Reichskanzler Heinrich Brüning war sich im Sommer 1931 über den Ernst der Lage im Klaren:
"Alles muss geschehen, um Opfer und Kosten der Krise so gering wie möglich zu halten - um vorzusorgen, dass nach ihrer Beendigung alle Mittel für den Aufbau auf gesunder Grundlage vorhanden sind."
Der deutsche Reichskanzler war nicht der Einzige, der im Sommer 1931 um das Land fürchtete. In Köln etwa warf der junge Soziologe Raymond Aron einen Blick in den Abgrund, auf den das Deutsche Reich zusteuerte.
"Es stand mir deutlich vor Augen, dass die 'Titanic' den Eisberg schon gerammt hatte, es kam jetzt nur noch darauf an, welche Lehren daraus gezogen wurden, um zu retten, was noch zu retten war."
Genau darum geht es Liaquat Ahamed. Der einstige Investmentbanker und Berater von Hedgefonds-Firmen will in seinem großvolumigen Werk "Die Herren des Geldes" nicht nur die globale Geschichte der Großen Depression erzählen. Ahamed beleuchtet auch die Schlussfolgerungen, die aus der Krise gezogen worden sind. Es ist deren Spitzenpersonal, auf das sich der Wirtschaftswissenschaftler konzentriert, - mithin auf die Chefs der nationalen Zentralbanken in den seinerzeit wichtigsten Volkswirtschaften. Ihre Entscheidungen waren verhängnisvoll, so Ahamed, und bestimmend für Ausbruch und Verlauf der Krise. In einer atmosphärisch dichten, narrativen Meisterleistung stellt er die Protagonisten vor: Den komisch kauzigen und exzentrischen Montagu Norman als Chef der Bank of England, das offensichtlich typische Produkt wilhelminischer Erziehung und deutschen Fleißes in Gestalt des Reichsbankpräsidenten Hjalmar Schacht, den allzeit misstrauischen und fremdenfeindlichen Émile Moreau, seines Zeichens Leiter der Banque de France und bei der FED, der Federal Reserve Bank of New York schließlich der - nomen est omen - entscheidungsfreudige und vor Selbstvertrauen platzende Benjamin Strong. Nicht allein die Welt dieser Männer geriet mit Beginn des Ersten Weltkriegs aus den Fugen. Ahamed spricht vom Weltkrieg als einem "unerwarteten Sturm", wobei nicht der Krieg selbst überraschend kam. Unerwartet aber war seine Länge, die Hekatomben von Verwundeten und Toten - und seine gigantischen Kosten. Sie sollten wie im Versailler Vertrag bestimmt vom Deutschen Reich allein getragen werden. Diese Rechnung ging nicht auf. Wie auch, in einer Welt der starken finanziellen Ungleichgewichte: Die USA als Hauptschuldner aller am Weltkrieg beteiligten europäischen Staaten mussten zugleich die eigene Währung schützen und die Wirtschaft ankurbeln. Hohe Kreditvergaben, vor allem an Deutschland, und niedrige Zinsen führten quasi automatisch zu einer Spekulationsblase auf dem amerikanischen Aktienmarkt. Hinzu kam, wie es Ahameds Kronzeuge, der britische Meisterökonom John Maynyard Keynes schon 1919 formulierte, der Rückgriff aller verantwortlichen Zentralbankchefs auf das "barbarische Relikt" des Goldstandards. Das international gegen Ende des 19. Jahrhunderts eingeführte System fixierte den Wert jeder Währung auf eine bestimmte Menge Gold. Bis zum Beginn des Ersten Weltkriegs funktionierte das auch, nicht zuletzt deshalb, weil immer neue Goldfunde mit dem steigenden Geldbedarf in einer enorm wachsenden Wirtschaft Schritt zu halten vermochten. Aber, so Ahamed, niemand konnte garantieren, dass sich diese zufällige Entwicklung fortsetzte. Tatsächlich wies, so schreibt der Autor,
"Die Verteilung der Goldreserven nach 1918 ein schweres Ungleichgewicht auf, wobei der größte Teil der Reserven auf die USA entfiel. Das Ergebnis war ein untauglicher Goldstandard, der nicht mehr so problemlos und automatisch funktionieren konnte wie vor dem Krieg."
Das bekamen Großbritannien als wichtigste Stütze des Finanzsystems und vor allem die damals drittgrößte Volkswirtschaft, Deutschland, zu spüren. Sie verfügten nicht über genügend Edelmetall, das ihrer immensen Verschuldung entgegengesetzt werden konnte. Natürlich weiß Ahamed, dass die wirtschaftliche Depression der späten 1920er-Jahre nicht mit den Fehleinschätzungen der vier Bankpräsidenten allein zu erklären ist. Doch das ändert nichts an seinem Urteil, nach dem die Verantwortung für die Weltfinanzen in den Händen unfähiger Männer gelegen hatte. Aus dieser Eindeutigkeit bezieht das Buch seine pointenreiche Anschaulichkeit - und sie bleibt zugleich seine Schwäche. Denn es gibt keine allein gültige Ursache, die den Zusammenbruch eines Finanzsystems herbeiführt - das gilt für frühere Krisen ebenso wie für die heutige. Am Ende nährt Ahamed einen starken Verdacht: Könnte es sein, dass wir seit der Öffnung und Ausweitung der Aktienmärkte, der mehr oder weniger kontrollierten Spekulationsgeschäfte in einer finanziellen Dauerkrise leben? Die Studie legt dies nahe - und verliert doch die graduellen Unterschiede nicht aus den Augen. Denn, so Ahamed, in gewisser Weise ist
"Die derzeitige Krise noch bösartiger als etwa die Bankpaniken von 1931 bis 1933. In den 1930er-Jahren mussten sich die meisten Kunden physisch vor den Banken anstellen, um an ihr Geld zu kommen. Heute werden enorme Geldsummen mit einem Mausklick abgezogen. Andererseits haben Zentralbanken und Finanzministerien auf der ganzen Welt, die in gewisser Weise aus den Erfahrungen aus der großen Depression gelernt haben, mit einer Reihe gigantischer Liquiditätsspritzen in den Kreditmarkt reagiert und den Banken Kapital zur Verfügung gestellt."
Ahamed gelingt es, dem Leser vor dem Hintergrund der Weltwirtschaftskrise eine Ahnung davon zu geben, worum es bis heute geht: Nämlich weniger darum, eine neue Finanzkrise zu verhindern - das erscheint unmöglich -, sondern vielmehr darum, in den und mit den Krisen zu leben. Dass an ihnen wiederum sehr wenige sehr viel verdienen - das ist eine andere Geschichte.
Liaquat Ahamed: "Die Herren des Geldes. Wie vier Bankiers die Weltwirtschaftskrise auslösten und die Welt in den Bankrott trieben", FinanzBuch Verlag, 672 Seiten, 29, 90 Euro
"Alles muss geschehen, um Opfer und Kosten der Krise so gering wie möglich zu halten - um vorzusorgen, dass nach ihrer Beendigung alle Mittel für den Aufbau auf gesunder Grundlage vorhanden sind."
Der deutsche Reichskanzler war nicht der Einzige, der im Sommer 1931 um das Land fürchtete. In Köln etwa warf der junge Soziologe Raymond Aron einen Blick in den Abgrund, auf den das Deutsche Reich zusteuerte.
"Es stand mir deutlich vor Augen, dass die 'Titanic' den Eisberg schon gerammt hatte, es kam jetzt nur noch darauf an, welche Lehren daraus gezogen wurden, um zu retten, was noch zu retten war."
Genau darum geht es Liaquat Ahamed. Der einstige Investmentbanker und Berater von Hedgefonds-Firmen will in seinem großvolumigen Werk "Die Herren des Geldes" nicht nur die globale Geschichte der Großen Depression erzählen. Ahamed beleuchtet auch die Schlussfolgerungen, die aus der Krise gezogen worden sind. Es ist deren Spitzenpersonal, auf das sich der Wirtschaftswissenschaftler konzentriert, - mithin auf die Chefs der nationalen Zentralbanken in den seinerzeit wichtigsten Volkswirtschaften. Ihre Entscheidungen waren verhängnisvoll, so Ahamed, und bestimmend für Ausbruch und Verlauf der Krise. In einer atmosphärisch dichten, narrativen Meisterleistung stellt er die Protagonisten vor: Den komisch kauzigen und exzentrischen Montagu Norman als Chef der Bank of England, das offensichtlich typische Produkt wilhelminischer Erziehung und deutschen Fleißes in Gestalt des Reichsbankpräsidenten Hjalmar Schacht, den allzeit misstrauischen und fremdenfeindlichen Émile Moreau, seines Zeichens Leiter der Banque de France und bei der FED, der Federal Reserve Bank of New York schließlich der - nomen est omen - entscheidungsfreudige und vor Selbstvertrauen platzende Benjamin Strong. Nicht allein die Welt dieser Männer geriet mit Beginn des Ersten Weltkriegs aus den Fugen. Ahamed spricht vom Weltkrieg als einem "unerwarteten Sturm", wobei nicht der Krieg selbst überraschend kam. Unerwartet aber war seine Länge, die Hekatomben von Verwundeten und Toten - und seine gigantischen Kosten. Sie sollten wie im Versailler Vertrag bestimmt vom Deutschen Reich allein getragen werden. Diese Rechnung ging nicht auf. Wie auch, in einer Welt der starken finanziellen Ungleichgewichte: Die USA als Hauptschuldner aller am Weltkrieg beteiligten europäischen Staaten mussten zugleich die eigene Währung schützen und die Wirtschaft ankurbeln. Hohe Kreditvergaben, vor allem an Deutschland, und niedrige Zinsen führten quasi automatisch zu einer Spekulationsblase auf dem amerikanischen Aktienmarkt. Hinzu kam, wie es Ahameds Kronzeuge, der britische Meisterökonom John Maynyard Keynes schon 1919 formulierte, der Rückgriff aller verantwortlichen Zentralbankchefs auf das "barbarische Relikt" des Goldstandards. Das international gegen Ende des 19. Jahrhunderts eingeführte System fixierte den Wert jeder Währung auf eine bestimmte Menge Gold. Bis zum Beginn des Ersten Weltkriegs funktionierte das auch, nicht zuletzt deshalb, weil immer neue Goldfunde mit dem steigenden Geldbedarf in einer enorm wachsenden Wirtschaft Schritt zu halten vermochten. Aber, so Ahamed, niemand konnte garantieren, dass sich diese zufällige Entwicklung fortsetzte. Tatsächlich wies, so schreibt der Autor,
"Die Verteilung der Goldreserven nach 1918 ein schweres Ungleichgewicht auf, wobei der größte Teil der Reserven auf die USA entfiel. Das Ergebnis war ein untauglicher Goldstandard, der nicht mehr so problemlos und automatisch funktionieren konnte wie vor dem Krieg."
Das bekamen Großbritannien als wichtigste Stütze des Finanzsystems und vor allem die damals drittgrößte Volkswirtschaft, Deutschland, zu spüren. Sie verfügten nicht über genügend Edelmetall, das ihrer immensen Verschuldung entgegengesetzt werden konnte. Natürlich weiß Ahamed, dass die wirtschaftliche Depression der späten 1920er-Jahre nicht mit den Fehleinschätzungen der vier Bankpräsidenten allein zu erklären ist. Doch das ändert nichts an seinem Urteil, nach dem die Verantwortung für die Weltfinanzen in den Händen unfähiger Männer gelegen hatte. Aus dieser Eindeutigkeit bezieht das Buch seine pointenreiche Anschaulichkeit - und sie bleibt zugleich seine Schwäche. Denn es gibt keine allein gültige Ursache, die den Zusammenbruch eines Finanzsystems herbeiführt - das gilt für frühere Krisen ebenso wie für die heutige. Am Ende nährt Ahamed einen starken Verdacht: Könnte es sein, dass wir seit der Öffnung und Ausweitung der Aktienmärkte, der mehr oder weniger kontrollierten Spekulationsgeschäfte in einer finanziellen Dauerkrise leben? Die Studie legt dies nahe - und verliert doch die graduellen Unterschiede nicht aus den Augen. Denn, so Ahamed, in gewisser Weise ist
"Die derzeitige Krise noch bösartiger als etwa die Bankpaniken von 1931 bis 1933. In den 1930er-Jahren mussten sich die meisten Kunden physisch vor den Banken anstellen, um an ihr Geld zu kommen. Heute werden enorme Geldsummen mit einem Mausklick abgezogen. Andererseits haben Zentralbanken und Finanzministerien auf der ganzen Welt, die in gewisser Weise aus den Erfahrungen aus der großen Depression gelernt haben, mit einer Reihe gigantischer Liquiditätsspritzen in den Kreditmarkt reagiert und den Banken Kapital zur Verfügung gestellt."
Ahamed gelingt es, dem Leser vor dem Hintergrund der Weltwirtschaftskrise eine Ahnung davon zu geben, worum es bis heute geht: Nämlich weniger darum, eine neue Finanzkrise zu verhindern - das erscheint unmöglich -, sondern vielmehr darum, in den und mit den Krisen zu leben. Dass an ihnen wiederum sehr wenige sehr viel verdienen - das ist eine andere Geschichte.
Liaquat Ahamed: "Die Herren des Geldes. Wie vier Bankiers die Weltwirtschaftskrise auslösten und die Welt in den Bankrott trieben", FinanzBuch Verlag, 672 Seiten, 29, 90 Euro