Archiv

Nepal
Abenteuer Annapurna

Der Himalaya lockt: Zehntausende kommen jedes Jahr, um im Norden Nepals auf Bergtour zu gehen. Seit den Erdbeben im April und Mai 2015 geht der Wiederaufbau in Kathmandu und auf dem Land nur langsam voran, die Infrastruktur für die Touristen steht größtenteils.

Von Franz Michael Rohm |
    Der wolkenbehangene Gipfel des Annapurna in Nepal.
    Himalaya-Wanderer bietet sich ein grandioses Panorama auf den Achttausender Annapurna (picture-alliance / Asa / Pascal Tournaire)
    Im Jahre drei nach den zerstörerischen Erdbeben empfängt die über 1.300 Meter hoch gelegene Hauptstadt Nepals ihre Besucher ohrenbetäubend und atemberaubend. Und zwar im Wortsinn. Den Grundton des Verkehrs liefern tausende Hupen, denn Hupen scheint beim motorisierten Fortbewegen in Kathmandu Pflicht zu sein. Die meisten Straßen sind im Grunde genommen nur Asphaltkleckse in einer Schlaglochpiste.
    Deshalb liegt in den Morgen- und Nachmittagsstunden ein staubiger Schleier über der Stadt, aufgewirbelt durch unzählige Motorräder und kleine Drei-Zylinder Autos. Regelmäßig werden die Feinstaubgrenzwerte der Weltgesundheitsorganisation um ein Mehrfaches überschritten. Aus diesem Grund bewegen sich die meisten Nepali und auch Touristen nur mit Mundschutz durch Kathmandu.
    Nach zwei Jahren Abstinenz sind Touristen zurück
    Im Gewirr der engen Gassen des Altstadtviertel Thamel herrscht mittlerweile wieder so viel Leben wie vor den Beben, denn nach zwei Jahren Abstinenz sind die Touristen zurückgekommen. In hunderten Geschäften stöbern sie nach Souvenirs, von T-Shirts über Yakwollschals bis zu Klangschalen.
    Überall locken kleine Restaurants mit internationaler Küche. Früher Hippieparadies, wird Kathmandu heute von Bergwanderern aus der ganzen Welt und aller Alters- und Einkommensgruppen besucht. Zwei bis drei Tage bleiben sie in der Regel, zur Akklimatisierung und um die Sehenswürdigkeiten der 1,3-Millonen-Metropole abzuklappern.
    Wiederaufbau von Durbar Square mit Königspalast
    Eine der Hauptattraktionen wurde durch die Erdbeben stark beschädigt: der im Zentrum von Thamel gelegene Durbar Square mit dem alten Königspalast Hanuman Dhoka. Mittlerweile ist der Schutt der eingestürzten Tempel und Pagoden weggeräumt und die Wiederherstellungsarbeiten beginnen. An den erhalten gebliebenen Tempeln beten jeden Morgen und Abend Nepalis, die der Religionsmehrheit der Hindu angehören.
    Regierung sprach von 9.000 Toten
    Im Frühjahr 2015 erschütterten zwei schwere und zahlreiche Nachbeben das rund 30 Millionen Einwohner zählende Nepal. Das verheerende Beben ereignete sich am 25. April.
    Mukheya Gurung: "Es war ein Samstagvormittag, gegen 12 Uhr Mittag. Ich saß an der Rezeption als der erste Stoß kam. Er war so stark, dass ich nicht rausrennen konnte. Ich hatte das Gefühl, das Beben war kurz. Aber es dauerte 56 Sekunden lang. Normalerweise ist unser Gebäude sehr stabil gebaut. Wir haben hier häufiger Erdstöße. Bei diesem sind unsere riesigen Wassertanks vom Dach heruntergestürzt. Andere Häuser in der Straße waren weniger stabil. Es gab viele Tote. Die Regierung sagt heute, zwischen acht und 9.000 Tote. Aber ich glaube, es sind mehr."
    Erinnerung an das Beben
    Mukheya Gurung arbeitet seit 25 Jahren im International Guest House im Thamel-Viertel. Mittlerweile ist der 52-Jährige der Manager des 60-Zimmer-Hotels. Es wird überwiegend von Reisenden besucht, bevor sie auf Tour in den Himalaya gehen.
    "Wir hatten viele Gäste. Nach dem Beben wollten sie nicht mehr im Hotel schlafen. Ich habe Zelte organisiert. Wir haben ihnen zu Essen gegeben. Es war schlimm. Dauernd gab es Nachbeben, manchmal im Minutentakt."
    Touristen ausgefolgen, Rettungsteams eingeflogen
    Rund 800 000 Häuser wurden in Nepal zerstört, am schlimmsten war es auf dem Land, wo die Menschen in einfachen Lehmhäusern leben. Nachdem die Touristen mit Hilfe der Botschaften ausgeflogen waren, kamen die Rettungsteams. Kurz darauf, am 12. Mai, traf ein weiteres schweres Beben das Land.
    "Beim zweiten Beben war ich in meinem Haus, in Patan, neben Kathmandu. Wir spielten Karten. Es gab ja nichts zu tun. Alle Schulen waren geschlossen, Behörden, Geschäfte. Man spielte Karten mit der Familie. Gegen ein Uhr, kam das zweite schwere Beben."
    "Das Problem ist die Korruption"
    Was Hotelmanager Gurung und viele Nepali heute beschäftigt, sind die schleppenden Wiederaufbauarbeiten.
    "Ehrlich gesagt, die Regierung hat nichts gemacht. Sie haben so viel Geld von anderen Ländern und Organisationen bekommen. Wer uns geholfen hat, das waren die NGO, Nicht Regierungs-Organisationen. So viele Länder haben Hilfsgelder gespendet. Und die Regierung hat so wenig gemacht. Schauen Sie sich um, am Durbar Square in Kathmandu, in anderen Städten. Mehr als die Hälfte unserer Tempel sind eingestürzt. Und der Aufbau geht sehr, sehr langsam voran. Das Problem ist die Korruption."
    Aufbau mit viel Handarbeit
    Vielleicht hat die Langsamkeit der Aufbauarbeiten auch damit zu tun, dass sie in den meisten Fällen in der Tradition des Landes stattfinden. Keine Zementmischer, kaum Maschinen, stattdessen viel Handarbeit. Fast alles Material, Holz, Steine, Zement, wird per LKW angeliefert, und dann per Muskelgraft, auf Rollen durch enge Gassen oder über Feldwege zum Wiederaufbau gezogen. Der Zement wird auf großen Haufen gemischt und gewässert, und anschließend in Schalen auf dem Kopf zu den Maurern getragen.
    Besuch bei Affentempel und Bodnath
    Weniger in Mitleidenschaft gezogen wurden die berühmten buddhistischen Tempel im Westen der Stadt, Swayambunath, auch Affentempel genannt und Bodnath. Empfehlenswert ist die Visite am frühen Morgen gegen sechs Uhr.
    Denn dann bevölkern Massen von Gläubigen der buddhistischen Bevölkerungsminderheit die tausende Jahre alten Tempelanlagen. Sie beten, drehen Gebetsmühlen und bringen Opfergaben. Irritierend sind dabei die Jogger und Frühsportler, die neben den betenden Gläubigen die steilen Treppenstufen zur körperlichen Ertüchtigung hinaufrennen.
    Langtang-Trek nur sehr eingeschränkt möglich
    Hauptattraktion Nepals ist nach wie vor der Himalaya, das Dach der Welt mit zahlreichen Bergen über sieben und 8.000 Metern Höhe. Der Langtang-Trek im Norden ist wegen der Erdbebenschäden noch immer nur sehr eingeschränkt möglich.
    Hardcore-Alpinisten fahren in Richtung Osten, zum Mount Everest. Ihr Ziel ist das Basecamp in knapp 5.400 Metern Höhe. Gut drei Wochen werden für die Tour gerechnet. Weniger sportlich Ambitionierte nehmen den Bus nach Westen, in die Stadt Pokhara.
    Unbeschädigtes Pokhara beliebt bei Touristen
    Nach sieben Stunden strapaziöser Busfahrt erreicht man die rund 800 Meter hoch gelegene Stadt an einem großen See. Pokhara wird inzwischen von deutlich mehr Touristen als vor dem Erdbeben besucht. Denn die Stadt liegt rund 250 Kilometer von den Epizentren der Beben entfernt und erlitt so gut wie keine Schäden.
    Von hier aus starten Trekks Richtung Annapurna Base Camp, zum kleinen und großen Rundweg und zum Poon Hill. Von diesem rund 3.200 Meter hohen Aussichtspunkt haben Himalaya-Wanderer ein grandioses Panorama der zwei Achttausender Daulaghiri und Annapurna sowie des Siebentausenders Machapuchare vor Augen. Am Ufer des Sees von Pokhara stehen Dutzende 3- und 4 Sterne-Hotels, etwas weiter entfernt tobt in der Gegend der Hostels lautes Nachtleben.
    Sechs-Tage-Trekking Richtung Annapurna Base Camp
    Die Stadt hat sich auf zehntausende Touristen in der Monsun-freien Zeit von April bis Juni und Oktober bis November eingestellt. Neben unzähligen Geschäften mit Bergwander-Ausrüstung und Souvenirs zählen Massage-Salons, Trekking-Agenturen und sogar Paragliding-Schulen zum touristischen Angebot. Die meisten Wanderer gehen nach einem Tag Ausruhen am See auf Tour.
    Trekk Bantanti Hill, Aufstieg nach Deurali, Nepal, März 2017 @ FM Rohm
    Selten, aber kann vorkommen: Schnee auf dem Poon Hill Trekk. Aufstieg nach Deurali. (deutschlandradio / Franz Michael Rohm)
    Früh am Morgen fährt man per Jeep zum Ort Pedi. Hier beginnt ein Sechs-Tage-Trekk Richtung Annapurna Base Camp, und dann nach Gorepani zum Poon Hill. Unser Begleiter ist Lakpa, ein ortskundiger Sherpa.
    Träger müsste zwei, drei Tage für ein Bier schuften
    Beim Mittagessen im ersten Weiler wird klar, wie sehr der Trekking-Tourismus die Region verändert hat. In jeder Ansiedlung am Wegrand wird Essen angeboten, neben dem traditionellen Dal Bath, Reis mit Linsen, stehen fast überall Pasta und Pizza auf der Karte. Eine Flasche Bier der Marke Everest kostet vier Euro, das ist ein Drittel bis die Hälfte des Lohnes, den ein Träger pro Tag erhält, der das Gepäck von Touristen bergauf und bergab schleppt.
    Wie sehr man trotz relativ gut ausgebauter Wege der Natur ausgesetzt ist, wird am Nachmittag klar, als ein heftiges Gewitter aufzieht. Innerhalb von einer Stunde sinkt die Temperatur von 18 Grad plus auf minus ein Grad. Der strömende Regen geht in Schnee über.
    Schlimmsten Wetterkapriolen seit 20 Jahren
    In der Lodge im Australian Camp auf etwa 2.200 Meter Höhe sitzen Dutzende durchnässte, frierende Trekker um den einzigen holzbefeuerten Ofen, der nach dem Abendessen erlischt. Schnell verkrümeln sich alle in die Schlafsäcke. Am nächsten Morgen liegt Schnee.
    Zum Glück geht es auf gleicher Höhe weiter, später dann bergab, nach Landruk, zum nächsten Übernachtungsort auf etwa 1.800 Metern Höhe. Das einzige, was wärmt, ist die Freundlichkeit der Menschen und eine Tasse heißen Tee an jedem Tea-House, dass wir passieren. Wieder beginnt es zu regnen. Die meisten Wanderer haben nicht mit so einem schlechten Wetter gerechnet. Zu dünn angezogen, nur mit Turnschuhen unterwegs, machen sich einige auf den Rückweg. Der Weg zum Annapurna Base Camp ist geschlossen, Lawinengefahr. Wieder auf 2.200 Metern Höhe ist kein Zipfel von den Bergen zu sehen, stattdessen fällt aus dicken Wolken Regen, der später wieder in Schnee übergeht. Selbst Sherpa Lakpah hat so ein Wetter in 20 Jahren noch nicht erlebt:
    "Ich habe hier noch nie so viel Schnee gesehen. Um diese Jahreszeit ist das ganz außergewöhnlich."
    Lawinen und Evakuierung
    Auf dem Annapurna-Basecamp Trekk sind mehrere Lawinen abgegangen, einige Lodges sind verschüttet. Die Guides und Träger sind per Handy angewiesen worden, nicht mehr hoch zu gehen. Alle müssen in tiefer gelegene Dörfer, zurück zum Ausgangspunkt oder zum Poon Hill. Man fürchtet Tote. Sieben Menschen werden vermisst.
    Am nächsten Morgen fliegen zahlreiche Helikopter Richtung Annapurna Base Camp und evakuieren Trekker und Einheimische. Zum Glück bewahrheitet sich die Befürchtung mit den Toten nicht. Aber viele Verletzte werden nach Pokhara ins Krankenhaus geflogen. In der Lodge in Landruk wird ein Tag Pause eingelegt.
    Viele Bergwanderer sind schlecht ausgerüstet
    In der Küche treffen sich Trekker, die nicht weiterkönnen, am holzbefeuerten Ofen. Einige verlegen ihre Routen in tiefer gelegene Gebiete. Jetzt wollen alle, die ursprünglich zum Annapurna Base Camp wollten, auch zum Poon Hill. Der ist zwar nicht so hoch wie das Base Camp, aber eben erreichbar.
    Am nächsten Tag geht es trotz starken Regens weiter. 450 Höhenmeter hinunter zu einem Fluss und anschließend 600 Meter hoch bis zum Ort Ghandruk. Immer wieder begegnen uns neben Reisegruppen aus China, Japan und den USA viele junge Bergwanderer, die allein oder zu zweit unterwegs sind. Sherpa Lakpa ist besorgt wegen ihrer schlechten Ausrüstung.
    "Wir haben auch jetzt viele Trekker gesehen, die völlig unzureichendes Schuhwerk tragen. Egal was für ein Wetter es ist, man braucht feste Wanderschuhe, warme Kleidung, und Sonnenbrille. Das muss dabei sein."
    Überwältigender Blick auf das Annapurna-Massiv
    Auf den engen, steilen Pfaden sind zahlreiche Maultier-Karawanen unterwegs. Sie bringen die Lebensmittel für die Touristen und Gasflaschen zum Kochen zu den Lodges und Teehäusern. Einen anderen Transportweg gibt es nicht. Nach vier Regen- und Schneetagen reißen in Ghandruk zum ersten Mal die Wolken auf, und geben den überwältigenden Blick auf die Gipfel des 7.000ers Machapuchare, und das 8.000 Meter hohe Annapurna-Massiv frei. Das entschädigt für kalte Nächte und durchnässte Kleidung.
    Wir sind wieder über 2.200 Metern Höhe, erneut liegt Schnee auf dem schmalen Pfad. Massen von Trekkern sind mit uns zum Poon Hill unterwegs, oder kommen von dort. Das Dorf am Fuße des Aussichtspunkts heißt Gorepani. Dutzende mehrstöckige Lodges aus Stein sind hier in den letzten Jahrzehnten errichtet worden. In Gorepani kreuzen sich die Wege hinunter nach Pokhara, hinauf ins Mustang-Tal an der Tibetischen Grenze und der Annapurna-Trail.
    Aufstieg eines gigantischen Lindwurms
    Am nächsten Morgen bietet sich um fünf Uhr in der Frühe bei minus zehn Grad ein unglaubliches Schauspiel. Hunderte Trekker folgen dem Pfad hoch zum 3200 Meter hohen Poon Hill. Mit ihren LED-Lampen am Kopf sehen sie aus wie ein gigantischer Lindwurm. An einer Holzhütte werden 50 Rupien Eintritt kassiert, umgerechnet knapp 40 Cent. Nach weiteren zwanzig Minuten stramm bergauf ist ein Plateau mit Aussichtsturm und Teestation erreicht. Langsam schälen sich aus der tiefblauen Nacht die Konturen des 8.000 Meter hohen Daulaghiri, des Annapurna Massivs, in der Ferne reckt der Macchapuchare seine beiden Fischschwanz-Gipfel in die Höhe.
    Kameras im Schätzwert von einer Million Euro
    Als die Sonne aufgeht kommen, Kameras im Schätzwert von einer Million Euro zum Einsatz. Schließlich will so ein Erlebnis digitalfotografisch festgehalten werden. Nach einer halben Stunde Gipfelrast geht es durchgefroren wieder hinunter ins Dorf Gorepani. Dort sind in der nächsten Stunde alle warmen Duschen besetzt. Dann machen sich die Trekker entweder auf den Rückweg direkt hinunter nach Pokhara oder auf die die längere Runde am Annapurna-Massiv entlang.
    Ausruhen am See
    Nach zwei Tagen erreichen wir den Ort Bantati. Kurz dahinter beginnt die Asphaltstraße und von hier geht es per Jeep zurück nach Pokhara. Nach mehr als einer Woche in den Bergen genießen die Trekker die Annehmlichkeiten der Stadt am See. Zurück in Kathmandu erwartet sie die Metropole, in der noch viel wiederaufgebaut werden muss.