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Nawalny-Festnahme in Russland
"Internationale Aufmerksamkeit hat eine Bedeutung"

Angesichts der Inhaftierung Oppositioneller in Russland sei die internationale Aufmerksamkeit von großer Bedeutung, sagte der Präsident der Deutschen Gesellschaft für Osteuropakunde, Ruprecht Polenz, im DLF. Er mahnte die fehlende Demonstrationsfreiheit in Russland sowie die Korruption von Politikern an.

Ruprecht Polenz im Gespräch mit Tobias Armbrüster |
    Porträtbild von Ruprecht Polenz, dem ehemaligen Vorsitzenden des Auswärtigen Ausschusses des Deutschen Bundestages.
    Angeblich gebe es in Russland Demonstrationsfreiheit, doch die Auflagen für Versammlungen führten zu einer Situation, in der "gesetzliches Unrecht hergestellt wird", sagte der ehemalige CDU-Politiker Polenz im DLF. (picture alliance / dpa / Fredrik von Erichsen)
    Der Präsident der Deutschen Gesellschaft für Osteuropakunde, Polenz, forderte Bundesregierung und Europäische Union auf, den Druck auf den Kreml aufrecht zu erhalten.
    Am Sonntag waren in Russland landesweit Zehntausende Menschen gegen Korruption auf die Straße gegangen. Zahlreiche Demonstranten wurden festgenommen, darunter der Oppositionspolitiker Nawalny, der zu den Protesten aufgerufen hatte.
    Auslöser der Proteste war ein Internet-Video, indem zu sehen ist, dass der russische Ministerpräsident Dmitri Medwedew Reichtümer angehäuft hat, die er mit seinem Einkommen " unmöglich finanziert haben kann", so Polenz. Medwedew hatte während seiner Amtszeit als Präsident den Kampf gegen Korruption besonders in den Vordergrund gestellt.
    In der russischen Bevölkerung wachse die Unzufriedenheit. Mit den sinkenden Öl- und Gaspreisen sinke auch der Wohlstand. Die Sanktionen gegen Russland verstärkten dies.

    Das Interview in voller Länge:
    Tobias Armbrüster: Lange Zeit ist es still gewesen um die russische Opposition. Jetzt am Wochenende sind nun in mehreren Städten überall in Russland zehntausende von Menschen auf die Straße gegangen, um gegen Korruption zu protestieren und natürlich gegen die Politik des Kreml, gegen Wladimir Putin.
    Aufgerufen dazu hatte der Putin-Kritiker und Oppositionsführer Alexei Nawalny, und die Behörden in Russland, die haben reagiert, wie man das leider gewohnt ist. Sie haben Nawalny und hunderte von weiteren Demonstranten festgenommen. Jetzt folgt das juristische Nachspiel in Russland und auch das wird natürlich von der Protestbewegung genauestens verfolgt.
    Am Telefon ist jetzt Ruprecht Polenz. Er saß für die CDU im Deutschen Bundestag, war in seiner Zeit als Abgeordneter Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses und ist heute Präsident der Deutschen Gesellschaft für Osteuropa-Kunde, ein Mann also, der sich bestens auskennt in der russischen Politik. Schönen guten Morgen, Herr Polenz.
    Ruprecht Polenz: Guten Morgen, Herr Armbrüster.
    Armbrüster: Herr Polenz, hat Sie das überrascht am Wochenende?
    Polenz: Ja, es hat auch mich überrascht. Ich denke, auch viele, die außerhalb Russlands die Ereignisse in Russland beobachten. Denn die Meinungsumfragen, die amtlichen, die große Propagandawelle, die angeblich riesige Zustimmung der russischen Bevölkerung zu Putin nach der Annexion der Krim, das alles hätte doch in eine andere Richtung gedeutet.
    "Korruption ist in Russland ein strukturelles Problem"
    Armbrüster: Wo sehen Sie die Gründe dafür, dass das jetzt so plötzlich aufpoppt?
    Polenz: Die Soziologin, die da gerade interviewt wurde, glaube ich, hat drei wichtige Punkte genannt. Darüber hinaus muss man sich praktisch vorstellen: Medwedew war ja jemand, der, als er Präsident wurde, den Kampf gegen die Korruption besonders in den Vordergrund gestellt hat. Und wenn jetzt ein Video sehr plausibel zeigt, dass er Reichtümer angehäuft hat, die er mit seinem Einkommen eigentlich unmöglich finanziert haben kann, dann kann man sich den Volkszorn schon vorstellen. Dieses Video ist über zwölf Millionen Mal angeklickt worden und das war ja der Auslöser.
    Man muss vielleicht, wenn man über Korruption in Russland spricht, sich klarmachen, dass das nicht so ist wie in vielen Ländern, wo es Korruption gibt, sondern in Russland ist das ja ein strukturelles Problem. Macht korrumpiert immer und wenn eine unabhängige Justiz, wenn Opposition, wenn freie Presse fehlt, dann grassiert Korruption.
    Wachsende Unzufriedenheit in der russischen Bevölkerung
    Armbrüster: Aber muss uns das nicht stutzig machen? Ich meine, wir berichten hier in Deutschland seit Jahren darüber, dass die russische Regierung demokratische Standards mit Füßen tritt. Wir werfen ihr eine verfehlte Politik in der Ukraine vor, in Syrien. Und das, was die Leute dann in Russland tatsächlich auf die Straße treibt, das sind angehäufte Reichtümer von russischen Politikern.
    Polenz: Ja, es ist natürlich die innenpolitische Situation, die auch sich dadurch verschlechtert hat, dass wegen der sinkenden Öl- und Gaspreise auch der Wohlstand in Russland sinkt. Der Rubel hat an Wert verloren. Auch die Sanktionen würde ich nicht unterschätzen, entfalten eine gewisse Wirkung. Und damit wächst natürlich wieder eine Unzufriedenheit, die Putin in seinen ersten beiden Amtszeiten durch die Verteilung der Öl- und Gaseinnahmen auch unter die Bevölkerung ein Stück weit verändert hatte.
    Armbrüster: Das heißt aber, es sind tatsächlich eher materielle Sorgen, die die Menschen umtreiben, nicht so sehr, dass sie mit der Politik oder mit der politischen Richtung ihres Landes nicht einverstanden sind?
    Polenz: Ich glaube schon, dass der Ärger über eine Selbstbedienung der Eliten, dass der jetzt nicht bei materiellen Sorgen stehenbleibt, sondern auch umschlägt in Zorn über, wie man dann sagen könnte "das System", was so etwas möglich macht und was es vor allen Dingen nicht abstellt.
    "Angeblich gibt es Demonstrationsfreiheit"
    Armbrüster: Wie schätzen Sie das ein? Wie anhaltend wird dieser Protest sein?
    Polenz: Das ist schwer zu sagen. Ich finde ja interessant, dass die Urteile vergleichsweise milde klingen, auch wenn wir uns nichts vormachen sollten. Es sind nach wie vor Menschen, die demonstriert haben, in Haft und wir wissen, dass von den Demonstranten, die 2011 gegen die gefälschten Parlamentswahlen demonstriert haben, einige immer noch inhaftiert sind. Es ist ja sowieso etwas tückisch, wenn man sich das mit dem Demonstrationsrecht in Russland anschaut. Man muss wissen, dass zunächst einmal jeder, der eine Demonstration anmeldet, praktisch für alles haftet, auch im zivilrechtlichen Sinn, was bei dieser Demonstration passieren könnte, und das führt schon dazu, dass es eigentlich keine wirkliche Demonstrationsfreiheit gibt, weil dieses Risiko kann man normalerweise nicht eingehen.
    Ein zweiter Punkt ist wichtig. Angeblich gibt es Demonstrationsfreiheit. Aber durch Verordnungen haben viele Städte große Bereiche der Innenstadt von Demonstrationen ausgenommen, es sei denn, sie werden dort ausdrücklich genehmigt. Deshalb kommt es auch zu diesem Genehmigungsvorbehalt. Und wenn man in Moskau beispielsweise nicht in irgendeinen Vorort abgeschoben werden will mit seiner Demonstration, dann muss man sie beantragen und bekommt sie nicht genehmigt, und das ist dann die Situation, wo sozusagen gesetzliches Unrecht hergestellt wird, damit man dann solche Demonstranten auch verfolgen kann.
    Armbrüster: Das ist natürlich ein interessantes Stichwort: gesetzliches Unrecht. Die russischen Behörden, die russische Politik sagt jetzt, diese Demonstranten haben eindeutig gegen unser Demonstrationsrecht verstoßen. Deshalb war es auch völlig korrekt, dass wir sie festgenommen haben. Das würde in jedem anderen demokratischen Land genauso passieren.
    Polenz: In diese Falle darf man eben nicht gehen, denn in jedem anderen demokratischen Land, schauen Sie in unser Versammlungsrecht, hat Jedermann das Recht, sich zu versammeln. Und Sie kennen auch die vielen Diskussionen bei uns über den Ort, wo demonstriert wird. Der einzige Ort, der von Demonstrationen in Deutschland per se ausgenommen worden ist, ist eine Bannmeile rund um das jeweilige Parlament. Ansonsten kann überall demonstriert werden, und das ist in Russland definitiv nicht so.
    "Ich glaube, dass die internationale Aufmerksamkeit eine Bedeutung hat"
    Armbrüster: Wenn das mit diesen Protesten jetzt weitergeht, Herr Polenz, wie sollten dann die Regierungen in den westlichen Ländern, in Europa, auch natürlich hier in Berlin, in Deutschland, wie sollten die reagieren? Abwarten, nichts tun, oder irgendetwas unternehmen?
    Polenz: Nein. Ich finde erst mal schon richtig, dass man sich für das Recht zu demonstrieren stark macht. Und wenn jemand dieses Recht wahrnimmt und daraufhin inhaftiert wird, dass man dann seine Freilassung anmahnt. Das ist, finde ich, selbstverständlich. Das hat die Europäische Union, das hat auch die deutsche Bundesregierung getan. Das wird die Russen nach außen hin nicht beeindrucken. Sie werden das jedenfalls sagen. Ich glaube aber schon, dass diese internationale Aufmerksamkeit eine Bedeutung hat.
    Und das Zweite: Es ist natürlich auch der Gegenstand, der die Menschen jetzt hier auf die Straße bringt, die endemische Korruption in Russland, mit der man sich auch beschäftigen muss. Man hat es mit Eliten zu tun, die in die eigene Tasche wirtschaften, und das sollte auf die Art des Umgangs mit diesen Personen auch Einfluss haben. Sie sind etwas anders als sozusagen normale, demokratisch gewählte und demokratisch kontrollierte Politiker.
    Armbrüster: Live hier bei uns im Deutschlandfunk in den "Informationen am Morgen" war das Ruprecht Polenz, der Präsident der Deutschen Gesellschaft für Osteuropa-Kunde. Vielen Dank für das Interview.
    Polenz: Bitte schön, Herr Armbrüster.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.