Den 28. Juli 2014 wird in Münster niemand so schnell vergessen. Es ist der Tag, an dem die westfälische Stadt im Regen ertrank. Auch Andreas Becker erinnert sich noch gut. Der Meteorologe leitet das Referat für Niederschlagsüberwachung beim Deutschen Wetterdienst DWD in Offenbach:
"Der Stunden-Niederschlag war mit 165 Litern ein neuer Allzeitrekord für Deutschland. Und der Zwei-Stunden-Niederschlag mit 260 Litern auch ein neuer Allzeitrekord."
Doch den Bodenmessstationen des DWD blieb die ungeheure Wucht des Wetterextrems verborgen. Rund 2.000 Regensammler verteilen sich über das ganze Land. Nur: Keiner von ihnen steht direkt in Münster, "so dass wir in dem Stationsmessnetz nur rund 50 Liter in einem Tag erfasst haben", sagt Becker. "Wir hätten also aus diesen Daten allein das Ereignis völlig falsch vermessen."
"Nach derzeitigen Erkenntnissen ist niemand sicher!"
Dass das nicht passierte, liegt an einem zweiten Messnetz, das der Wetterdienst unterhält. Es besteht aus 17 Regenradar-Stationen mit Messradien von 150 Kilometern, die sich überlappen. Bei einer räumlichen Auflösung von einem Quadratkilometer rutscht ihnen praktisch kein lokaler Wolkenbruch mehr durch:
"Die Radardaten sind seit 2001 flächendeckend für Deutschland verfügbar. Es gibt also noch keine sehr langen Zeitreihen, aber wir haben die Möglichkeit, dort wirklich alle Extremereignisse zu sehen. Und zwar in ihrer Intensität, in ihrer Größe - haben also viel mehr Informationen, die wir nun auswerten können."
Genau das hat die Arbeitsgruppe der DWD-Physikerin Tanja Winterrath getan. Ihre Ergebnisse stellt sie jetzt auf der Deutschen Klimatagung in Frankfurt am Main vor. Sie sind erstaunlich:
"Es zeigt sich, dass in ganz Deutschland eigentlich eine Gefahr besteht, dass diese lokalen Extremereignisse dort auftreten können. Also Niederschläge, die sehr selten auftreten, die auch sehr lokal und zeitlich begrenzt sind, starke Gewitterzellen, die ja oft auch thermisch ausgelöst werden. Nach derzeitigen Erkenntnissen kann man sagen: Niemand ist sicher! Also, wir sehen in unseren Daten der letzten 17 Jahre, dass die Extremereignisse wirklich in ganz Deutschland aufgetreten sind."
Super-Gewitterzellen auch im Flachland
Davor war das Bild ein ganz anderes. Es stützte sich noch auf die Daten der Bodenmessstationen.
Die Nordhälfte Deutschlands hatte demnach praktisch nirgends extreme Wolkenbrüche zu befürchten. Und in der Südhälfte schienen nur Höhenlagen gefährdet: das Alpenvorland, der Schwarzwald, die Schwäbische Alb, der Bayrische Wald, Fichtel- und Erzgebirge. Überall dort schüttet es typischerweise, wenn Wolken gezwungen werden, aufzusteigen, wie Andreas Becker sagt.
Auf der Radar-Karte ist dagegen auch das Flachland gesprenkelt mit Super-Gewitterzellen, die innerhalb der letzten 17 Jahre hier und dort auftraten. Becker:
"Die Physik ist jetzt nicht abgeschafft worden. Steigungsregen bildet nach wie vor Niederschlag. Aber wenn es um die ganz extremen Ereignisse geht, dann ist vor allem die Konvektion auch ein wichtiger niederschlagsbildender Prozess. Das kommt vor, wenn es entweder im Sommer ganz, ganz heiß am Boden ist und die Luft darüber relativ kalt ist. Oder im Winter, wenn Sie in der Höhe sehr, sehr starke Kaltluftzufuhr haben. Dann kracht's ordentlich."
Auch Städte im Flachland, sollten das Thema ernst nehmen
So wie in Münster im Juli 2014. Oder auch wie in Berlin, wo es im letzten Sommer extrem regnete. Beides bekanntlich Städte, die nicht im Gebirge liegen, sondern auf dem flachen Land:
"Wir sehen zum Beispiel auch im Lee, wenn Sie so wollen, der Stadt Berlin eine verstärkte konvektive Tätigkeit. Das heißt, der Osten von Berlin und das Land dahinter wären eher gefährdet, dass dann solche Konvektion dort stattfindet und Starkregen macht."
Die Gefahr durch extreme Niederschläge in Deutschland werde allgemein unterschätzt, warnt DWD-Experte Becker. Und rät auch Städten im Flachland, sich stärker mit dem Thema auseinanderzusetzen:
"Hamburg, Berlin, Hannover, Bremen und das ganze Ruhrgebiet: Steht alles in der Norddeutschen Tiefebene. Insofern hat man natürlich da eine Betroffenheit, über die man sprechen muss. Und das werden wir uns auch weiter anschauen. Ob es da dann auch nochmal besondere Hot-Spot-Regionen gibt. Das ist weiter Gegenstand der Forschung."
Für regionalspezifische Trends braucht man viel mehr Daten
Im Moment sei es noch zu früh, um verlässliche Starkregen-Trends für einzelne Städte oder Regionen abzuleiten. 17-jährige Radarmessungen genügten dafür nicht. Nötig seien noch längere Beobachtungsreihen.