Es geschah im August 1856. Arbeiter hatten sich in die Feldhofer Grotte gezwängt, um sie mit Pickel und Schaufel bis auf den Kalk auszuräumen. Niemand ahnte etwas Besonderes:
"Du, was ist denn das da?"
"Was?"
"Na da! Das sind doch Knochen!"
"Naja, ein paar alte Knochen halt."
"Aber was für welche?"
"Was?"
"Na da! Das sind doch Knochen!"
"Naja, ein paar alte Knochen halt."
"Aber was für welche?"
Was die beiden Arbeiter da zufällig aus dem Lehmboden der Grotte holten, waren die Knochen eines Menschen, der im Verlauf der folgenden wissenschaftlichen Diskussion Neandertaler genannt wurde.
Die Entdeckung ist in der Evolutionsbiologie so bedeutsam, dass man in der Nähe des Fundortes das Neanderthal Museum baute.
Die Menschen, die hier vor Zehntausenden von Jahren zwischen dem heutigen Erkrath und Mettmann in der Schlucht der Düssel gelebt haben, ernährten sich von Blättern und frischen Trieben, Nüssen und Früchten wie Himbeeren, Heidelbeeren und Äpfeln. Und sie aßen Fleisch.
"Als unsere frühesten Vorfahren begannen, Fleisch zu essen, nahmen sie besonders Nährstoff-proteinreiche Nahrung zu sich, wodurch sich das Hirnwachstum dann auch beschleunigte", sagt Dr. Bärbel Auffermann, Archäologin und stellvertretende Direktorin des Neanderthal Museums. Und weil Fleisch eine so große Rolle spielte in der Evolutionsgeschichte des Menschen, hat das Museum ihm eine ganze Ausstellung gewidmet.
"Die Ausstellung bringt den Menschen steinzeitliche Jagdwaffen, aber nicht nur Jagdwaffen, auch Fischfanggeräte und Fallen, wie sie vielleicht ausgesehen haben in der Steinzeit, nahe und auch diesen technischen Erfindungsreichtum der frühen Jäger und Sammler, denn es sind wirklich ganz ausgeklügelte Waffen und Fallensysteme dabei zu sehen."
Die Ausstellungsmacher präsentieren authentische Nachbildungen von archäologischen Funden. Die Nachbauten entstanden anhand von völkerkundlichen Vergleichen und Erkenntnissen aus der experimentellen Archäologie.
Die ältesten Jagdwaffen
"Wir stehen hier vor der Wand, auf der die Speere aus Schöningen dargestellt sind", sagt der Prähistoriker Dr. Ulrich Stodiek. "Die Schöninger Speere sind bislang die ältesten Jagdwaffen der Welt, die wir haben, etwa 300.000 Jahre alt, und es ist schon eine Sensation", dass gleich mehrere Exemplare im Braunkohletagebau der niedersächsischen Stadt gefunden worden sind. Mit einem solchen Speer ist schon Homo erectus auf die Jagd gegangen. Sein jüngerer Verwandter, der Neandertaler, übernahm die Tradition und sollte sie in seiner über 200.000-jährigen Geschichte beibehalten.
Die Hersteller der Jagdwaffe folgten einem ganz speziellen Schema:
"Das heißt, sie hatten diesen Grundtyp im Kopf und haben dann, je nach Baumbeschaffenheit oder Stammbeschaffenheit, immer wieder versucht, den gleichen Typ herzustellen. Das hat einen planerischen Hintergrund, der uns zeigt, mit welchen individuellen Gedankenleistungen wir bei den Menschen in dieser Zeit zu rechnen haben."
"Diese Speere sind aus Fichtenstämmchen gearbeitet", ergänzt Bärbel Auffermann. "Was wir sehen, sind eigentlich unscheinbare Holzstöckchen, angespitzt."
Ulrich Stodiek: "Es gibt verschiedene Längen. Wir haben den kürzesten mit 1,80 Meter und haben das längste Exemplar mit etwa 2,50. Die Frage ist, haben sie alle den gleichen Zwecken gedient? War das kurze Exemplar zum Beispiel ein abgebrochenes Stück, was recycelt wurde? War es ein Speer für einen Jugendlichen? Das sind alles Dinge, die wir so nicht direkt beantworten können oder nicht lösen können. - Die Schöninger Speere sind von der äußeren Form her sehr ähnlich unseren Leichtathletik-Speeren."
Wie auf der Nachbartafel zu sehen ist.
"Wenn man beide nebeneinander legt, ist auffallend, dass beide eine spindelförmige Form haben, das heißt, wenn wir jetzt auf die Schöninger gucken, dann ist das Spitzenende am dickeren Stammende. Der Schwerpunkt liegt vor der Mitte. Das ist ganz wichtig für ein gutes Flugverhalten. Er liegt nicht ganz so weit vorne wie bei leichtathletischen Speeren."
Das zeigte die experimentelle Archäologie: Um zu testen, wie funktionsfähig die Waffen sind, haben Wissenschaftler Leichtathleten gebeten, die Speere möglichst weit zu schleudern. Die Sportler waren zunächst überfordert, weil sie feststellen mussten, "dass der Schwerpunkt ein anderer ist: Das heißt, zu Anfang überschlugen die sich in der Luft. Es war alles andere als ein gelungener Wurf. Nach einer kurzen Gewöhnungsphase haben sie dann erstaunliche Weiten von weit über 70 Metern erzielt mit der Aussage, das könnte noch weiter gesteigert werden, wenn man sich damit intensiver beschäftigen würde."
"Das heißt, die Speere sind aerodynamisch ausgefeilt konstruiert."
"Nur wir müssen uns vor Augen führen, dass es natürlich nicht darauf ankam, möglichst weit zu werfen, sondern die Beute zu treffen. Und da haben wir Distanzen aus Erfahrung der Völkerkunde von vielleicht fünf bis fünfzehn Metern."
Jagd in der Gruppe
Die Speere und in ihrem Umfeld gefundene Skelette von Wildpferden belegen, dass Homo erectus und später der Neandertaler schon mithilfe von Waffen und in der Gruppe zur Jagd gingen. Nur durch gemeinsame Jagdstrategien sicherten sie ihr Überleben. Das setzt ein komplexes Kommunikationsverhalten voraus.
Zwar vermochten die Neandertaler, mit Lanzen sogar Waldelefanten zu töten, doch differenziertere Waffen fanden die Archäologen erst aus einem späteren Zeitraum. Das könnte zwei Gründe haben: Entweder ist das sensible Material wie zum Beispiel Holz verrottet oder - eine naheliegende Hypothese - erst der Homo sapiens war geistig befähigt, komplexere Waffensysteme zu entwickeln, vielleicht auch ein Grund, warum der Neandertaler vor etwa 30.000 Jahren ausgestorben ist.
"Pfeil und Bogen sind dann viel, viel jünger in der Erfindung", sagt Bärbel Auffermann. "Vielleicht 20.000 Jahre, sicherlich aber etwa 12.000 Jahre alt. Die große Frage ist, wie lang gibt es denn jetzt Pfeil und Bogen? Holz finden wir nur ganz selten in diesen alten Steinzeiten und dementsprechend gibt es auch wenig alte Bogenfunde. Wir haben hier die Ältesten dann, wenn wir eine Tafel weiter gehen, rekonstruiert."
"In Schleswig Holstein hat man in der Nähe von Ahrensburg, das liegt etwa nordöstlich von Hamburg, sensationelle Funde gemacht schon in den 30er-Jahren des letzten Jahrhunderts", ergänzt der Archäotechniker Harm Paulsen.
"Da hat Herr Alfred Rust die ältesten Pfeilschäfte der Welt gefunden. Und es ist eigentlich sehr spannend, dass die ältesten Pfeilschäfte eigentlich schon die kompliziertesten sind. Sie sind unterteilt in einen langen Hauptschaft, und dann wurde ein kurzes Stück aufgesetzt mit einer komplizierten Kupplung, und am Ende des Vorschaftes war dann die Spitze aus Feuerstein. Das hatte sicherlich den Sinn, dass wenn man den Pfeil verschoss und der schlug irgendwo ein, dann ging meist der Vorschaft verloren oder ging kaputt, und dann konnte man ganz leicht einen neuen Vorschaft aufsetzen, das ist sozusagen sehr recycling-freundlich, denn Holz war sehr knapp. Das ist eigentlich für die Zeit schon eine pfiffige Angelegenheit."
Pfeil und Bogen schon für Kinder
Funde von kleinen Bögen aus jungsteinzeitlichen Feuchtbodensiedlungen in Süddeutschland und der Schweiz belegen, dass schon Kinder den Umgang mit Pfeil und Bogen übten. Ausgerechnet ein Mord brachte den Wissenschaftlern ein neues Exemplar einer jungsteinzeitlichen Bogenwaffe: Eine Pfeilspitze im linken Schulterblatt beendete das Leben von Ötzi.
Ob die Neandertaler, die an der Düssel lebten, schon Werkzeuge zum Fischfang erfunden haben, ist nicht überliefert. Zwar belegen andere Fundplätze, dass Fischmahlzeiten auch an den Lagerstätten unserer frühen Verwandten genossen wurden, doch die ältesten bekannten Harpunen stammen vom Ende der letzten Eiszeit und sind etwa 15.000 Jahre alt.
Auffermann: "Das sind verschiedenste Objekte zum Fischfang, um Fische im Gewässer aufzuspießen: Aale und auch andere. Es gibt ganz spezialisierte Aalstecher aber auch andere Geräte. Oft findet man natürlich an den archäologischen Fundstellen nur vorne die harten Spitzen, diese gezähnten Spitzen aus Geweih oder Knochen, die erhalten sich besser. Die langen Schäfte dann, die auch wie Speere geformt sind, sind natürlich seltener erhalten. Deshalb sind das Rekonstruktionen, die mithilfe von Vergleichen aus der Völkerkunde angefertigt werden."
"Was ganz interessant ist - Sehen Sie das zweite Objekt", ergänzt Harm Paulsen und deutet auf einen Dreizack. "Das ist ein sogenannter Aalstecher. Er ist so um die 6000 Jahre alt. Da wurde er benutzt. Das sind Völker im Norden, die besonders im Meer und an den Flüssen gelebt haben. Und die haben die Ressourcen genutzt. Und die haben dieses Spezialgerät entwickelt. Und was dann interessant ist: Lange Zeit ist dieses Gerät danach verschwunden in der Jungsteinzeit und Bronzezeit, und dann heute in der neuen Zeit ist das Stück wieder aufgetaucht, und zwar als Metallform und genauso wie das Stück vor 6000 Jahren. So etwas wiederholt sich immer mal wieder. Das sind Geräte, die sind so optimal, dass man sie eigentlich nur kopieren kann, weil sie so gut funktionieren."
Vorsicht, Falle!
Auf archäologisch wackligem Terrain bewegen sich die Exponate zum Themenkomplex Fallenstellerei. "Unser Problem in der Archäologie ist, dass wir wenige direkte Belege haben für Fallen", sagt der Prähistoriker Ulrich Stodiek. "Es gibt die Älteste, das ist eine Art Trittfalle, ich sag' immer, eine Parkkralle für den Hirsch aus der späten Bronzezeit und auch dann in der folgenden Eisenzeit gibt es mehrere Exemplare, aber es gibt weitere Indizien in Form von Knochenfunden von Kleintieren wie Schneehühnern, Schneehasen, die traditionell, wenn man völkerkundlich sich umschaut und auch in historischer Zeit, eigentlich nur mit Schlingen gefangen worden sind. Das alles haben wir, vielleicht auch um die Diskussion in Fachkreisen oder unter den Besuchern anzuheizen, hier etwas mehr herausgestellt und zeigen einfach ein paar Beispiele."
Fleisch gilt heute als Motor der Evolution. Fleisch beschleunigte das Hirnwachstum und setzte einen Entwicklungsprozess in Gang, der letztendlich zum modernen Menschen, zum Homo sapiens, führte.
Auffermann: "Das Erfolgsrezept der Menschen ist natürlich nicht nur die Jagd auf Fleisch als Jäger und Sammler, sondern auch der große Opportunismus unserer Vorfahren. Wenn große Landsäuger zur Verfügung stehen, dann werden die erlegt, wenn es Seesäuger sein sollen, dann wurden Boote erfunden, um mit entsprechenden Waffen diese Tiere zu erlegen. Der Fischfang, ich glaube, keine einzige Fischsorte ist unseren Vorfahren oder aktuell den Völkern entgangen. Es wurden die ausgeklügeltsten Methoden ersonnen, um an diese nährstoffreiche Nahrung zu kommen in den jeweiligen Lebensräumen zu den unterschiedlichen klimatischen Bedingungen. Und das ist sicherlich das Erfolgsrezept des Menschen, weshalb es so viele von uns auf dem gesamten Planeten gibt."
Vegetarismus: eine moderne Errungenschaft
"Fleisch!" - vielleicht führt schon der Titel der Ausstellung bei dem einen oder anderen Vegetarier zu hochgezogenen Augenbrauen. Aber die fleischlose Kost, so Dr. Bärbel Auffermann, ist eine zivilisatorische Errungenschaft, die vielleicht ohne den Fleischkonsum unserer Vorfahren gar nicht möglich wäre:
"Vegetarier zu sein, das muss man sich auch leisten können. Für uns ist das heute ganz leicht, weil wir in den Supermarkt gehen und eine große Auswahl an Ersatzprodukten haben. Wir können Sojageschnetzeltes statt Hackfleisch zu Spaghetti Bolognese verarbeiten. Diese Möglichkeiten hatten die Menschen damals nicht. Wenn ich auf Fleisch verzichte, kann ich nur gesund leben, wenn ich im Austausch dann Hülsenfrüchte und Milchprodukte zu mir nehme. Und diese Alternative bestand kaum, und daher war es einfach auch die gesündeste Art, sich zu ernähren."