Archiv

Neuer CDU-Chef in Sachsen
"Dieses Land braucht eine Koalition"

Der neue CDU-Landesvorsitzende Michael Kretschmer hat die Politik von Martin Schulz (SPD) scharf kritisiert. Sie sei "gefährlich", sagte Kretschmer im Dlf. Trotzdem plädierte er weiter für eine Große Koalition und warnte vor Verhältnissen wie in der Weimarer Republik, die aufgrund von Egoismen, Eitelkeiten und parteipolitischen Interessen zugrunde gegangen sei.

Michael Kretschmer im Gespräch mit Stefan Heinlein |
    Der neue CDU-Landesvorsitzende in Sachsen, Michael Kretschmer
    Michael Kretschmer wurde mit 90 Prozent der Stimmen zum neuen Landesvorsitzenden der CDU in Sachsen gewählt (picture alliance / Ralf Hirschberger/dpa-Zentralbild/dpa)
    Stefan Heinlein: Ein Traumergebnis an diesem Wochenende in Löbau. Mit 90 Prozent der Stimmen wurde Michael Kretschmer zum neuen CDU-Landesvorsitzenden in Sachsen gewählt. Morgen dann geht es weiter: Es folgt die Wahl zum Ministerpräsidenten - das Ende der Ära Tillich. Insgesamt jedoch keine einfachen Zeiten für die CDU im Freistaat. Noch immer steckt den Christdemokraten der Schock der herben Niederlage bei der Bundestagswahl in den Knochen, als man hinter der AfD in Sachsen nur auf Platz zwei landete. Eine verunsicherte Partei also, die gerade erst beginnt, die Fehler und Versäumnisse aufzuarbeiten und deshalb besonders aufmerksam die Entwicklung in Berlin beobachtet, über die ich jetzt reden möchte mit Michael Kretschmer, CDU-Landeschef in Sachsen und ab morgen Ministerpräsident im Freistaat. Guten Morgen.
    Michael Kretschmer: Guten Morgen.
    Heinlein: Wie zufrieden sind Sie mit der Fehleranalyse Ihrer Partei?
    Kretschmer: Sie hat ja gerade erst eingesetzt. Die Voraussetzung dafür, dass man in Zukunft wieder mit neuem Schwung vorangehen kann, ist, dass man weiß, was man falsch gemacht hat, warum das Ergebnis nicht besser gewesen ist. Deswegen finde ich es richtig und gut, dass dieses Gespräch auch im Bundesvorstand jetzt stattgefunden hat.
    Heinlein: Warum hat diese Fehleranalyse gerade erst begonnen? Die Bundestagswahl ist schon über zwei Monate her.
    Kretschmer: Ja, und es waren keine guten Monate für Deutschland und die Demokratie. Denn das, was wir erlebt haben, von der SPD, von der FDP, die Verweigerung, Verantwortung zu übernehmen, das war nicht gut und hat natürlich viele, viele Kräfte gelähmt, auch die in den Parteien, sich grundsätzlich Gedanken zu machen über eine Ausrichtung, die die Probleme in unserem Land löst, die auch die Unzufriedenheit aufnimmt und die ein Zukunftsbild entwickelt.
    Heinlein: Herr Kretschmer, in Ihrer Rede am Wochenende haben Sie kritisiert, Ihre Partei habe es bisher versäumt, die Fehler und Versäumnisse der Vergangenheit ausreichend zu analysieren, etwa in der Asyl- und Flüchtlingspolitik. Warum fällt der CDU, warum fällt Ihrer Partei diese ehrliche Aufarbeitung so schwer?
    Kretschmer: Wie gesagt, sie hat ja jetzt begonnen. Für mich war die Bundestagswahl zu einem großen Teil eine Abstimmung über die Migrationspolitik der letzten zwei Jahre. Das ist nicht angenehm, wenn man das so sagt, weil natürlich wir regiert haben. Aber es ist die Voraussetzung, jetzt die richtigen Schlüsse daraus zu ziehen, und wir sehen ja auch bei der SPD, dass es ihr ganz, ganz schwerfällt, genau diese Entscheidungen, die hart sind, aber die notwendig sind, wie den Familiennachzug ausgesetzt zu lassen, sichere Herkunftsländer auszuweisen und vor allen Dingen die hohe Anzahl von ausreisepflichtigen Menschen wieder zurück in ihre Länder zu bringen, dass sie sich da sehr schwertut, die Entscheidung so zu treffen, dass das alles möglich wird.
    "Wir haben eine ehrliche Debatte auch bei uns in Sachsen geführt"
    Heinlein: Herr Kretschmer, ich verstehe, dass Sie gerne über die Opposition oder Ihren Koalitionspartner, die SPD reden und weniger über Ihre eigene Partei. Noch einmal die Frage: Warum bleibt bei der CDU so vieles unter der Decke? Warum streitet die SPD, die Sie gerade ansprechen, so viel ehrlicher und offener?
    Kretschmer: Wir haben eine ehrliche Debatte auch bei uns in Sachsen geführt. Wir haben im Bundesvorstand jetzt an diesem Wochenende auch die Dinge noch einmal ganz deutlich ausgesprochen bekommen. Ich glaube, jeder der in Deutschland gewesen ist die letzten zweieinhalb Monate, wird mitbekommen haben, dass es eine ganz dramatische Situation gegeben hat. Nach der Bundestagswahl braucht dieses Land natürlich eine Regierung und alle Kräfte waren damit beschäftigt, auch diese Regierung zu bilden. Und was wir da erlebt haben von Seiten einzelner Parteien, ist eine große Verantwortungslosigkeit. Das hat viele gebunden.
    Für mich war wichtig, die Dinge auszusprechen und auch darauf zu dringen, dass es diese Aufarbeitung gibt, und zwar nicht nur rückwärtsgewandt. Das Entscheidende ist ja, was macht man aus dieser Erkenntnis, wie geht man in die Zukunft.
    "Die Migrationspolitik hat viele Menschen geärgert"
    Heinlein: Darüber müssen wir gleich reden. Dennoch: Sie klingen jetzt viel moderater, viel zurückhaltender als am Wochenende in Löbau. Da haben Sie auf Ihrer Rede gesagt – und jetzt zitiere ich wörtlich: "Entscheidend ist, dass man zu seinen Fehlern steht, und genau das ist auf Bundesebene bisher nicht passiert".
    Kretschmer: Ja, das ist auch so. Die Migrationspolitik hat viele Menschen geärgert. Wir sind nicht zusammengebrochen, wir haben Großartiges geleistet. Aber auch diejenigen, die ganz aktiv in der Flüchtlingshilfe gewesen sind, haben gesagt, so kann es nicht auf Dauer bleiben.
    Und wir haben an vielen Punkten nicht richtig diskutiert, nicht mit den Leuten gesprochen. Wir haben auch nicht vernünftig erklärt. Deswegen sind wir in eine Situation gekommen, dass sich ein großer Teil der Wähler abgewandt hat von auch dieser Regierungskoalition, die eigentlich viele Dinge richtig gemacht hat.
    Jetzt geht es nicht darum, diese vergossene Milch wieder einzusammeln und aufzuwischen, sondern es geht darum, nach vorne zu argumentieren, was sind die Schlüsse, welche politischen Entscheidungen braucht es, damit dieses Vertrauen zurückkommt, damit deutlich wird, diese Situation der vergangenen Jahre wird sich so nicht wiederholen, und wir finden auch einen richtigen Umgang damit, beispielsweise mit Integration, mit Ausweisung und mit der anständigen Grenzsicherung, dass sich diese Situation wirklich nicht wiederholen kann.
    Heinlein: Aber jetzt drängt sich der Eindruck auf, Herr Kretschmer, dass der Zwang, Angela Merkel den Rücken zu stärken, dem Führungspersonal in diesen Debatten mit der SPD, in dieser Debatte über eine Neuauflage der Großen Koalition, das verhindert eine inhaltliche Debatte über Fehler und Versäumnisse. Ist dieser Eindruck ganz falsch?
    Kretschmer: Ja, wir waren – und das, wie ich finde, ja auch zurecht – mit dieser Regierungsbildung beschäftigt. Das ist ein, wie ich finde, einmaliger Vorgang in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, dass wir zweieinhalb Monate nach der Wahl noch nicht wissen, in welcher Konstellation dieses Land in Zukunft regiert werden kann. Das ist unverantwortlich. Wir haben auch in unserem eigenen Land so viele Themen, so viele Sorgen, die angepackt werden müssen.
    Wir haben eine internationale Verantwortung, gerade auch in der Europäischen Union, die Dinge zusammenzuhalten und zu gestalten. Und dass dann ein Land mit 80 Millionen Einwohnern aus parteitaktischen Gründen so in die Handlungsunfähigkeit getrieben wird, das finde ich nicht in Ordnung und hat natürlich auch die Frage, wie man mit so einem Wahlergebnis umgeht, welche Schlüsse man daraus zieht, natürlich auch behindert.
    "Es bleibt uns ja nichts anderes übrig"
    Heinlein: Die SPD diskutiert ja sehr hart über eine Neuauflage der Großen Koalition, zuletzt auf dem Parteitag. Dennoch an Sie die Frage: Wie gut sind denn die Chancen für Ihre Partei, für die CDU, in einer Großen Koalition inhaltlich neue Akzente zu setzen, neu zu denken und auch die Fehler und Versäumnisse der Vergangenheit zu korrigieren?
    Kretschmer: Es bleibt uns ja nichts anderes übrig. Nicht die Parteien suchen sich eine Regierung aus, sondern ein Wahlergebnis, und die Dinge sind ziemlich klar. Wenn wir nicht zu einer Großen Koalition kommen, also einer Verbindung von CDU/CSU und SPD, dann haben wir nur noch zwei Möglichkeiten, entweder in eine Minderheitsregierung, und jeder, der mal in der Kommunalpolitik gewesen ist und weiß, wie das dann am Ende abläuft, wenn die Mehrheiten undefiniert sind, wenn es von Zufälligkeiten abhängt, der kann das Deutschland nicht wünschen. Und bei Neuwahlen ist es in ähnlicher Weise so. Ich denke schon, die Verantwortung auch aus der Geschichte zeigt, demokratische Parteien müssen koalitionsfähig sein und müssen sich zusammenraufen. Das ist der Wählerauftrag.
    Heinlein: Neuwahlen, Herr Kretschmer, will offenbar keine Seite. Halten Sie denn wie Ihr Parteifreund Jens Spahn eine Minderheitsregierung letztendlich für den besseren Weg, wenn die Verhandlungen von der SPD überspannt werden?
    Kretschmer: Ich bin der Meinung, dass die Herausforderungen in Deutschland so groß sind, die Erwartungen der Menschen so groß und am Ende auch so klar, dass man erwarten kann, dass CDU/CSU und SPD ein gemeinsames Programm entwickeln. Und das darf nicht daraus bestehen, einfach nur das weiter zu tun, was die letzten Jahre gewesen ist. Es darf nicht nur daraus bestehen, die eigenen parteipolitischen Forderungen in den Mittelpunkt zu stellen, sondern was jetzt notwendig ist, ist beispielsweise in der Migrationspolitik wie in den 90er-Jahren ein realistischer Blick auf die Probleme und dann neue Antworten, neue Lösungen, damit dieses Thema aus der Welt kommt. Wir brauchen eine gesellschaftliche Befriedung bei diesem Thema Flüchtlinge und Migrationspolitik.
    Die ist auch erreichbar. Und dann können wir wieder über die Zukunftsthemen sprechen. Wenn ich mir anschaue, wie die erste Große Koalition 2005 gearbeitet hat, mit welchem Verve sie die Probleme angegangen ist, welche Erfolge da gewesen sind, wie auch in schwierigen Zeiten damals in der Finanzkrise diese Regierung zusammengehalten hat, am Ende auch positiv bewertet worden ist, dann ist das doch das Leitbild, was wir auch jetzt haben sollten.
    Heinlein: Ein Plädoyer für eine Fortsetzung der Großen Koalition. Dennoch: Heute Morgen kann man lesen, Martin Schulz, die SPD überlegt offenbar eine neue Form der lockeren Koalition, eine Art offene Ehe in der Regierung, wo nicht alle Dinge geregelt sind. Könnten Sie sich damit anfreunden?
    Kretschmer: Ich glaube, die SPD hat sehr viel Vertrauen verspielt und sollte jetzt wieder zur Seriosität zurückkommen. Das war kein gutes Bild die letzten zweieinhalb Monate und jetzt sollte es vernünftig weitergehen. Diese Art, Politik zu machen, von Martin Schulz mag im Europäischen Parlament gut angekommen sein. Ich glaube, auch dort war sie nicht nur segensreich. Aber in Deutschland ist sie wirklich gefährlich. Er sollte endlich damit aufhören und die Vernünftigen in der SPD sollten sich durchsetzen.
    "Dieses Land braucht eine Koalition"
    Heinlein: Ganz klar das Signal aus Sachsen, entweder eine feste Koalition oder keine Koalition?
    Kretschmer: Dieses Land braucht eine Koalition. Das ist doch das, weswegen wir gewählt werden, weswegen es Wahlen gibt. Das ist doch das, auch wenn man sich mal anschaut, wie die Weimarer Republik am Ende zugrunde gegangen ist: aus Egoismen und aus Eitelkeiten und aus nur noch parteipolitischen Interessen, die im Mittelpunkt gestanden haben. Das können wir doch nicht so wollen.
    Heinlein: Im Deutschlandfunk heute Morgen der CDU-Landesvorsitzende in Sachsen, Michael Kretschmer, ab morgen dann wohl Ministerpräsident im Freistaat. Vielen Dank für das Gespräch und auf Wiederhören.
    Kretschmer: Danke!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.