Die Mehrheit der Bevölkerung habe nicht für die Separatisten gestimmt, sagte Brok. Das Wahlrecht habe jedoch dafür gesorgt, dass die Separatisten die Mehrheit im Parlament bekommen. Jedoch können keine der beiden Seiten "durchmarschieren". Das Ergebnis sei ein "Hinweis darauf, dass man sich um Einigung bemühen muss".
"Es handelt sich um eine innerspanische Angelegenheit"
So müsse die spanische Zentralregierung Katalonien gegenüber großzügiger werden. Das Baskenland etwa habe mehr Rechte als Katalonien. Da gebe es noch Anpassungsmöglichkeiten. Ob Ministerpräsident Mariano Rajoy das nötige Fingerspitzengefühl für den Umgang mit den Separatisten mitbringt, bezweifelt Brok: "Er neigt zur Sturheit."
Die EU sieht Brok nicht in der Pflicht, zu vermitteln. "Es handelt sich um eine innerspanische Angelegenheit. Wir können nicht dem spanischen Staatenverbund Vorschläge machen."
Bei der gestrigen Regionalwahl in Katalonien erreichten die separatistischen Parteien zusammen erneut die absolute Mehrheit im Parlament von Barcelona. Wie nach der Auszählung fast aller Stimmen mitgeteilt wurde, gewannen sie zusammen 70 von 135 Abgeordnetensitzen. Die Wahlbeteiligung lag bei fast 82 Prozent.
Das Interview in voller Länge:
Christoph Heinemann: Über Regionalwahlen jenseits der Landesgrenze reden wir an dieser Stelle im Deutschlandfunk eher selten; heute aber sehr wohl, weil die Abstimmung in Katalonien längst international für Schlagzeilen sorgt. Was bisher geschah: Zunächst das Katz und Maus Spiel vor dem Referendum, das die spanische Regierung um jeden Preis verhindern wollte, die Abstimmung dann, eine einseitige und, wie Juristen sagen, verfassungswidrige Unabhängigkeitserklärung, die Absetzung der katalanischen Regionalregierung, Haftbefehl gegen katalanische Regierungsmitglieder, ein neuer Wahltermin und jetzt die Abstimmung, die Spanien einen Sieg der Separatisten beschert hat, auch wenn die spanientreuen Ciudadanos ihre Frontfrau feiern.
Am Telefon ist Elmar Brok. Er ist übrigens dienstältestes Mitglied des Europäischen Parlaments, Mitglied auch des CDU-Bundesvorstandes. Guten Morgen!
Elmar Brok: Guten Morgen, Herr Heinemann.
Heinemann: Herr Brok, eine Ohrfeige für Mariano Rajoy?
Brok: Das sieht wirklich so aus, wenn man auch hier differenzieren muss. Jedenfalls der Durchbruch zur Einheit Spaniens ist das nicht gewesen, wenn auch die Mehrheit der Bevölkerung nicht für die Separatisten gestimmt hat. Aber das Wahlrecht hat es möglich gemacht, dass sie diese Mehrheit bekommen haben.
Heinemann: Aber das Ergebnis der Abstimmung lautet so. – Kann man Reisende aufhalten?
Brok: Nein. Aber wie gesagt, die Mehrheit der Abstimmung ist, die Separatisten haben weniger als 48 Prozent bekommen. Nur das Wahlrecht hat es ihnen ermöglicht, dass sie den Wahlsieg haben, was die Zahl der Mandate im Parlament angeht, so dass dies auf der einen Seite eine Stärkung der Separatisten ist, aber auf der anderen Seite kein Aufruf zur völligen Unabhängigkeit. Und ich glaube, dass dies jetzt der Moment ist, sowohl für die Separatisten als auch endlich für die spanische Regierung, den Faden wieder aufzunehmen für die Verhandlungen über einen besseren Autonomiestatus, die Anerkennung der katalanischen Nation im Rahmen des spanischen Staatsverbandes, wie das schon 2006/2007 der Fall war und wie es damals vom Verfassungsgericht kassiert worden ist.
"Die Mehrheit sind 52 Prozent, die nicht für die Separatisten gestimmt haben"
Heinemann: Herr Brok, aber die Abstimmung unter Berücksichtigung des Wahlrechtes hat ein anderes Ergebnis gebracht. Es gibt eben nicht diese schweigende Mehrheit. Und das Fremdwort für diesen Prozess heißt Demokratie.
Brok: Die Mehrheit sind 52 Prozent, die nicht für die Separatisten gestimmt haben. Das muss festgehalten werden. Beide Daten muss man im Auge behalten und beide Daten sind ein Hinweis darauf, dass man sich jetzt um eine Einigung bemühen muss und nicht eine Seite hier durchmarschieren kann. Das ist kein Wahlergebnis, das man zwar theoretisch so nenne könnte, weil man eine Parlamentsmehrheit hat, aber kein breites Mandat Kataloniens für die Selbständigkeit, und deswegen sollte man jetzt wirklich ernsthaft den Versuch unternehmen, hier eine Lösung zu suchen, die allen gerecht wird.
Heinemann: Herr Brok, Entschuldigung! Ich muss noch mal darauf zurückkommen. In einem Rechtsstaat gilt nun mal das Wahlrecht und das Ergebnis, das aufgrund dieses Wahlrechts erzielt wird.
Brok: Da haben Sie recht und deswegen ist ja auch die Mehrheit da und deswegen ist Puigdemont ja auch nicht geschwächt worden, wie Präsident Rajoy das wünschte, und das stärkt sein Mandat. Aber auf der anderen Seite sollten wir auch sehen, dass nicht die Mehrheit der Bevölkerung es war, sondern das Wahlrecht es war, und aus beiden Dingen sollte sich die Möglichkeit ergeben, sich jetzt endlich in vernünftiger Weise zusammenzusetzen.
Heinemann: Wer hat Katalonien dazu verurteilt, für immer Teil Spaniens bleiben zu müssen?
Brok: Das hat niemand verurteilt, aber ich glaube, die spanische Verfassung ist klar. Wir müssen sehen, dass Katalonien vor allen Dingen aussteigen will, weil es nicht die Beiträge für die schwächeren Gebiete Spaniens zahlen will. Ein Viertel des Bruttoinlandsprodukts Spaniens wird in Barcelona erwirtschaftet und sie möchten ihren Anteil für die schwächeren Gebiete nicht bezahlen. Und wir müssen sehen, dass wir auch hier nicht eine breite Bewegung für die Unabhängigkeit haben, sondern es ist eine Pattsituation, und daraus sollte, glaube ich, jetzt die Verantwortung entstehen.
Heinemann: Wie sollte die spanische Regierung mit den Befürwortern der Unabhängigkeit umgehen?
Brok: Sie sollte großzügiger umgehen. Sie sollte nicht mit dem Gefängnis winken. Sie sollte eine Bereitschaft zeigen, in offener und liberaler Weise mit diesen zu reden, und noch mal den Anknüpfungspunkt versuchen, den sie damals beziehungsweise das Verfassungsgericht abgeblockt haben, in der Autonomie weiterzugehen, die ja weitestgehend ist, was Sprache, was Schulen und so weiter angeht. Aber sicherlich gibt es da noch eine Reihe Möglichkeiten, voranzugehen, und beispielsweise hat das Baskenland auch einige Rechte mehr, als Katalonien das hat, und ich glaube, es sollte im Rahmen der spanischen Verfassung bei gutem Willen noch Lösungen geben, die Dinge voranzubringen.
Brok über Rajoy: "Er neigt ein bisschen zur Sturheit"
Heinemann: Trauen Sie Ministerpräsident Rajoy das nötige Fingerspitzengefühl zu?
Brok: Ich hoffe das. Er neigt ein bisschen zur Sturheit, und das sind nicht die besten Voraussetzungen dafür. Aber der große Sieg von Ciudadanos, der bürgerlichen liberalen Partei, die für Spanien ist, und die gleichzeitig 43 Prozent der Stimmen allein bekommen hat, die stärkste Partei ist, zeigt offensichtlich, dass eine solche Öffnung, auch emotionale Öffnung hilfreich sein kann, hier eine Lösung zu erreichen.
Heinemann: Sie sind ein bisschen skeptisch, was Rajoy betrifft. Wer könnte denn dafür sorgen, dass Madrid und der Teil der Katalanen, die unabhängig werden wollen, wieder miteinander ins Gespräch kommen?
Brok: Das kann ich jetzt nicht sagen. Ich kenne Mariano Rajoy, das ist ein intelligenter Mann, und ich hoffe, dass er jetzt diese Möglichkeiten, diesen Spielraum für sich gewinnt.
Heinemann: Die Europäische Union behauptet ja immer, sie sei für die Bürger da. Wo war Europa, als in Katalonien die Fetzen flogen?
Brok: Die Europäische Union kann sich nicht in die innere Entwicklung anderer Mitgliedsländer einmischen.
Heinemann: Muss sie das nicht sogar?
Brok: Nein! Denn hier ist bisher alles nach der Verfassung gelaufen. Die Verfassung sieht es nicht vor, dass ein Land eine Selbständigkeit bekommt, es sei denn, innerhalb des spanischen Verfassungssystems wird es gemacht. Das Referendum in Schottland war im Rahmen des britischen Verfassungssystems und deswegen auch mit Zustimmung von London durchgeführt worden. Das ist in Katalonien nicht der Fall gewesen. Aus dem Grunde können wir nicht von uns etwas, was verfassungswidrig war, bei dem damaligen Referendum entsprechend unterstützen. Und wir können nur hilfreich sein, wenn beide Seiten wollen, dass wir hilfreich sind, und wir müssen hier ja sehen, beide Seiten, die spanische Seite wie die katalonische Seite, wollen Mitglied der Europäischen Union sein.
"Dies ist, glaube ich, eine rein innerspanische Angelegenheit"
Heinemann: Das heißt, Brüssel würde jetzt auch weiter zuschauen, selbst wenn die Dinge eskalieren würden?
Brok: Ich bin sicher, dass Gespräche stattfinden, dass Ratschläge stattfinden und dass man nach Möglichkeiten suchen wird, etwas zu tun. Aber wir können nicht dem spanischen Staatsverband Vorschläge machen, wie es sein soll. Genauso wenig würden wir uns es ja bieten lassen, wenn Brüssel jetzt bei Streitigkeiten zwischen Bundesländern eingreifen würde.
Heinemann: Was sollte die Union aus dieser Krise lernen?
Brok: Dies ist, glaube ich, eine rein innerspanische Angelegenheit. Das ist nicht die Schuld der Union. Und es ist klar, dass die innere Struktur eines jeden Mitgliedslandes nach der Tradition, der Identität eines solchen Landes stattfinden muss und nach der verfassungsrechtlichen Lage, und dass dabei nicht die Europäische Union zentralistisch eingreifen sollte.
Heinemann: Der CDU-Europapolitiker Elmar Brok. Vielen Dank für das Gespräch. Ihnen gute Besserung. Ich hoffe, der Husten geht vorbei. – Verraten Sie uns noch, was gebimmelt hat?
Brok: Da ist eine SMS gekommen.
Heinemann: Alles klar. – Herr Brok, Ihnen und den Ihren ein schönes Weihnachtsfest.
Brok: Danke schön! – Tschüss!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.