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NATO-Einladung an Montenegro
"Gespräche gerechtfertigt, auch wenn Russland sich düpiert fühlt"

Das Verhältnis der NATO zu Russland sei eine eigene Angelegenheit und dürfe nicht mit der Einladung Montenegros zu Beitrittsverhandlungen mit der NATO vermischt werden, sagte Markus Meckel (SPD), im DLF. Man müsse sich eher die Frage stellen, wie künftig das Verhältnis des westatlantischen Bündnisses zu Russland gestaltet werden könne, sagte Meckel weiter.

Markus Meckel im Gespräch mit Tobias Armbrüster |
    Tobias Armbrüster: Die NATO, Montenegro und Russland - das Thema lässt natürlich einige Fragen offen. Ich habe deshalb kurz vor dieser Sendung mit Markus Meckel gesprochen. Er war letzter Außenminister der DDR und anschließend knapp 20 Jahre lang Bundestagsabgeordneter für die SPD, zuständig vor allem für die Außen- und Sicherheitspolitik. Mehrere Jahre lang war er außerdem tätig in der parlamentarischen Versammlung der NATO, ein Mann also, der sich bestens auskennt mit den Entscheidungsprozessen in diesem Bündnis. - Schönen guten Abend, Herr Meckel.
    Markus Meckel: Einen schönen guten Abend.
    Armbrüster: Montenegro kriegt also eine Einladung in die NATO. Ist dieser Zeitpunkt heute gut gewählt?
    Meckel: Solche Zeitpunkte sucht man nicht aus, sondern sie sind Ergebnis langer Prozesse. Die NATO lädt ja nicht irgendjemanden mal einfach ein, sondern Montenegro hat sich darum bemüht. Es hat das Ergebnis gegeben, dass man sagt, jetzt ist Montenegro selbst so weit, dass es die Voraussetzung dafür im Wesentlichen erfüllt und man diesen Prozess einleiten kann. Und hier muss einfach festgehalten werden: Es ist nicht die NATO, die sich unbedingt erweitern will, sondern es sind Staaten in ihrer Nachbarschaft, die Interesse haben, Mitglied der NATO zu werden, und dem nicht zu entsprechen wäre ein Problem, wenn man die Voraussetzungen erfüllt.
    Verhältnis NATO-Russland muss hinterfragt werden
    Armbrüster: Aber das Ergebnis dieser ganzen Angelegenheit ist ja, dass Russland sich jetzt düpiert fühlt, und da ist doch schon die Frage, ob das zum jetzigen Zeitpunkt so klug ist.
    Meckel: Die Frage ist, wann Russland sich nicht düpiert fühlt, und das kann ich für die letzten zehn Jahre zu keinem Zeitpunkt sehen. Von daher darf sich die NATO nicht die Beschränkung auferlegen, dass ein anderer Staat, auch Russland kein Veto hat. Wo wir mit Recht fragen können und auch fragen sollten ist, wie das Verhältnis zwischen NATO und Russland insgesamt gestaltet wird. Da ergeben sich manche Fragen. Hier sind manche Möglichkeiten nicht genutzt worden, wenn ich etwa daran denke, dass der NATO-Russland-Rat, den wir ja haben, damals, als Russland in Georgien Krieg führte, gewiss durch manche Aktivitäten des damaligen Präsidenten Saakaschwili, aber dann doch durchaus in unverhältnismäßiger Weise man dieses Instrument des Dialogs nicht genutzt hat. Das halte ich für einen Fehler damals auch der NATO.
    Armbrüster: Aber ich will doch noch mal dabei bleiben, bei der Reaktion aus Russland heute. Ich meine, Europa, auch viele NATO-Länder sind gerade angewiesen oder überlegen gerade, intensiver mit Russland zu kooperieren, gerade im Kampf gegen den IS, weil es allgemein als eine große Bedrohung angesehen wird für Europa. Und da ist doch noch mal die Frage: Ist es nicht gerade jetzt ein ausgesprochen schlechter Zeitpunkt, um so etwas publik zu machen, beziehungsweise umso eine Einladung an Montenegro auszusprechen?
    Meckel: Dies sind zwei Prozesse, die nicht miteinander verbunden sind und die auch nicht miteinander verbunden werden sollten.
    "Die Situation ist ambivalent"
    Armbrüster: Aber die zufälligerweise in die gleiche Zeit fallen!
    Meckel: Die in die gleiche Zeit fallen, aber es ist nun mal so, dass in der Politik man differenzieren muss, und dies gilt auch für Russland. Russland ist einerseits Aggressor in der Ukraine. Es führt einen hybriden Krieg in der Ostukraine. Es ist gleichzeitig Partner in anderen internationalen Dimensionen. All dies passiert gleichzeitig. Auch in den Gesprächen mit dem Iran hat ja Russland eine wichtige Rolle gespielt. Und wenn es um Syrien geht, gibt es die deklaratorische Einigkeit, dass man gemeinsam gegen den IS kämpft. Faktisch immer wieder ist festzustellen, dass die Aktivitäten Russlands nicht unbedingt gegen den IS sich wenden, sondern auch gegen andere Widerständige gegen Assad. Also die Situation ist ambivalent und hier ist es wichtig, einerseits den Dialog festzuhalten, aber bei den Prinzipien zu bleiben, Mitglied der NATO wird, wer die Voraussetzungen erfüllt, anerkannt wird, und zu den Voraussetzungen gehört natürlich eine demokratische Grundlage. Hier dürfen wir keine Grenze aufbauen, nur weil Russland es nicht will.
    Armbrüster: Aber wir bauen ja eine Grenze auf, zum Beispiel - Sie haben es erwähnt - in Staaten wie Georgien und der Ukraine. Da sagen wir, aus bestimmten Gründen kommt für diese Länder eine NATO-Einladung nicht in Frage.
    Meckel: Faktisch haben wir schon vor Jahren gerade diesen beiden Ländern gegenüber Beschlüsse gefasst, die die NATO vorher noch nie gefasst hat, dass man sagt, sie haben grundsätzlich das Recht, Mitglied der NATO zu werden, aber dafür müssen sie Voraussetzungen erfüllen. Und es gilt nun mal wahrhaftig, dass beide Länder jetzt nicht die Voraussetzungen erfüllen. Gleichzeitig hat sich die politische Situation gewendet. Es muss aber deutlich bleiben: Russland darf kein Veto bekommen, wenn ein Land in seiner Nachbarschaft - und dazu gehören beide Länder - sich gen Westen orientieren will, und zwar nicht, weil es den Westen als Staatengemeinschaft toll findet, sondern weil man sagt, das Lebensmodell, das in Europa gepflegt wird, entspricht uns am ehesten auch: Demokratie und Marktwirtschaft, Freiheit der Medien, Einhaltung der Menschenrechte. Das ist es, was wir wollen, Rechtssicherheit. Das ist die Richtung, in die wir gehen wollen. Und dieses genau ist etwas, was wir von Russland abverlangen müssen, dass es dieses akzeptiert. Bis heute ist das leider nicht der Fall.
    Armbrüster: Das heißt aber auch: Wenn Russland sich bedroht fühlt durch die NATO, dann sollte uns das nicht interessieren?
    Meckel: Es heißt, dass wir Russland glaubwürdig deutlich machen müssen, dass die NATO für sie keine Bedrohung ist. Hier hat, muss man einfach sagen, ...
    Sanktionen gegen Russland sind richtg
    Armbrüster: Aber gerade dieser Punkt ist, glaube ich, noch nicht angekommen in Moskau. Kann das sein?
    Meckel: Das ist richtig, und zwar über die ganzen Jahrzehnte nicht. Es liegt zu allererst, würde ich durchaus sagen, aber an Russland selbst, da hier dieses Feindbild aus strategischen Gründen, auch aus Gründen der Ablenkung von inneren Schwierigkeiten weiter gepflegt wird. Zum anderen muss man aber auch sagen, dass wir vielleicht auch manches nicht getan haben und tun sollten, um solchen Dialog miteinander zu führen. Klar ist: Jedes Land der NATO muss sich sicher sein können, dass der Artikel fünf, das heißt der Solidarität und der gemeinsamen Verteidigungsbereitschaft, wirklich gilt. Aber wir müssen uns natürlich auch die Frage stellen, was ist mit den Ländern dazwischen. Wollen wir einfach akzeptieren, dass Russland diese Annexionen vornimmt? Deshalb finde ich das, was jetzt ja auch gerade in diesen Tagen wieder diskutiert wird, dass man sagt, die Sanktionen sollen weiter Bestand haben, ausgesprochen richtig, weil dieses Signal klar sein muss. Russland wollen wir als Partner, aber dazu gehört das Einhalten von Regeln.
    Armbrüster: Können wir denn dann wirklich erwarten, dass Russland auch ein Partner wird im Kampf gegen den IS?
    Meckel: Ich gehe davon aus, dass dies in Zukunft so sein wird, weil Russland, wenn es seinen wirklichen Interessen folgt, den Westen dafür auch braucht. Es ist nicht nur so, dass wir Russland brauchen, und wenn hier Vernunft herrscht, kommen wir voran. Dazu ist es aber wichtig, dass wir in all diesen Punkten klar reden und versuchen, nicht die eine Dimension um der anderen Dimension bei Seite zu schieben.
    Armbrüster: Der ehemalige SPD-Außenpolitiker Markus Meckel hier im Deutschlandfunk-Interview.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.