Peter Kapern: „Ich habe gegen die weiße Vorherrschaft gekämpft und ich habe gegen die schwarze Vorherrschaft gekämpft. Ich habe das Ideal einer demokratischen und freien Gesellschaft hochgehalten, in der alle Menschen in Harmonie und mit den gleichen Möglichkeiten zusammenleben. Das ist ein Ideal, für das ich lebe. Doch bei Gott, wenn es nötig ist, bin ich auch bereit, für dieses Ideal zu sterben.“ – so Nelson Mandela im Rivonia-Prozess im Jahr 1964.
Bei uns am Telefon ist nun Hans-Dietrich Genscher, der frühere Bundesaußenminister. Guten Morgen, Herr Genscher.
Hans-Dietrich Genscher: Guten Morgen.
Kapern: Herr Genscher, was geht Ihnen an diesem Tag, an dem Sie vom Tod Nelson Mandelas erfahren haben, durch den Kopf?
Genscher: Ich denke, unsere Welt ist ärmer geworden. Das ist ein Welttrauertag, dass dieser Mann von uns gegangen ist, der ein so leuchtendes Beispiel war für Überzeugungskraft und für das friedliche Zusammenleben der Menschen. Ich kann mich noch genau an den Tag erinnern, an dem ich ihm zum ersten Mal begegnet bin. Das war am 21. März 1990 in Windhuk, dem Tag der Unabhängigkeit von Namibia, das ja seine Unabhängigkeit auch dem Kampf von Mandela gegen die Apartheid verdankte. Vorher war ich ihm nicht körperlich begegnet, aber in meinen Gedanken, denn ich habe in jedem Jahr vor den Vereinten Nationen seine Freilassung in meiner jährlichen Rede gefordert, weil ich daraus ein internationales Ereignis, aus dieser langjährigen Inhaftierung, machen wollte und damit auch die Schrecken der Apartheids-Herrschaft zeigen wollte. Nein, das ist eine ganz große Persönlichkeit gewesen, dem es ja auch gelungen ist, das friedliche Zusammenleben zu ermöglichen in Südafrika. Wenn man bedenkt, was die Unterdrückung über Jahrzehnte bedeutet hat, dann wird einem klar, wie viel Kraft und wie viel Beispiel dazugehörte, dieses Zusammenleben sofort und ganz friedlich zu organisieren, nachdem die Apartheid beseitigt war.
Kapern: Können Sie uns erklären, Herr Genscher, wie es einem Menschen, der 27 Jahre lang eingesperrt war, gelingen kann, diejenigen, die ihn in den Kerker gesteckt haben, nach der Freilassung nicht zu hassen und zu verfolgen, sondern weiter für Versöhnung zu werben?
"Den konnten auch 27 Jahre nicht brechen"
Genscher: Das war ein Mann ohne Bitterkeit, der überzeugt war, die gerechte Sache zu vertreten. Wie er mir gegenübertrat, diese große eindrucksvolle Gestalt mit der ganz sanften Stimme, und wie er mir noch einmal auch die Motive erklärt hat, da habe ich verstanden, den konnten auch 27 Jahre nicht brechen, und das hat ihm natürlich am Ende auch die Kraft gegeben, die Versöhnung wirklich durchzusetzen. Denn es hat ja viele gegeben, die durchaus auch mit anderen Gedanken bewegt waren. Ich glaube, dass mancher in Deutschland auch Anlass hat, seine Haltung von früher zu bedenken, denn ich kann Ihnen sagen, für Mandela vor den Vereinten Nationen einzutreten, war in Deutschland nicht unumstritten. Im Gegenteil: Mir wurde vorgeworfen, dass ich mich für einen Mörder und Terroristen einsetze. Aber ich war zutiefst davon überzeugt: Hier geht es um einen Menschen, der aus der Gefängniszelle nach Jahrzehnten heraus zum Frieden aufruft und zur Gewaltlosigkeit, der am Ende sich auch durchsetzen wird. Ja, das muss man wirklich sagen. Einen solchen Menschen nicht mehr unter uns zu haben, das macht uns alle traurig. Er wird uns fehlen.
Kapern: Sie haben es angedeutet, Herr Genscher: Von einem Teil der deutschen Politik ist Nelson Mandela, auch als er schon lange eingesperrt war, als Terrorist, als Verbrecher bezeichnet worden. Auch Ronald Reagan und Margaret Thatcher haben dies getan. Hat der Westen gegenüber Mandela und gegenüber dem südafrikanischen Freiheitskampf zeitweise versagt?
Genscher: Nicht der Westen, aber einzelne Persönlichkeiten und Gruppierungen schon. Der Westen nicht. Er hat ja auch viel Unterstützung gefunden. Aber die Überzeugung, zum Beispiel die Forderung „one man, one vote“, jeder Mensch muss eine Stimme haben, unabhängig von Geschlecht und Hautfarbe, das durchzusetzen, darüber hat es politische Auseinandersetzungen auch bei uns gegeben. Aber man darf auch nicht vergessen, wie stark die Unterstützung auch für die Gleichberechtigung der Menschen in Afrika gewesen ist. Aber es zeigt eben auch, wie Vorurteile für lange Zeit Menschen den Blick für die Dinge verstellen und zu Irrwegen führen können.
Kapern: Der frühere Bundesaußenminister Hans-Dietrich Genscher zum Tode Nelson Mandelas heute Früh hier im Deutschlandfunk. Herr Genscher, vielen Dank für das Gespräch und Ihnen einen guten Tag. Mitgehört hat Rita Süssmuth, die frühere Bundestagspräsidentin. Auch Ihnen einen guten Tag, Frau Süssmuth.
"Von einem klaren kämpferischen Geist"
Rita Süssmuth: Guten Tag, Herr Kapern.
Kapern: Frau Süssmuth, Sie waren Bundestagspräsidentin, als Nelson Mandela 1996 im Bundestag gesprochen hat. Welche Erinnerungen haben Sie an diese Begegnung?
Süssmuth: Ich habe eine sehr lebendige Erinnerung an diese Begegnung, möchte aber vorausschicken, ich war 1995 zum Besuch des südafrikanischen Parlaments nach Afrika gereist und habe dort persönlich mit ihm sprechen können. Diese Erinnerung ist noch intensiver, weil es für mich die erste Begegnung mit einem Menschen war, der nach seiner Freilassung – 27 Jahre, wie Sie eben schon gesagt haben – von großer Ruhe, innerer Ruhe und Gelassenheit war und gleichzeitig von einem klaren kämpferischen Geist für die Ideale und Werte, die Sie eben beschrieben haben. Und wir wissen ja alle, als er 1990 freigelassen wurde, ging der Kampf weiter – in seinen eigenen Reihen, Friede statt Gewalt, und auch in der Auseinandersetzung mit de Klerk. Er ist für mich – so war auch seine Rede im Deutschen Bundestag, in den ich ihn eingeladen hatte im Namen des Parlaments -, er hat gezeigt in Robben Island, ich bleibe bei meinem Ideal, frei von Hass. Denn er sagte, wer Hass in sich verspürt, der kann nicht wirklich frei sein, und so war sein gesamtes Streben, trotz 27 Jahre der Haft unter schwierigsten Umständen, ein Mensch voller Geduld, Liebe und Toleranz. Mit diesem großen Geist, auch unterstützt, wenn Sie an Bischof Tutu oder viele andere denken, hat er sein Volk geeint, hat er Farbige und Weiße zusammengeführt und in all diesen Jahren bis zu seinem Lebensende diesen Geist praktiziert, nie wieder diese Teilung, nie wieder dieser Kampf, und war ein Beispiel für die gesamte Welt. Ich erinnere mich noch: Auch in unserem Bundestag waren bei bestimmten Politikern und Abgeordneten die Meinungen geteilt, als ich um Zustimmung zu meiner Einladung für Nelson Mandela gebeten habe. Und ich kann Ihnen gar nicht sagen, meine heutige Erinnerung ist die: Er stand im Parlament, sprach sehr ruhig, aber sehr intensiv und hatte eine Ausstrahlung auch auf unsere Abgeordneten. Für mich bleibt er lebendig und er wird wie andere Menschen, wie Martin Luther King, wie zum Teil auch Kennedy, eingehen in die Geschichte, dass er das Unmögliche möglich gemacht hat, und wir können gar nicht dankbar genug dafür sein, diesen Menschen erlebt, erfahren und in seiner Wirksamkeit erlebt zu haben. Ich möchte Ihnen sagen: Ich war jetzt vor drei Jahren noch mal an dem Ort, an dem er so viele Jahre gelitten hat, und wollte noch mal nach Robben Island, bin noch mal in diesen Gefängnisräumen gewesen, und mir ist so klar geworden, was dieser Mensch geleistet hat in der Überwindung aller negativen Gefühle um Frieden, demokratisches Zusammenleben und, wie er es sich selbst immer gewünscht hat, in diesem südafrikanischen Staat sollten Menschen verschiedenster Kulturen, Religionen, Rassen miteinander leben und ein Beispiel geben, Rassismus ist zu überwinden.
Kapern: Frau Süssmuth, ich danke Ihnen vielmals für Ihre Erinnerungen an Nelson Mandela und für Ihre Einschätzungen seines Lebenswerks. – Das war Rita Süssmuth, die frühere Bundestagspräsidentin, heute Früh im Deutschlandfunk. Frau Süssmuth, einen schönen Tag.
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