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Nahost-Konflikt
"Wir schaffen es nicht alleine"

Der Berater von Palästinenser-Präsident Abbas, Abdallah Frangi, ruft die USA und die EU auf, im Konflikt mit Israel wieder zu vermitteln. Für ein Ende der Zusammenarbeit mit der Hamas sieht er keinen Grund: Es gebe keine Beweise dafür, dass sie hinter dem Mord an den drei israelischen Schülern stecke, sagte Frangi im DLF.

Abdallah Frangi im Gespräch mit Dirk Müller |
    Der palästinensische Politiker und Schriftsteller Abdallah Frangi spricht am Samstag (17.03.2012) auf der Buchmesse in Leipzig.
    Abdallah Frangi, außenpolitischer Berater von Palästinenser-Präsident Abbas (dpa / Arno Burgi)
    Frangi verteidigte im Deutschlandfunk die Zusammenarbeit zwischen den Palästinenserorganisationen Fatah und Hamas. Bevor die Palästinenser im Friedensprozess mit Israel weiterkommen könnten, müssten sie den Versöhnungsprozess untereinander schaffen, so Frangi. Die Palästinenser müssten mit einer Stimme sprechen. Solange eine Beteiligung der radikal-islamischen Hamas an der Ermordung der drei israelischen Schüler nicht nachgewiesen sei, sehe er keinen Grund, die Zusammenarbeit in Frage zu stellen.
    Israel macht die Hamas für die Tat verantwortlich. Frangi bezweifelte im Interview jedoch, dass diese hinter der Tat stecke. Bisher habe sie sich immer zu ihren Aktionen bekannt.
    Die USA und die EU rief Frangi auf, im Nahost-Konflikt wieder zu vermitteln. Das Vorgehen Israels in den besetzten Gebieten habe zu einer Radikalisierung auf palästinensischer wie auf israelischer Seite geführt. "In dieser Stimmung kann nur ein Dritter helfen", sagte Frangi.

    Das Interview in voller Länge
    Dirk Müller: Die Eltern der entführten Jungen waren Stunden vorher von Benjamin Netanjahu am Telefon informiert worden. Die schlimmsten Befürchtungen musste der israelische Premier bestätigen. Alle drei Jugendlichen sind tot aufgefunden worden, kurzerhand vergraben, ganz in der Nähe von Hebron, also da, wo sie vor knapp drei Wochen entführt worden waren. Für die Regierung in Jerusalem ist die Sache klar: Die Hamas steckt demnach hinter der Entführung, hinter den Morden. Benjamin Netanjahu kündigte Vergeltung an. Zwei Hamas-Aktivisten werden als Täter gesucht, von der Polizei, von Tausenden Soldaten, vom israelischen Geheimdienst. Die israelische Luftwaffe hat auch in den vergangenen Stunden weitere Ziele im Gazastreifen bombardiert.
    So wächst auch der Druck auf Palästinenser-Präsident Abbas, seine Zusammenarbeit mit der Hamas abzubrechen, bei der Aufklärung zu helfen. Abdallah Frangi ist persönlicher Berater von Mahmud Abbas, er ist jetzt bei uns am Telefon. Guten Morgen.
    Abdallah Frangi: Guten Morgen.
    Müller: Herr Frangi, würden Sie jetzt auch vergelten?
    Frangi: Was heißt vergelten?
    Müller: Vergeltung üben, wie Benjamin Netanjahu das angekündigt hat.
    Frangi: Wissen Sie, ich meine, der Netanjahu macht immer die Politik, die er will, und der fragt nicht mal Präsident Abbas vorher, was wir gemeinsam machen können, und er distanziert sich auch von der Zusammenarbeit mit Präsident Abbas. Er hat ihn beschuldigt jetzt, Verantwortung dafür zu tragen, für die Ermordung der Jungs, und er hat ihn beschuldigt, durch den Versöhnungsprozess mit Hamas sich auf der Seite der Terroristen zu befinden. Was er damit meint ist klar: Er akzeptiert Hamas nicht als einen Partner oder als einen Partner für Präsident Abbas.
    Wir sind Palästinenser und bevor wir diesen Versöhnungs- und Friedensprozess mit den Israelis schaffen, müssen wir auch untereinander diesen Versöhnungsprozess schaffen. Und wenn wir das täten, dann sind wir stärker für den Frieden und nicht umgekehrt, und das ist die Politik von Präsident Abbas, die er verfolgt und wo er bis jetzt Unterstützung von der gesamten Welt dafür bekommt.
    Müller: Herr Frangi, Sie sagen ja immer, auch in vielen unserer Gespräche, man muss in der Lage sein, sich auch in die Situation des anderen zu versetzen. Versuchen wir das jetzt einmal. Benjamin Netanjahu, wenn Sie jetzt auf ihn blicken: Hat er eine andere Wahl, als jetzt zur Gewalt zu greifen?
    Weniger Besatzungspolitik hätte Netanjahu mehr Vertrauen gebracht
    Frangi: Ich würde so sagen: Netanjahu hatte von Anfang an die Möglichkeit gehabt, weniger Besatzungspolitik zu betreiben in den palästinensischen Gebieten, weniger Siedlungspolitik zu bauen, und dann hätte er auch mehr Vertrauen seitens der Palästinenser bekommen und vielleicht auch mehr Unterstützung für bestimmte Maßnahmen, die dazu führen könnten, dass so was nicht passiert.
    Müller: Wie ist die Situation denn jetzt nach dem Mord an den drei Jugendlichen? Wie soll Israel reagieren?
    Frangi: Ich meine, jetzt wäre es so weit. Er hat ja versucht, mit all diesen Maßnahmen, die dazu geführt haben, dass mehr Radikalisierung aufseiten der Palästinenser, aber auch aufseiten der Israelis kommt, und in dieser Stimmung kann nur ein Dritter helfen und dieser Dritte ist in diesem Falle die USA und die europäische Gemeinschaft, dass sie sich dafür so schnell wie möglich einsetzt und dass sie uns nicht alleine überlassen. Wir schaffen es nicht alleine, wir werden nicht zu einem Frieden kommen können jetzt, solange wir von Aktionen und Reaktionen abhängig sind.
    Müller: Amerikaner und Europäer haben ja gesagt, Vermittlung nur wieder dann, wenn es ernsthafte Aussichten auf eine mögliche Friedenslösung gibt.
    Frangi: Ja gut. Ich meine, wir sind auch bereit dazu. Wir sind die sichere Seite und wir sind nicht in der Lage, so zu reagieren mit militärischen Mitteln, die so stark sind wie die israelischen. Das heißt, wir waren immer abhängig davon und wir waren darauf angewiesen und wir haben bis jetzt die Amerikaner und die Europäer gebeten, dass sie uns helfen, die Abmachungen, die wir mit den Israelis unterschrieben hatten seit 1994, hier umsetzen zu können, oder dass sie akzeptiert werden von den Israelis und dass sie auch mit uns den Weg des Friedens einfach gemeinsam machen.
    Müller: Herr Frangi, reden wir über die konkrete jetzige aktuelle Situation. Am Montag sind die drei Leichen der Jungen entdeckt worden.
    Frangi: Ja.
    Müller: Israel ist empört und reagiert dementsprechend. Das wiederum trifft auf heftige Kritik von der palästinensischen Seite. Von Kollektivhaftung oder Sippenhaft ist da auch die Rede. Muss Mahmud Abbas als ein Signal, auf Israel zuzugehen, jetzt die Zusammenarbeit mit der Hamas beenden?
    Hamas hat kein Interesse an einer großen Konfrontation jetzt
    Frangi: Ich meine, er hat ja die Zusammenarbeit mit den Israelis beendet und er hat alles getan, was die Israelis verlangt haben, wie die politische Entscheidung, jetzt weg von Hamas zu gehen. Ich meine, es gibt keinen Beweis dafür, dass Hamas jetzt hinter dieser Aktion steht. Hamas hat logischerweise immer, wenn sie was getan haben in dieser Richtung, sofort die Verantwortung übernommen und versucht, auch zu verhandeln mit den Israelis. Und die Hamas steht übrigens in Waffenstillstand mit den Israelis, das, was der Präsident Mursi damals vereinbart hat, und sie haben bis jetzt diesen Waffenstillstand nicht gebrochen und sie möchten auch nicht und sie wollen auch nicht. Hamas hat kein Interesse an einer großen Konfrontation jetzt. Ich will nicht den Eindruck erwecken, dass ich die Politik von Hamas unterstütze, aber ich will damit nur sagen, dass die Israelis einen Waffenstillstand mit Hamas hatten, bevor wir diesen Versöhnungsprozess gemacht haben mit Hamas. Das heißt, wenn sie wirklich der Meinung sind, dass Hamas dahinter war, warum haben sie die ganze Zeit geschwiegen? Warum haben sie einfach keine Maßnahmen vorher ergriffen für die Weltgemeinschaft? Warum gehen die Israelis nicht zu den Weltinstitutionen, die zuständig dafür sind? Warum müssen sie immer alleine Entscheidungen treffen und uns alle dahinter ziehen?
    Müller: Herr Frangi, ich muss Sie noch was fragen, muss Sie hier noch mal unterbrechen. Sie gehen davon aus, dass die Hamas nicht hinter dieser Entführung steckt?
    Frangi: Ich werde es so sagen: Hamas hat bis jetzt solche Aktionen immer erklärt, und sie sagen, wir haben auch keine Angst und sie tun das, und sie haben das bewiesen. Diesen einen Soldaten haben sie festgehalten über mehrere Jahre und dann haben sie den ausgetauscht mit palästinensischen Flüchtlingen. Das ist die Politik von Hamas.
    Müller: Jetzt noch einmal die Frage, Herr Frangi: Wird Mahmud Abbas die Zusammenarbeit definitiv auf Eis legen? Wird er definitiv Konsequenzen ziehen?
    Frangi: Mit wem auf Eis legen?
    Müller: Mit Hamas.
    Frangi: Nein.
    Müller: Das heißt, es geht weiter?
    "Dieser Konflikt kann nur befriedet werden, wenn die Palästinenser auf einer Seite sind"
    Frangi: Nein. Das ist gar keine Frage eigentlich, die die Politik machen kann im Nahen Osten. Wir sind so in einem Konflikt und dieser Konflikt kann nur befriedet werden, wenn die Palästinenser auf einer Seite sind. Wir vertreten ein Volk und wir haben jetzt die Dummheit gehabt, dass wir uns getrennt voneinander so viele Jahre haben, und jeder Mensch hat uns empfohlen, zurückzukommen zu einem Versöhnungsprozess: die Europäer, Frau Merkel, der amerikanische Präsident. Alle haben uns aufgefordert, jetzt macht mal, dass ihr nicht mit zwei Stimmen redet, und jetzt haben wir es getan und wir müssen weiter machen und die Schwierigkeiten, die auftauchen, müssen gemeinsam jetzt beantwortet werden. Wenn wir es tun, dann müssen wir gleichberechtigte Haltung von den Israelis erwarten, dass sie mit uns so reden als gleichberechtigte Partner, damit wir auch unsere Entscheidungen mitgestalten können und nicht Vorschriften zu befolgen haben.
    Müller: Herr Frangi, jetzt haben wir wirklich nur noch zehn Sekunden. Ich möchte Sie das noch mal fragen. Das heißt, selbst wenn sich das herausstellen sollte, dass die Hamas dahinter steckt, würden Sie weiter mit der Hamas zusammenarbeiten?
    Frangi: Ich meine, wenn Hamas hinter dieser Aktion steckt, dann besteht auch keine Chance, dass man hier zusammenarbeitet. Aber ich sage es Ihnen: Ich habe das Gefühl, ich bin jetzt die ganze Zeit in Gaza und ich habe auch diese Kontakte mit der Hamas, und ich glaube, sie sind gewillt, jetzt diesen Friedensprozess mit uns und mit der Weltgemeinschaft zu machen.
    Müller: Jetzt kommt schon die Musik im Hintergrund, wir müssen leider aufhören beziehungsweise unser Gespräch beenden.
    Frangi: Schade.
    Müller: Abdallah Frangi bei uns live im Deutschlandfunk, der Berater von Mahmud Abbas. Vielen Dank und Ihnen einen schönen Tag.
    Frangi: Ich danke Ihnen auch. Tschüss!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.