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NATO-Mitgliedschaft
"Griechenland hat zentrale Rolle für innere Sicherheit der EU"

Man dürfe auch aus sicherheitspolitischen Gründen nicht von Griechenland abrücken, sagte Johannes Varwick, Politologe an der Uni Halle. Denn eine offene Mittelmeerküste auf bisherigem Nato-Gebiete könne zum Problem der inneren Sicherheit in Europa werden, ergänzte er.

Johannes Varwick im Gespräch mit Mario Dobovisek |
    Die Nato-Flagge weht im Wind.
    Griechenland ist Nato-Mitglied (picture-alliance / dpa / S. Sabawoon)
    Varwick erklärte drei verschiedene Richtungen, in die sich Griechenland entwickeln könnte. Es könnte sein, dass eine Entfremdung in Griechenland gegenüber der EU und der Nato zu beobachten sei, was in nationaler und regionalen Unruheherden zum Ausdruck käme. Das zweite Szenario wäre ein gescheiterter Saat. Diese Option wäre sicherheitspolitisch und politisch mit oder ohne Euro teuer und das dritte Szenario könnte sein, dass Griechenland ein "Einfalltor für Russland oder China" werden könnte.
    Daher müsse den Griechen singalisiert werden, "dass man Griechenland nicht aus der europäischen Familie entlassen will. Man müsse zudem eine neue Basis schaffen, die die Dinge außerhalb des Euro regeln, sagte Varwick weiter.
    Die gegenwärtige Regierung unter Ministerpräsident Tsipras sei "eine sehr unappetitliche Regierung, das wird vorübergehen, dann wird Griechenland ein wichtiger Partner bleiben"
    Das Gespräch können Sie in voller Länge hier nachlesen.
    Mario Dobovisek: Ein Festakt erinnert heute an den Beitritt Deutschlands zur NATO vor gut 60 Jahren. Damals wurde die Bundesrepublik das 15. Mitglied des transatlantischen Verteidigungsbündnisses. Inzwischen gehören 27 Länder der Allianz an, die gerade durch schwierige Zeiten navigieren muss - Stichwort Russland im Ukraine-Konflikt, dem internationalen Terror und jetzt Griechenland mit der drohenden Staatspleite, die durchaus auch sicherheitspolitische Konsequenzen haben könnte.
    60 Jahre NATO-Mitgliedschaft Deutschlands. NATO-Partner, wir haben es gehört, ist auch Griechenland und die drohende Staatspleite könnte auch sicherheitsrelevante Konsequenzen haben, sagt der frühere Diplomat und Chef der Münchner Sicherheitskonferenz, Wolfgang Ischinger.
    O-Ton Wolfgang Ischinger: „Das Herausfallen Griechenlands aus dem sozusagen EU-Verbund wäre eine Tragödie für unsere Bemühungen, den Südosten Europas weiter und dauerhaft und endgültig zu stabilisieren."
    Dobovisek: Soweit also Wolfgang Ischinger. - Am Telefon begrüße ich Johannes Varwick, Politikwissenschaftler an der Universität Halle-Wittenberg, dort intensiv befasst mit der NATO. Ich grüße Sie.
    Johannes Varwick: Schönen guten Tag! Ich grüße Sie auch.
    Dobovisek: Wie gefährlich ist die drohende Staatspleite Griechenlands denn für die internationale Sicherheitspolitik?
    Varwick: Zunächst einmal, denke ich, ist man gut beraten, in seine Überlegungen als politischer Entscheider auch sicherheitspolitische Überlegungen mit einfließen zu lassen, weil das ist eben nicht nur eine wirtschaftspolitische Frage, sondern auch eine geostrategische und eine sicherheitspolitische Frage. Und ich sehe eigentlich drei unterschiedliche Richtungen, in die sich das entwickeln kann. Wir könnten bewirken mit diesem Verhältnis zu Griechenland, dass sich Griechenland abkehrt von der NATO und der Europäischen Union und möglicherweise in Richtung Russland orientiert - nicht sehr wahrscheinlich, aber immerhin möglich. Wir könnten zweitens eine Entfremdung in Griechenland gegenüber EU und NATO beobachten und das könnte sich dann in einem Nationalismus und einem sozusagen regionalen Unruheherd abbilden. Oder wir könnten tatsächlich einen gescheiterten Staat haben und das wäre teuer, mit oder ohne Euro, das wäre sicherheitspolitisch teuer und auch politisch teuer. Das heißt, man muss eine Gesamtabwägung machen und diese Szenarien auch mitdenken.
    Offenes Mittelmeer für EU ein Problem
    Dobovisek: Ein gescheiterter Staat, der seine Grenzen vielleicht auch nicht mehr richtig schützen könnte, Stichwort Flüchtlinge, Islamisten möglicherweise, die darüber in die EU kämen?
    Varwick: Das ist ein Aspekt dieser Debatte. Griechenland ist Schengen-Mitglied und hat eine zentrale Rolle natürlich für die innere Sicherheit in der Europäischen Union. Man muss nur auf die Landkarte gucken. Das heißt, wenn das Mittelmeer da eine offene Flanke hat, dann wird das zu großen Problemen auch mit der inneren Sicherheit in Europa führen.
    Griechenland ist geostrategischer Brückenkopf
    Dobovisek: Und Sie haben gesagt, die Abkehr von der NATO wäre das erste Szenario, das Sie genannt haben, die Abkehr und die Hinwendung vielleicht zu Russland, vielleicht zu China, jedenfalls ein Einfallstor für chinesische und russische Interessen. Wie wahrscheinlich ist das?
    Varwick: Ich halte das alles in allem nicht für sehr wahrscheinlich, aber es ist auch nicht ausgeschlossen. Das heißt, man darf jetzt nichts tun, was Griechenland von Europa abrücken lässt. Diese wirtschaftspolitischen Fragen sind natürlich jetzt an einem Punkt angekommen, wo man, glaube ich, eine Entscheidung braucht, aber man muss gleichzeitig signalisieren, dass das nicht bedeutet, dass man Griechenland damit aus der europäischen Familie gewissermaßen entlassen will. Vielleicht muss man sogar im Gegenteil darauf hinweisen, dass dann eine neue Lage entstanden ist, die dazu führt, dass wir wieder auf einer anderen Basis solidarisch mit Griechenland sein können, und vielleicht sortieren sich die Dinge dann außerhalb des Euros besser auch in sicherheitspolitischer Hinsicht. Das ist durchaus möglich. Aber wir müssen vermeiden, dass wir eine Zerrüttung an der Südostflanke der NATO haben. Die Rolle von Griechenland als geostrategischer Brückenkopf in Richtung Nahost, die würde dann ausscheiden, und das war im Übrigen auch der Grund, warum Griechenland 1952 NATO-Mitglied geworden ist, und daran hat sich auch nichts geändert. Das heißt, wir müssen als Voraussetzung für eine stabile Gegenküste erst mal den europäischen Raum stabilisieren, und wenn das nicht gelingt, dann kann dieser Raum auch keine Stabilität ausstrahlen, und insofern ist Griechenland schon auch in sicherheitspolitischer Hinsicht ein wichtiges Problem, was viel Aufmerksamkeit jetzt bedarf.
    Dobovisek: Zusammenarbeit auf einer anderen Basis, haben Sie gerade gesagt. Da habe ich aufmerksam zugehört. Auf welcher denn?
    Athen hat eine "unappetitliche Regierung"
    Varwick: Das ist eben die Frage. Ich meine, natürlich bleibt Griechenland NATO- und EU-Mitglied. Das ist ja unstrittig, glaube ich. Aber vielleicht, wenn diese wirtschaftspolitischen Probleme, die ganz offenkundig den Euro zu einem Sprengsatz haben werden lassen und nicht die Hoffnung, die alle hatten, dass der Euro ein einigendes Moment wird in der Politik, wenn dieses Thema gewissermaßen abgeräumt ist, dann kann man, glaube ich, außerhalb des Euros wieder vernünftiger zusammenarbeiten. Aber das hängt natürlich alles von der Couleur der griechischen Regierung ab. Insofern würde ich auch unterscheiden zwischen Griechenland und der derzeitigen Regierung in Athen, die ja nicht nur linksextreme Kräfte hat, sondern auch rechtsextreme Kräfte, also eine wirklich sehr unappetitliche Regierung, und ich denke, das wird auch vorübergehen. Ich will nicht sagen, man soll das aussitzen, aber man muss auch für den Tag denken, wo diese Regierung verschwunden ist, und dann wird Griechenland ein wichtiger Partner bleiben.
    Dobovisek: Der Politikwissenschaftler Johannes Varwick von der Universität Halle-Wittenberg über die sicherheitspolitischen Konsequenzen einer möglichen Staatspleite Griechenlands. Ich danke Ihnen für das Gespräch.
    Varwick: Sehr gerne! Auf Wiederhören.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.