Eigentlich wären die Anbieter ab dem 1. Juli per Gesetz dazu verpflichtet, pauschal alle Internet-, Telefon-, Fax- und SMS-Verbindungsdaten für zehn Wochen lang zu speichern, dazu alle Standortdaten von Mobilfunkgeräten für vier Wochen. Die gesammelten Daten sollten den Ermittlern dabei helfen, Straftaten aufzuklären.
Die Entscheidung der Bundesnetzagentur, darauf zu verzichten, wird von Opposition, Firmen und Datenschützern begrüßt. "Konsequent und richtig" sei das, sagt die Bundesdatenschutzbeauftragte Andrea Voßhoff. Sie nennt die Vorratsdatenspeicherung "einen massiven Eingriff in die Rechte aller von ihr Betroffenen", ihre Grundrechtskonformität sei "nach wie vor zweifelhaft".
Die Bundesnetzagentur reagiert auf einen Beschluss des Oberverwaltungsgerichts Münster aus der vergangenen Woche. Der Münchener Internetanbieter Spacenet hatte dort gegen die Vorratsdatenspeicherung geklagt. Die Richter hatten erhebliche Zweifel, ob die pauschale Vorratsdatenspeicherung in Deutschland überhaupt mit der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zu vereinen ist. Sie befreiten Spacenet deswegen von der Speicherpflicht, bis ein Urteil im Hauptsacheverfahren endgültig fällt.
Von Notz: "vernichtende Niederlage für Bundesregierung"
Auch wenn das noch Jahre entfernt sein könnte, zeigt sich das Unternehmen heute erfreut: Die Entscheidung der Münsteraner Richter nehme das Urteil in der Hauptsache "unübersehbar vorweg", so Spacenet-Vorstand Sebastian von Bomhard.
Diesen Eindruck will Phillip Scholz, Sprecher des Bundesjustizministeriums, in der Bundespressekonferenz nicht teilen, es sei so:
"…dass, wie sie wissen, der Beschluss des Oberverwaltungsgerichts im Eil-Rechtsschutz ergangen ist, also ein Hauptsacheverfahren und eine Entscheidung in der Hauptsache noch aussteht. Die gilt es jetzt noch abzuwarten. Und sie wissen sicherlich auch, dass Verfassungsbeschwerden zu diesem Gesetz anhängig sind, über die auch noch nicht entschieden worden ist."
Der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Linken, Jan Korte, nennt die deutsche Vorratsdatenspeicherung eine "Farce". Die Bundesregierung hätte spätestens nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs im vergangenen Dezember "die Notbremse ziehen müssen". Der netzpolitische Sprecher der Grünen, Konstantin von Notz, sagt: Es zeichne sich eine "vernichtende Niederlage für die Überwachungspolitik dieser Bundesregierung ab".
Die Union kritisiert die Bundesnetzagentur für ihre Entscheidung. Diese sei nicht nachvollziehbar, sagte die rechtspolitische Sprecherin der Unionsfraktion im Bundestag, Elisabeth Winkelmeier-Becker. Sie nannte es unverantwortlich auf die Vorratsdatenspeicherung zu verzichten, kurz vor dem G20-Gipfel in Hamburg.
Theoretisch könnten die Internet- und Telefonanbieter die Daten in der Zwischenzeit trotzdem speichern, auf freiwilliger Basis. Allerdings erklären die Deutsche Telekom, Vodafone, Telefonica mit der Marke O2 sowie "Eins und Eins": Sie werden auf die Speicherung der Verkehrsdaten erst einmal verzichten. Auch hier will man das Hauptsacheverfahren abwarten.
Bereits der zweite Anlauf
Der Wirtschaftsverband der Internetzugangsanbieter "eco" begrüßt die Entscheidung der Bundesnetzagentur als "absolut konsequent". Die Unternehmen bräuchten Rechtssicherheit, um nicht erneut ein europarechts- und verfassungswidriges Gesetz umsetzen zu müssen und damit beachtliche Gelder zu verschwenden.
Es ist bereits der zweite Anlauf einer Koalition aus CDU, CSU und SPD, eine solche einzuführen. Bereits 2010 war der erste Versuch vor dem Bundesverfassungsgericht in Teilen gescheitert – noch vor den Urteilen des Europäischen Gerichtshofes. Der hatte im vergangenen Dezember eine anlasslose und flächendeckende Vorratsdatenspeicherung in Europäischen Union für unzulässig erklärt, weil sie gegen das Grundrecht auf Privatsphäre verstößt. Eine Speicherung für Ermittlungszwecke sei nur beim Verdacht von schweren Straftaten zulässig. Außerdem müsse der betroffene Personenkreis eingegrenzt werden – beispielsweise durch personelle, zeitliche oder geografische Kriterien.