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Nahost-Konflikt
"Eine Schande für Deutschland"

Angesichts der gescheiterten Verhandlungen zwischen Israel und den Palästinensern hat der Nahost-Experte Michael Lüders den Westen aufgefordert, mehr Druck auf die israelische Regierung auszuüben. Im Deutschlandfunk appellierte er vor allem an die Bundesregierung, ihre Politik gegenüber Israel zu überdenken.

Michael Lüders im Gespräch mit Christine Heuer |
    Michael Lüders , aufgenommen am 14.10.2011 auf der 63. Frankfurter Buchmesse in Frankfurt am Main.
    Der Nahost-Experte Michael Lüders (dpa / Arno Burgi)
    Der Nahost-Konflikt werde noch weiter schwelen, er werde immer brutaler, grausamer, sagte Michael Lüders im Deutschlandfunk. Nach Angaben der Vereinten Nationen werde der Gazastreifen im Jahr 2020 nicht mehr bewohnbar sein, weil es dort eine ökologische Katastrophe geben wird. Man könne nicht mehr nur einfach zuschauen. Zur deutschen Staatsräson gehöre auch, dass man den Freunden Israels sage: "Bestimmte Dinge gehen nicht". Die Bundesregierung sei in der Lage, klare Kante zu zeigen, auch gegenüber den Freunden Israels, aber sie habe nicht den Mut, dieses zu tun und das sei bedauerlich.
    Lüders sieht im Moment nicht die Bereitschaft in der deutschen Politik, eine Neuorientierung vorzunehmen. Es sei ja nicht einmal der Mut vorhanden, einen Ausdruck des Bedauerns darüber zu tätigen, dass so viele Zivilisten getötet worden seien im Gazastreifen. Das sei eine Schande für ein Land wie Deutschland.
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    Das Interview in voller Länge:
    Christine Heuer: Israel und die Hamas schießen wieder aufeinander, noch vor Ablauf der letzten Waffenruhe, auf die beide Seiten sich geeinigt hatten, wurden Raketen aus dem Gazastreifen abgefeuert, das israelische Militär fliegt wieder Angriffe und konzentriert sich dabei gegenwärtig offenbar auf die Zerstörung bestimmter Wohnhäuser. Gestern Abend nahmen die Israelis das Haus von Mohammed Deif ins Visier, der Hamas-Militärchef gilt Israel als Staatsfeind Nummer eins. Wolf Siebert über den neu entbrannten Gaza-Krieg.
    Der Bericht von Rolf Siebert. Am Telefon ist Michael Lüders, Nahostexperte, selbstständiger Publizist – guten Tag, Herr Lüders!
    Michael Lüders: Schönen guten Tag, hallo!
    Heuer: Der Krieg geht also weiter. War etwas anderes überhaupt jemals zu erwarten?
    Lüders: Nicht, solange es keine politische Lösung gibt für diesen Konflikt. Und das, was die Hamas verlangt, und mit ihr auch gemäßigte Palästinenser im Westjordanland, das ist ein Ende der Blockade des Gazastreifens, ist die Öffnung der Grenze, ist eine Wiederannäherung der Volkswirtschaften im Westjordanland mit dem Gazastreifen. Aber dazu ist man auf israelischer Seite nicht bereit, solche Zugeständnisse zu geben. Man hat gerade einmal den Fischern im Gazastreifen, über eine halbe Meile weiter hinaus ins Mittelmeer zu fahren, mehr nicht. Das reicht der Hamas nicht. Und solange es hier keine Lösung gibt, wird dieser Krieg auch weitergehen.
    Heuer: Herr Lüders, aber mal im Ernst, würden Sie Israel denn raten, das zu tun, die Gaza-Blockade aufzuheben angesichts der Aggression aus Gaza?
    Israel kann die Hamas nicht besiegen
    Lüders: Ein Konflikt wie dieser ist komplex, und es gibt natürlich mehr als nur einen Verantwortlichen. Aber man muss doch klar sagen, dass die Feuerpause zwischen der Hamas und Israel gehalten hat seit der letzten Vereinbarung im Dezember 2012 bis jetzt in den letzten Monat hinein, Juli 2014, nachdem die israelische Armee einen Führer der Hamas, so wie es jetzt gerade wieder geschehen ist, im Norden des Gazastreifens getötet hatte. Zuvor waren drei israelische Jugendliche entführt und ermordet worden, dafür hat man die Hamas verantwortlich gemacht. Erst von dem Moment an begann die Hamas wieder, Israel zu beschießen. Vorher gab es Monate des Friedens, aber man hat sie nicht genutzt, um eine Lösung zu finden, und jetzt hat sich der Konflikt wieder entladen. Wer sollte jetzt den ersten Schritt machen, der eine auf den anderen zugehen, der andere auf den einen? – klar ist, von alleine wird es keine Bewegung geben. Die westliche Politik wäre gefordert, reagiert aber nicht.
    Heuer: Sie haben das Bombardement des Hauses vom Hamas-Militärchef Deif erwähnt. Ist das eine neue Eskalation? Wird das die Dinge weiter hochschrauben?
    Lüders: Als Ende Juli die israelische Luftwaffe einen anderen Hamas-Führer getötet hatte, war das der letzte Funken, der das Pulverfass zur Explosion gebracht hat. Von dem Moment an begann das Bombardement Israels, und ich nehme an, dass die israelischen Militärs diese Tat, diesen versuchten Mord, wie es die israelische Zeitung "Haaretz" nennt, veranlasst haben, wissen, dass sie damit die Chancen auf eine diplomatische Lösung nicht gerade erhöhen. Und das Dilemma ist, dass die israelische Seite glaubt, sie könne die Hamas militärisch besiegen. Das kann sie aber nicht.
    Heuer: Kann sie nicht – warum nicht?
    Lüders: Das kann sie deswegen nicht, weil sie zu stark geworden ist. Sie ist, nicht zuletzt aufgrund der über 2.000 Toten, die es gegeben hat, davon die allermeisten Zivilisten, mittlerweile die einzige Institution, mit der sich die Menschen im Gazastreifen identifizieren können. Sie ist nicht geschwächt, sondern gestärkt worden. Und vergessen wir nicht, seit 1987 im Zuge der ersten Intifada die Hamas entstand, damals aktiv unterstützt von der israelischen Seite, um die PLO und die Fatah unter der damaligen Führung zu schwächen, Jassir Arafat, da hat man geglaubt, man könnte die Hamas kontrollieren auf Dauer. Das ist aber nicht gelungen. Sie ist immer stärker geworden. Und es bedarf einer politischen Lösung, die wird es aber nicht geben, und es ist unklug, mit ihr nicht reden zu wollen, auch von europäischer Seite nicht mit der Hamas reden zu wollen. Es ist eine Organisation, die man wahrhaftig nicht schätzen muss. Sie hat eine fragwürdige Ideologie, ein sehr fragwürdiges Verständnis von Theologie, aber die Menschen in ihrer Ausweglosigkeit orientieren sich an der Hamas. Das kann man durch Bomben nicht lösen.
    Heuer: Also die Hamas gewinnt jeden Krieg, und sei es auch nur psychologisch, da verstehe ich Sie richtig. Aber was raten Sie denn nun Israel in dieser Situation?
    Relaunch der eigenen Politik empfohlen
    Lüders: Tja, im Grunde genommen einen kompletten Relaunch der eigenen Politik. Es gab ja Friedensgespräche über Jahre hinweg. Die sind alle in einer Sackgasse gemündet, zuletzt im April hat John Kerry, der amerikanische Außenminister, die Friedensgespräche für gescheitert erklärt. Bei diesen Friedensgesprächen wurde der Gazastreifen nicht einmal behandelt. Es ging nur um das Westjordanland. Die sind gescheitert, die Verhandlungen, weil, so John Kerry, die Siedlungspolitik kein Thema sei für die israelische Politik. Es gibt in Israel mittlerweile eine starke Dominanz in der Politik und in der Gesellschaft, die glaubt, man könne mit den Palästinensern nicht reden, keine Kompromisse schließen, man müsse eine Politik der militärischen Härte führen. Aber was soll geschehen mit den sechseinhalb Millionen Palästinensern, die unter israelischer Besatzung leben? Diese Frage beantwortet kein israelischer Politiker. Das geht nicht mit militärischer Gewalt. Man kann ein anderes Volk nicht dauerhaft kujonieren. Nur diese Einsicht ist der israelischen Politik nicht gegeben, und da es keinen Druck gibt von westlicher Seite, hat die israelische Regierung auch keinen Anlass, ihre Strategie zu überdenken.
    Heuer: Herr Lüders, jetzt sprechen Sie das dritte Mal das Ausland an, mögliche Vermittler, Staaten, die möglicherweise Druck ausüben können. An wen richten sich Ihre Appelle da vor allen Dingen? An die USA? Sie haben die Europäer erwähnt – was sollen die Europäer da ausrichten? Spielen die überhaupt eine Rolle?
    Lüders: Die Europäer könnten eine Rolle spielen, könnten sich auch lösen von der zu engen Verflechtung amerikanischer Politik und israelischer Politik. Sie sind aber dazu nicht geneigt. Die Europäer folgen der amerikanischen Linie, und das ist nicht nachvollziehbar. Denken wir nur an die Milliardeninvestitionen, die mit Steuergeldern der Europäischen Union auch von uns Deutschen im Gazastreifen geleistet worden sind. Unter anderem ist dort ein Flughafen gebaut worden – alles komplett zertrümmert von der israelischen Armee. Es ist vielen Beobachtern ein Rätsel, warum die Europäische Union nicht dieses jemals der israelischen Regierung in Rechnung gestellt hat. Stattdessen hat die Bundesregierung gerade beschlossen, drei weitere U-Boote nach Israel zu liefern, die atomar bestückt werden können. Das kostet den hiesigen Steuerzahler 400 Millionen Euro. 400 Millionen an Subventionen – muss das sein, in einer solchen Situation, wo wir doch offiziell keine Waffen in Kriegsgebiete exportieren.
    Heuer: Da würde Ihnen jetzt die Bundesregierung mit der Staatsräson Deutschlands antworten. Aber ich würde Sie gerne noch mal fragen, wer, Herr Lüders, soll es denn richten? Oder reden wir einfach noch Jahrzehnte immer wieder über diesen unauflösbaren, offensichtlich unauflösbaren Konflikt?
    Der Konflikt ist lösbar
    Lüders: Er ist lösbar, dieser Konflikt, und jeder weiß, wie er zu lösen wäre: indem es einen palästinensischen Staat gibt an der Seite Israels. Nachfolgende israelische Regierungen haben aber alles dafür getan, dass es diesen Staat nicht geben wird. Und da die Europäer und die Amerikaner die israelische Regierung in dieser Frage nicht in die Pflicht nehmen, keinerlei Druck auf die israelische Regierung ausüben, hat die Regierung Netanjahu keine Veranlassung, ihren Kurs zu ändern. Dieser Konflikt wird noch weiter schwelen, er wird immer brutaler, immer grausamer werden. Die Menschen werden einen hohen Preis bezahlen. Die Vereinten Nationen sagen, dass im Jahr 2020 der Gazastreifen nicht mehr bewohnbar sein wird, weil es dort eine ökologische Katastrophe geben wird. Kein Wasser mehr trinkbar, keine landwirtschaftlichen Flächen mehr zu bebauen. Wir können nicht mehr nur einfach zuschauen und zur Staatsräson, der deutschen Staatsräson gehört sicherlich auch, dass man den Freunden Israels in aller Freundschaft sagt, bestimmte Dinge gehen nicht. Internationale Rechtsnormen gelten auch für euch. Die Bundesregierung ist in der Lage, klare Kante zu zeigen, auch gegenüber den Freunden Israels, aber sie hat nicht den Mut, dieses zu tun, und das ist bedauerlich, denn es kann nicht sein, dass wir auf eine zu einseitige Art und Weise eine Politik in Israel unterstützen, die auch den gemäßigten Kräften in Israel in den Rücken fällt. Es ist ja mittlerweile für linksliberale Journalisten beispielsweise geradezu gefährlich geworden, offen Kritik an dieser israelischen Politik zu üben. Gideon Levy von "Haaretz" ist dafür das prominenteste Beispiel.
    Heuer: Herr Lüders, wie optimistisch sind Sie, dass jemand diesem Appell, der ja nicht nur von Ihnen, aber jetzt eben gerade aktuell von Ihnen kommt, Folge leisten wird?
    Lüders: Politik ist eigentlich nur dann lernfähig, wenn Druck da ist, sich so sehr aufbaut, dass Veränderungen erzwungen werden. Ich sehe im Moment nicht die Bereitschaft in der deutschen Politik eine Neuorientierung vorzunehmen. Es ist ja nicht einmal der Mut vorhanden, einen Ausdruck des Bedauerns darüber zu tätigen, dass so viele Zivilisten getötet worden sind im Gazastreifen. Nicht einmal dazu reicht der Mut. Das ist eine Schande für ein Land wie Deutschland. Das heißt ja nicht, dass man mit Israel bricht, dass man Israel nun auf unangemessene Art und Weise kritisiert. Aber Schweigen im Angesicht dieser Tragödie, die die Palästinenser im Gazastreifen durchleben, das kann man nicht. Und es ist auch zu einfach, nur die Hamas verantwortlich zu machen und zu sagen, sie haben diesen Konflikt allein herbeigeführt. Es gehören immer zwei zum Tango, und die israelische Seite hat auch ihre Verantwortung zu tragen.
    Heuer: Der Nahostexperte Michael Lüders. Ich danke Ihnen für das Interview!
    Lüders: Vielen Dank!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.