Jedes Jahr zum Geburtstag von Großherzogin Maria Pawlowna, dem 16. Februar, versichern sich die oberen 200 der Stadt im Festsaal des Schlosses, dass sie in der bedeutendsten Kleinstadt der Welt leben: in Weimar.
Beim Jahresempfang der Klassik Stiftung. Die Musik von jungen Stipendiatinnen ist so brillant wie kurzweilig, die Reden sind geistreich. Der Thüringer Kulturminister Benjamin-Immanuel Hoff leitete sein Grußwort gestern Abend mit einer Anekdote ein. Goethe soll 1826 vor dem Weimarer Landtag eine Erhöhung des Kultur-Budgets um 100 Reichstaler beantragt haben. Eine lächerliche Summe eigentlich, aber der Landtag hatte schon lange kritisiert, dass Goethe niemals eine Kassenabrechnung vorgelegt habe. Goethe reagierte beleidigt und unwirsch. Der Fall wurde dem Großherzog und der Großherzogin vorgetragen. Letztere reagierte laut Minister Hoff mit den Worten:
"Dass man davon ausgehen müsse, dass Goethe die Mittel rechtmäßig verwende und mit den Worten: 'Wir haben nur einen Goethe, und wer weiß wie lange noch', zum Einlenken zu bewegen suchte. Nach dieser Ermahnung und nochmaligen Verhandlungen ließ der Landtag die Sache ruhen, nicht ohne die Mehrforderung von 100 rt auf 90 rt abgesenkt zu haben. Ich mag die Anekdote, zeigt sie uns doch, dass die angemessene Finanzierung von Weimarer Kunst, Kultur und Wissenschaft nie ein einfaches Thema war."
Der dem Kulturminister nur wenige Meter entfernt gegenüber sitzende Oberbürgermeister Weimars, Stefan Wolf, lachte auch etwas gequält. Denn ihm galt die Attacke. Minister Hoff rechnete vor, dass Thüringen ein Drittel seines Kulturetats nach Weimar gebe, dass die Stadt und seine Kulturinstitutionen wie Klassik Stiftung, Bauhaus-Universität, Musikhochschule und so weiter von Land und Bund geradezu gepampert würden, um dann in der Bemerkung zu gipfeln:
"Ich sage: Wer Kulturstadt ist, sein und bleiben will, muss sich gegenüber den die Kulturstadt prägenden Institutionen auch wie eine Kulturstadt verhalten."
Keine beliebige Kleinstadt?
Hintergrund des Affronts ist die Ankündigung der Stadt Weimar zwei Tage zuvor, vor dem Thüringer Verfassungsgericht gegen ein Gesetz zu klagen, dass Weimar im Zuge einer großen Gebietsreform die Kreisfreiheit nehmen soll. Unabhängig von seiner geringen Einwohnerzahl von 64.000 müsse die Stadt aber kreisfrei bleiben, erklärte Oberbürgermeister Stefan Wolf auf einer Pressekonferenz - nicht zufällig im Deutschen Nationaltheater: Die Stadt von Bach, Goethe, Schiller, die Stadt der Weimarer Verfassung und des KZs Buchenwald sei keine beliebige Kleinstadt.
"Auch aus dem allen wächst für die heute Handelnden eine ganz besondere Verantwortung und auch eine ganz besondere Sensibilität. Ich sage immer so gerne: Wenn was in Jena oder Erfurt passiert, dann interessiert es die Thüringer Allgemeine oder die Thüringer Landeszeitung. Wenn bei uns was passiert und wir Pech haben, steht es in der New York Times."
Und er habe Angst, dass die Kultur in Weimar Schaden nähme, wenn die Stadt nicht mehr Herrin über das Geld sei. Kulturminister Hoff bot daraufhin gestern zum wiederholten Mal einen Kulturstadtvertrag an - nach Vorbild von Berlin und Dresden - der die Kulturfinanzierung Weimars "gebietsreformfest" absichern solle. Das Land würde die gleichen Zahlungen leisten wie heute, allerdings zugesichert auf Dauer. Dazu eine Million jährlich an Kulturlastenausgleich, pauschal, ohne Verwendungsnachweis - wie bei Goethe 1826. Dafür müsse Weimar die Klassik Stiftung weiter mittragen, das Deutsche Nationaltheater, das Kunstfest. Denn dort würde sich die Stadt gern zurückziehen.
"Das sagt über die Kulturpotenz überhaupt nichts aus"
Der Präsident der Klassik Stiftung, Hellmut Seemann, findet die Idee des Kulturstadtvertrages nicht schlecht."Es wird ja manchmal so getan, als ob die Kreisreform dazu führen wird, dass das Goethe- und Schiller-Denkmal nach Apolda abwandert. Das glaube ich alles überhaupt nicht. Ich glaube auch nicht, dass sich Weimar ernsthaft Sorgen machen muss. Aber ich glaube, dass in dieser Situation gesprochen werden muss, denn was die Kulturhauptstadtsfrage anbelangt, könnte die Situation auch eine Chance sein."
Auch Christoph Stölzl, Kulturmanager mit jahrzehntelanger Erfahrung und momentan Präsident der Weimarer Musikhochschule, bleibt entspannt angesichts der Thüringer Reformpläne.
"Die Frage der Zugehörigkeit zu einer Gebietskörperschaft sagt ja über ihre Kulturpotenz überhaupt nichts aus. Das ist immer so: Kulturmachen kostet viel Geld und ist eine Vereinbarung der jeweiligen Träger. Aber ich finde, eine selbstbewusste Kulturstadt, wie es Weimar ist seit einigen hundert Jahren, eine solche stolze Kulturstadt, die übersteht doch solche Wandlungen der administrativen Zugehörigkeit."
Dennoch, so gibt er zu bedenken, könnten große Kultureinrichtungen von nationaler Bedeutung wie die Klassik Stiftung auch komplett vom Bund getragen werden. Weimar will nun erst mal das Vertragsangebot des Landes prüfen. Die Klage gegen die Gebietsreform bleibt derweil bestehen.