Vor dem Eingang der antiken Stadt Chersones parken ein paar Reisebusse. Hinter dem Tresen eines Cafés schiebt ein Mann einen Tiegel mit Mokka auf einer Platte mit heißem Sand hin und her. Als die Flüssigkeit Blasen schlägt, gießt der Mann sie vorsichtig in ein kleines Glas. "Kaffee auf griechische Art", verkündet das Schild auf seinem Tresen.
Etwas abseits vom Trubel, auf dem Balkon einer Villa aus Sandstein, sitzt Swetlana Melnikowa. Ihr Assistent bringt einen Stuhl. Wein rankt über die Balkonbrüstung.
Sie lässt den Blick über das Gelände schweifen: Reste antiker Steinmauern durchziehen den staubigen Boden. Dahinter blaues Meer und etwas weiter die Bucht von Sewastopol mit den grauen Kriegsschiffen der russischen Schwarzmeerflotte – die hier ihre Basis haben.
Putin spricht von einem "russichen Mekka"
Melnikowa leitet das Freilichtmuseum Chersones. In den vergangenen Jahren hätten sich die Besucherzahlen vervielfacht, erzählt sie. An Sommertagen kämen bis zu 8.000 Menschen.
"Es ist eine Art Kreuzung, an der sich alles getroffen hat: das Heidentum, das Christentum, das große Rom. Chersones ist in Russland einzigartig, es ist unsere Verbindung mit Europa, mit den alten Zivilisationen, und zugleich ist es der Ort, an dem die russische Nation ihren geistigen Ursprung nahm."
Melnikowa ist erst seit einem Jahr in Chersones. Zuvor hat sie in der Weltkulturerbe-Stätte in Susdal gearbeitet, eine altrussische Stadt etwa 200 Kilometer von Moskau entfernt. Jetzt soll sie Chersones zu einem touristischen Höhepunkt machen. Sogar Wladimir Putin war schon da und sprach von einem "russischen Mekka", das hier entstehen solle. Die Krim habe für die Russen "sakrale Bedeutung", ebenso wie der Tempelberg für Juden und Muslime, so Putin. Melnikowa nickt.
"Hier ist der Ort, an dem Großfürst Wladimir gemeinsam mit seiner Gefolgschaft Christ wurde. Hier wurde er getauft, hier wurde die erste christliche Ehe in der Geschichte Russlands geschlossen und eine ganz neue Seite in der Geschichte des russischen Volkes aufgeschlagen. Ein wichtigeres Ereignis als die Annahme des Christentums hat es für das russische Volk nicht gegeben."
Großfürst Wladimir war Herrscher der Rus, eines mittelalterlichen ostslawischen Reiches. Dass er sich im Jahr 988 taufen ließ und das Christentum anschließend zur Staatsreligion erklärte, gilt als gesichert. Dass dies allerdings in Chersones auf der Krim geschah, ist umstritten. Der Großfürst herrschte von Kiew aus.
Millionenschwere Unterstützung aus Russland
Russland aber investiert kräftig, um den Mythos von den eigenen geistig-kulturellen Wurzeln auf der Krim zu untermauern und den Anschluss der Halbinsel dem Ausland gegenüber zu rechtfertigen. Die Mehrheit der russischen Bevölkerung steht ohnehin hinter der Annexion – Russland verweist darauf, dass bei der umstrittenen Volksabstimmung 2014 die meisten Krim-Bewohner für Russland gestimmt hätten. Umgerechnet eine Million Euro stellt der russische Staat neuerdings allein für das Freilichtmuseum in Chersones bereit, und Melnikowa weiß gar nicht, was sie zuerst tun soll, denn die Ukraine, sagt sie, habe Chersones schändlich vernachlässigt.
"Sie mögen es nicht glauben, aber hier wird immer noch mit Kohle- und Holzöfen geheizt. Wir müssen Wasserleitungen und eine Kanalisation legen, wir brauchen Beleuchtung."
Vor der Villa wartet Marianna Babanina. Sie ist 27 Jahre alt und führt Besucher über das Gelände. Langsam geht sie Richtung Meer, vorbei an den Gemäuern eines antiken Fischerhauses, einer Kellerei.
Direkt am Meer ragt eine Handvoll weißer Säulen in den blauen Himmel: die Reste einer Basilika, das Wahrzeichen von Chersones. Die russische Notenbank hat sie auf die neuen 200-Rubel-Scheine gedruckt.
"Früher war die Basilika auch auf der ukrainischen Ein-Griwna-Note. Unser Bauwerk ist ziemlich bekannt, in Russland, in der Ukraine und anderswo."
Eine alte Frau kommt dazu. Sie heißt Swetlana Dubowa, war Architektin, lebt in Moskau und besucht in Sewastopol ihre Schwester.
"In Chersones kommen Sie in Kontakt mit der Ewigkeit. Wir alle sind doch mit der europäischen Zivilisation verbunden."
"Zur ukrainischen Kultur? Dazu fällt mir nichts ein"
Sie rückt ihre Sonnenbrille zurecht. Sie könne sich noch daran erinnern, erzählt Dubowa, wie schmerzhaft es gewesen sei, als der damalige Staatschef der UdSSR, Nikita Chruschtschow, die Krim der Russischen Sowjetrepublik nahm und der Ukrainischen Sowjetrepublik gab. Sie habe sogar geweint! Das war 1954.
Die Tour geht zu Ende. Marianna Babanina läuft an den Resten eines Amphitheaters vorbei.
Auf den Stufen redet ihre Chefin, die Direktorin, Swetlana Melnikowa, gerade mit Besuchern. Aber über eines redet sie nicht: Über ukrainische Kultur - die die Halbinsel auch geprägt hat.
"Zur ukrainischen Kultur? Dazu fällt mir nichts ein. Marianna, haben wir irgendeinen Ort auf der Krim, der etwas mit der ukrainischen Kultur zu tun hätte? Ich kenne keinen. Dabei bin ich ein bisschen gebildet."