welche Lobbyarbeiten hier bei uns vertreten sind.
    Heuer: Dann lassen Sie uns über beides kurz sprechen. Also, die Verbände, ich greife jetzt mal die DITIB raus, das ist die türkische Religionsanstalt in Deutschland, die wird von der Türkei finanziert und aus der Türkei werden auch die Imame nach Deutschland geschickt. Frage dazu: Trägt Erdogan direkte Verantwortung für die Radikalisierung mancher Muslime in Deutschland?
    Ourghi: Wir haben das gesehen in der letzten Zeit. Also, es ist fatal zu sehen, dass die zweite Generation, die dritte Generation bei uns türkischstämmiger Menschen, die hier sozialisiert sind, sie gehen auf die Straße am letzten Sonntag in Köln, und zwar für die Interessen eines Tyranns, der Journalisten, der Richter, der Wissenschaftler einfach verhaftet, willkürlich. Und diese Menschen, die eigentlich auf die Straße gehen, um für die Demokratie zu demonstrieren oder für die Menschenrechte, unterstützen hier einen sehr konservativen, einen Tyrannen, er ist ein Diktator, der einfach vermischt zwischen Nationalismus und Islam.
    "Das türkische System hat großen Einfluss auf die türkischen Gemeinden in Deutschland"
    Heuer: Ja, aber die Frage war, ob der türkische Präsident Erdogan damit auf diese Art und Weise indirekt Verantwortung mitträgt für die Radikalisierung mancher Muslime.
    Ourghi: Jawohl, also, das kann man schon mit aller Vorsicht auch, sage ich mal, für diese Sichtweise vertreten. Wir wissen, wenn wir jetzt über die Dachverbände sprechen, die türkischen, DITIB, die türkischen Dachverbände: Die sind nicht nur finanziell abhängig, in ihren Moscheen wird ein sehr konservativer Islam durch die sogenannten Import-Imame jeden Freitag gepredigt. Die sprechen immer wieder von der sogenannten Pädagogik der Unterwerfung, die auch in den Moscheen, sage ich mal, am Wochenendkurs, in Korankursen am Wochenende auch gelehrt wird. Und ich sehe schon oder ich bin schon der Meinung, dass das politische System in der Türkei heute einen großen Einfluss auf die Gemeinden hier bei uns, auf die türkischen Gemeinden hier in Deutschland haben.
    Heuer: Herr Ourghi, wir haben nicht mehr viel Zeit, aber die Frage möchte ich Ihnen noch stellen: Was raten Sie deutschen Politikern bei diesem Thema?
    Ourghi: Also, ich muss erst mal betonen, nämlich dass es sehr sehenswert und lobenswert ist, wie die deutschen Politiker und auch die beiden Kirchen für einen interreligiösen Dialog mit den Dachverbänden ... Allerdings, ich sage es, das sind die falschen Ansprechpartner. Wir brauchen hier bei uns in Deutschland einen sehr liberalen, modernen Islam und seine Vertreter sind die sogenannten liberalen Muslime.
    Heuer: Sie zum Beispiel?
    Ourghi: Nein, nicht unbedingt ich. Also, es gibt viele.
    Heuer: Abdel-Hakim Ourghi vom Institut für islamische Theologie an der PH Freiburg war das. Herr Ourghi, haben Sie Dank fürs Gespräch!
    Ourghi: Gern geschehen, schönen Tag noch!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.