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Myonentechnik
Seltsames Teilchen-Trudeln

Es zählt zu den größten Merkwürdigkeiten in der Teilchenphysik: Das Myon, quasi der schwere Bruder des Elektrons, zeigt eine unerklärliche Eigenheit. Es trudelt schneller in einem Magnetfeld, als es die Theorie erlaubt. Das jedenfalls wollten vor einigen Jahren Forscher an einem Beschleuniger nahe New York festgestellt haben. Ob sie damals richtig lagen, soll nun ein neues Experiment prüfen, das gerade in Chicago seinen Betrieb aufnimmt. Sollte es die Abweichungen bestätigen, müsste hinter dem geheimnisvollen Trudeln ganz neue physikalische Gesetze stecken.

Von Frank Grotelüschen |
    Wenn Lee Roberts von seinem neuen Experiment erzählt, meint man ein hoffnungsfrohes Leuchten in seinen Augen zu entdecken. Denn sollte der Versuch glücken, könnte er bislang unentdeckte Teilchen offenbaren – mit gravierenden Folgen für das Weltbild der Physik. Dabei dreht sich das Experiment von Roberts, Professor an der Boston University, um ein an sich altbekanntes Teilchen, das Myon.
    "Das Myon ist eine Art schweres Elektron. Während wir hier sitzen, schlägt in jeder Sekunde ein Myon pro Quadratzentimeter aus der kosmischen Strahlung hier ein, ohne dass wir etwas davon merken.
    ... from the cosmic rays."
    Myonen taumeln im Magnetfeld
    Doch Myonen lassen sich auch gezielt erzeugen, mit einem Beschleuniger, der Wasserstoffkerne auf einen Metallblock feuert. Dabei entstehen die Winzlinge, die allerdings instabil sind und nach nur zwei Millionstel Sekunden wieder zerfallen. Das aber reicht den Physikern, um eine bestimmte Eigenschaft des Myons präzise zu vermessen.
    "Myonen verhalten sich wie winzige Kreisel: In einem Magnetfeld fangen sie an zu taumeln. Diese Taumelbewegung lässt sich sehr präzise berechnen. Vor einigen Jahren aber machten wir bei einem Beschleunigerexperiment in Brookhaven in der Nähe von New York eine seltsame Beobachtung: Und zwar taumelte die Myonen ein wenig schneller als erwartet."
    Messdaten, die gegen das gängige Regelwerk der Physik verstoßen, das Standardmodell. Allerdings waren sie noch nicht stichhaltig genug, um als Beweis gelten zu dürfen. Deshalb versuchen es Roberts und sein 150-köpfiges Team nun aufs Neue, mit einem besseren Versuchsaufbau. Dessen Kernstück stammt noch vom alten Aufbau – ein 14 Meter großer supraleitender Magnet in Reifen-Form. In ihm fliegen die Myonen immer im Kreis, und ihr Taumeln lässt sich präzise vermessen.
    "Wir mussten den Magneten über Tausende von Meilen transportieren: Per Schiff von Long Island aus um Florida herum, dann den Mississippi hoch bis in die Nähe von Chicago. Und dann per Schwerlasttransport ins Forschungszentrum Fermilab, wo der Magnet jetzt installiert ist."
    Die Supersymmetrie-Theorie
    Am Fermilab nämlich steht ein Beschleuniger, der den Magneten mit einem sehr reinen und intensiven Myonenstrahl versorgen kann, was deutlich präzisere Messdaten verspricht. Dieser Tage startet das Experiment. Die Forscher fahren ihren Riesenmagneten hoch, um dann das Magnetfeld optimal zu justieren – eine mühevolle Sache. Erste Messdaten soll es 2017 geben. Danach sollte klar sein, ob das Myon tatsächlich schneller taumelt als erlaubt. Und sollte sich der Verdacht erhärten, haben die Physiker sogar schon Erklärungsversuche parat:
    "Es gibt da eine Theorie namens Supersymmetrie. Sie geht davon aus, dass jedes bekannte Teilchen einen schweren, bislang unentdeckten Partner besitzt. Und diese schweren Partnerteilchen könnten unvermittelt neben dem Myon auftauchen und seine Kreiselbewegung beschleunigen."
    Eine Erklärung, die viele Experten derzeit favorisieren. Doch es könnte auch etwas anderes hinter dem Phänomen stecken, meint Bill Marciano, Theoretiker aus Brookhaven.
    "Wir wissen, dass es im Kosmos jede Menge dunkle Materie gibt. So wie es aussieht, hält sie durch ihre Gravitation die Galaxien zusammen. Wir vermuten, dass diese dunkle Materie aus exotischen Teilchen besteht. Und diese sollten sich – ebenso wie normale Teilchen – über Photonen austauschen. Allerdings keine normalen Photonen, keine Lichtteilchen. Sondern unsichtbare und sehr schwere Photonen. Wir bezeichnen sie als dunkle Photonen."
    Diese dunklen Photonen könnten das Trudeln der Myonen beschleunigen, so die Idee. Für uns Laien eine durchaus sonderbare Vorstellung. Denn eigentlich ist Licht ja von Natur aus hell. Und mit dem Dark Photon hätten die Physiker dann etwas ziemlich Widersinniges erfunden – dunkles Licht.