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Nach Übergriffen in Köln
"Rufe nach Verschärfung bringen nichts"

Es würde etwas nützen, wenn auf die Ereignisse am Kölner Hauptbahnhof an Silvester mit vorhandenen Mitteln ganz schnell reagiert werden würde, sagte der Jugendrichter in Brandenburg Andreas Müller. "Wir müssen zeigen, dass wir jede kleine Straftat sofort ahnden können." Von dem Ruf nach mehr Polizei und Richtern oder eine Verschärfung der Gesetze halte er nichts.

Andreas Müller im Gespräch mit Jochen Spengler |
    Der Jugendrichter und Autor Andreas Müller
    Der Jugendrichter und Autor Andreas Müller fordert ein Zentralregister, wo jedes Ermittlungsverfahren eines jungen Menschen sofort registriert werden. (picture alliance / dpa / Horst Galuschka)
    Jochen Spengler: Auch die SPD mag der CDU in Sachen Gesetzesverschärfungsrhetorik nicht nachstehen. Von Kuba aus erklärte SPD-Chef Sigmar Gabriel, dass man Gesetze ändern werde, wenn es nötig sei, man müsse alle Möglichkeiten ausloten, um kriminelle Asylbewerber in ihre Heimat zurückzuschicken. SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann meinte kurz und bündig:
    Thomas Oppermann: Da gibt es nur eins: schnell aufklären, die Betroffenen festnehmen, hart bestrafen und wenn möglich auch abschieben.
    Spengler: Aber das ist aus Gründen, die von deutschen Politikern nicht zu ändern sind, einfach oft nicht möglich. Am Telefon ist Andreas Müller, Jugendrichter in Brandenburg und Buchautor, eines mit dem Titel "Schluss mit der Sozialromantik". Darin zieht er Bilanz nach 20-jähriger Erfahrung mit jugendlichen Straftätern und Intensivtätern. Guten Morgen, Herr Müller!
    Andreas Müller: Guten Morgen, Herr Spengler!
    "Beschleunigte Verfahren und die Leute vor die Strafrichter und Jugendrichter bringen"
    Spengler: Wie sollten wir umgehen mit jenen Jugendlichen aus Marokko, Algerien, Tunesien oder Syrien, die nicht nur vor dem Kölner Hauptbahnhof Passanten die Handys und Geldbörsen stehlen, sondern die möglicherweise Silvester gegenüber Frauen sexuell gewalttätig wurden? Was halten Sie von den nahezu reflexhaften Vorschlägen der Politiker, die Gesetze weiter zu verschärfen und schneller abzuschieben?
    Müller: Ja, reflexartig, das Wort ist richtig. Das passiert immer, wenn wir Jugendgewalt haben. Wenn wir auf irgendeine Art Geschichten haben, die durch die Öffentlichkeit gehen, wo die Bevölkerung empört ist und zu Recht empört ist, dann kommen die Rufe: Verschärfung, Verschärfung, Verschärfung. Diese Verschärfungsrufe sind schön, sie sind populistisch, man freut sich darüber, aber bringen in der Sache eigentlich nichts.
    Spengler: Was bringt denn was?
    Müller: In der Sache müssen wir sehen, dass es hier überwiegend wohl junge Leute sind, aber auch Leute, die vor allgemeine Strafgerichte gehören. Es bringt was, wenn wir mit den bereits vorhandenen Mitteln ganz, ganz schnell auf das Verhalten reagieren. Das heißt, ermitteln, ermitteln, ermitteln, schnell Verfahren, beschleunigte Verfahren, nach Jugendrecht beschleunigte Verfahren und die Leute vor die Strafrichter und Jugendrichter bringen.
    Spengler: Lassen Sie mich da kurz einhaken: Was bringen denn allein schnellere Verfahren? Wieso ist das Schnell so wichtig?
    Müller: Das Schnell ist deshalb wichtig, weil sich das in der Szene herumspricht. Ich hab das immer exerziert im Zusammenhang mit rechtsradikalen Übergriffen. Schnell bedeutet, die Leute wissen, da passiert was, und wenn ich irgendwie ein Handy raube, dann kann ich am nächsten Tag im Knast sitzen. Und so sagt man sich: Passiert ja nichts, passiert ja nichts, passiert ja nichts, ich kann weitermachen. So schafft man Intensivtäter auch in dieser Szene.
    Spengler: Warum sind wir denn so langsam?
    Müller: Wir schreien immer, es muss schnell gehen, wenn es eben solche Vorfälle gibt, aber Konzepte, wie sie ja vorliegen nach dem Neuköllner Modell von Kirsten Heisig, werden dann nicht umgesetzt.
    Spengler: Ich kenn das nicht, was ist das, Neuköllner Modell von Kirsten Heisig?
    Müller: Das ist zum Beispiel bei Jugendlichen, dass die innerhalb von vier Wochen dann tatsächlich zum Jugendrichter kommen und auch mit Arrest bestraft werden können. Formell arbeitet da die Polizei mit der Staatsanwaltschaft und den Jugendgerichten zusammen. Es gibt eine Vernetzung, und es wurde in Berlin gemacht, in Teilen von Bayern auch, aber bundesweit nicht umgesetzt.
    Spengler: Warum nicht?
    Müller: Ja, warum nicht. Weil man immer danach ... wenn es einen Vorfall gibt, dann sagt man, ja, wir müssen schneller sein, und dann vergisst man das wieder. Und dann geht es wieder in die alte Geschichte hinein, weil es passiert ja nichts ...
    Spengler: Ist das bequemer, oder wie muss man sich das vorstellen?
    Müller: Ich verstehe es im Grunde genommen selber nicht, warum es nicht umgesetzt wird. Das bedeutet auch Druck durch die Politik, die müssen tatsächlich sagen, wir wollen das, und müssen dann am Anfang natürlich auch Personal dafür zur Verfügung stellen.
    "Jeder Täter, der schnell verurteilt wird, der hat den Schuss vorn Bug"
    Spengler: Also es könnte sein, dass es daran liegt, dass es zu wenig Polizisten, zu wenig Staatsanwälte, zu wenig Richter gibt?
    Müller: Nein, am Anfang bedeutet das ein bisschen mehr Arbeitskraft, aber am Ende rechnet sich das, weil jeder Täter, der schnell verurteilt wird, der hat den Schuss vorn Bug, und der weiß, wenn ich noch was mache, dann krieg ich richtig heftig mal einen mit. Dieser Ruf im Moment nach mehr Polizeibeamten, nach mehr Richtern, den teile ich so nicht. Natürlich ist die Polizei manchmal unterfordert, aber hier jetzt irgendwelche Schuldvorwürfe dahingehend zu machen, ja, die Polizei war am Silvesterabend nicht genügend aufgestellt, ja, das sind vielleicht Fehlurteile gewesen im Vorfeld, die Situation wurde falsch eingeschätzt. Aber jetzt der bloße Ruf nach mehr Polizei und Verstärkung derselben, das bringt es nicht. Wir müssen zeigen, dass wir jede kleine Straftat sofort ahnden können.
    Spengler: Aber das kann man natürlich nur dann, wenn die Polizei auch genügend Beweise liefert, das heißt, sie muss schon präsent sein, sie muss schon richtig ausgestattet sein, um dann solche Täter auch zu überführen.
    Müller: Aber natürlich, das ist klar, das muss der Fall sein. Ich bin jetzt kein Polizeifachmann, aber wenn ich auf der anderen Seite die Polizeigewerkschaften höre, die dann sagen, wir müssen jeden kleinen Kiffer weiterhin verfolgen, dann sollen sie mal schauen, ob es nicht andere Möglichkeiten des Einsparens gibt.
    Spengler: Ja. Zu den Strafen selbst: Müssen die Strafen auch abschrecken? Wie drastisch sollten sie zum Beispiel ausfallen für sogenannte Bagatelldelikte wie Taschendiebstahl?
    Müller: Ja, ich denke schon, man sollte hier den Leuten tatsächlich zeigen, ja, hier wird heftig geurteilt. Und ich glaube, dass das die Richter auch machen werden. Die werden auch Bewährungsstrafen nicht ohne Weiteres verhängen. Es gibt Paragrafen im Gesetz, die lauten, bei Verteidigung der Rechtsordnung gibt es keine Bewährung, und ich denke, das wird angewendet und die Staatsanwaltschaft wird entsprechend beantragen.
    "Wir brauchen ein Zentralregister, wo jedes Ermittlungsverfahren eines jungen Menschen sofort registriert wird"
    Spengler: Nun hat aber doch die Öffentlichkeit oft den Eindruck, dass viele ihrer Richterkollegen beim Ausloten des Spielraums, den sie haben, arg viel Verständnis für Straftäter haben.
    Müller: Nein, das glaube ich so nicht, jetzt eine Justizkritik daraus zu machen. Erst mal ist es so: Wenn ein Richter nur einen kleinen Dieb vor sich hat und nichts Weiteres über ihn weiß, dann wird er den kleinen Dieb wie einen kleinen Dieb beurteilen. Und da setze ich an mit der Forderung, die ich auch in meinem Buch erhoben habe vor zwei Jahren: Wir brauchen ein Zentralregister, wo jedes Ermittlungsverfahren eines jungen Menschen, egal welcher Couleur, welcher Hautfarbe, sofort registriert wird. Dann weiß auch der Jugendrichter und der Polizist in Hamburg, der ist in Köln in Erscheinung getreten, der ist in Berlin in Erscheinung getreten, der ist in Wuppertal in Erscheinung getreten, und dann kann man sicherlich auch anders urteilen.
    Spengler: Da haben Sie mich gleich schon überzeugt. Warum haben wir denn so ein Register nicht längst?
    Müller: Wir haben das ein bisschen bei der Bundespolizei bei Hooligans, intern, aber ich weiß es auch nicht. Ich hab das angemahnt, ich hab das Ministern gesagt, macht das doch, das wurde auch geprüft, das weiß ich, im Justizministerium. Wir haben ein föderales System - wenn ich in Brandenburg jemand habe, weiß ich nicht, ob der am Tag zuvor bereits in Berlin wieder was gemacht hat.
    Spengler: Ja, das habe ich verstanden, aber was ich nicht verstanden habe, ist, wieso wir so ein Strafregister nicht längst haben?
    Müller: Ja, ich hoffe, es kommt jetzt. Vielleicht hört ja der ein oder andere Politiker zu oder liest mal das Buch. Ich hab das so gemacht mit rechtsradikalen Straftätern. Wir sind nicht vernetzt. Ich gebe meinetwegen ein, dieser Täter, es könnte ja sein, dass einer dieser Täter bei mir in meinem Kiez wohnt und ich krieg den und ich gebe dem die Weisung, er darf den Kiez nicht mehr verlassen oder er darf dies und jenes machen - das erfährt der Polizeibeamte in Köln nicht und auch nicht der in Berlin.
    Spengler: Es ist noch viel zu tun. Danke schön, Andreas Müller, Jugendrichter in Brandenburg, Buchautor, einen schönen Samstag wünsche ich Ihnen!
    Müller: Ich Ihnen auch, ich danke Ihnen!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.