Stefan Koldehoff: 58 Jahre ist er alt, hat für den WDR und für RIAS-TV, für Deutsche Welle TV und zuletzt als trimedialer Chefredakteur, also Radio, Fernsehen und Digitales, beim Mitteldeutschen Rundfunk gearbeitet. Heute ist nun Stefan Raues erster so richtiger Arbeitstag als Intendant des Deutschlandradios mit den drei Programmen Deutschlandfunk, Deutschlandfunk Kultur und Deutschlandfunk Nova. Nun hätten wir über diese drei Programme und ihre hohe Akzeptanz, über großartige Redaktionen und freie Mitarbeiter sprechen können, Stefan Raue übernimmt die Leitung dieses unseres Hauses aber zu einem Zeitpunkt, an dem der öffentlich-rechtliche Rundfunk in Deutschland schon angenehmere Zeiten erlebt hat. Es gibt Kritik - und das nicht mehr nur noch bei Bürgerinnen und Bürgern und einigen Parteien, sondern seit Längerem auch bei einigen anderen Medien. In wenigen Wochen muss der neue Intendant zudem - wie alle ARD-Anstalten es müssen - ein Papier an die Hörfunkkommission der Länder übergeben, in der dann Reformen und Sparvorschläge auch fürs Deutschlandradio stehen sollen. Gleichzeitig steigt der Druck ohne mehr Geld und mehr Personal auch digital stärker aktiv zu werden.
Stefan Raue, muss der Intendant eines öffentlich-rechtlichen Senders 2017 vor allem Krisenmanager sein und reagieren?
Stefan Raue: Na ja, wenn wir es falsch machen, dann sieht es so aus. Wenn wir es nicht richtig machen, wenn wir das jetzt zu defensiv angehen, wenn wir uns zu sehr darauf versteifen zu erklären, was wir alles Tolles machen, dann Punkt, dann kommen wir in die Defensive. Die gesellschaftliche Situation in der politischen Öffentlichkeit ist schon ganz klar zu spüren. Es wird erwartet, dass die öffentlich-rechtlichen Sender - ARD, ZDF, Deutschlandradio -, dass sie Stellung beziehen, wie sie in den nächsten Jahren und Jahrzehnten aufgestellt sein wollen.
Und das geht eben nicht nur so, dass man alle Jahre die Hand aufhält und sagt, wir brauchen mehr Geld für mehr Programm, neues Programm, mehr digitale Zukunft und so weiter und so fort, sondern man erwartet von uns - und das sind nicht nur Politiker, sondern es sind viele Menschen -, dass wir uns eine Vorstellung machen, was können wir unter Umständen einsparen, wo können wir sparsamer werden und wo wollen wir unsere Schwerpunkte ziehen. Das ist ein ganz normaler Vorgang, der ist in der freien Wirtschaft überall üblich, und der trifft nun uns öffentlich-rechtliche Veranstalter auch.
"Wir tun gut daran, offensiv unsere Vorstellungen darzustellen"
Koldehoff: Und da sehen Sie uns Öffentlich-Rechtliche auch überhaupt nicht in der Defensive?
Raue: Wir sind in einem Diskussionsprozess, der war in den letzten Jahren deutlich aggressiver gegen uns gerichtet - ich erinnere mal an Pegida und anderes und Lügenpressediskussionen -, das hat ein bisschen abgenommen, aber man sollte sich da nicht täuschen, das ist nicht weg. Es gibt andere Schwerpunkte im Augenblick in der politischen Öffentlichkeit, aber die Erwartung, dass wir nicht so einfach tun, als ob die Zeit um uns herum weitergeht und alles muss sich verändern, nur wir nicht.
Diese Erwartung, die ist weiter da, und sie wird immer dann aufkommen, wenn wir ein neues Programm entwickeln wollen, wenn wir in der digitalen Welt stärker verankert sein wollen, dann werden wir immer wieder damit konfrontiert werden, und wir tun gut daran, offensiv unsere Vorstellungen darzustellen und darzulegen und dann auch daran zu arbeiten.
"Wir müssen unsere Produkte erklären"
Koldehoff: Nun gibt es diesen einen Widerspruch, auf den Sie gerade auch noch mal in einem langen Beitrag für epd medien hingewiesen haben: 80 Prozent der Bürgerinnen und Bürger billigen den öffentlich-rechtlichen Medien und den überregionalen Qualitätszeitungen große Glaubwürdigkeit zu, sind aber offenbar nicht willens, sich auch für diese Medien einzusetzen - sei es nun finanziell, sei es nun gesellschaftlich. Woher kommt das?
Raue: Das ist zum einen, dass wir gewöhnt sind alle, dass wir mediale Angebote, wo ich herkomme, aus dem Bergischen Land, sagt man für lau bekommt, also dass man nicht dafür zahlen muss. Fernsehen, öffentlich-rechtliches Fernsehen gerade war immer frei, die Privaten, da merkt man es nicht so, weil die Werbungskosten ja wir alle mit unserem Einkauf tätigen. Die Zeitungen waren relativ günstig, die Preise für die Printzeitungen, die sind wesentlich gestiegen, im Online bekommen wir alles frei.
Und da tun sich die Menschen schwer, dass sie sagen, für das, was ich jetzt über Jahre, jahrzehntelang mehr oder weniger frei bekommen habe, wenn ich nicht freiwillig meinen Rundfunkbeitrag bezahlt habe, da soll ich jetzt nun immer etwas zahlen. Und dann wird auch geguckt, 17,50 Euro, 18 Euro, 20 Euro, was auch immer. Und wenn wir ernsthaft darüber nachdenken und sehen, was beispielsweise ein Abo für Fußball bei Sky oder so etwas kostet, was allein die Kabelgebühren der Kabelgesellschaften kosten und so weiter, da sind ja diese 17,50 Euro gar kein großer Ausreißer nach oben.
Aber die Menschen haben nicht so richtig, sagen wir mal, gute Laune und viel Lust dazu, jeden Monat das zu bezahlen. Und das können wir bejammern, beklagen, das hilft aber nichts, wir müssen den Menschen, von denen wir erwarten, dass sie jeden Monat diese 17 Euro soundso viel zahlen, dass wir die davon auch überzeugen, dass sie das richtig machen und dass sie mit dem Geld auch etwas Gutes machen und dass sie dafür auch gutes Programm bekommen.
Wir müssen bisschen raus aus dieser Bequemlichkeit und aus dieser Haltung, na ja, das wird doch immer alles irgendwie dann kommen, sondern wir müssen, wie das in der freien Wirtschaft auch ist, wir müssen unsere Produkte erklären und wir müssen denjenigen, die unsere Programme hören, auch erläutern, was das für einen Aufwand bedeutet, was das kostet und dass das gut angelegtes Geld ist.
"Wir müssen darum kämpfen"
Koldehoff: Sie haben gesagt und haben sich auf die Hör- und Sehgewohnheiten ihrer Kinder dabei berufen, wir brauchen eigentlich nicht nur Hörerinnen und Hörer, Userinnen und User, wir brauchen so was wie Fans. Das heißt, Sie möchten, dass die Leute uns richtig lieb haben.
Raue: So ist es. Es reicht nicht, dass wichtige Menschen, Prominente, Politiker, Wirtschaftsvertreter, Gewerkschafter, Kirchenvertreter sagen, ja, dieses öffentlich-rechtliche System, das ist wichtig, und es unterscheidet uns in positiver Weise von vielen Ländern um uns herum - in den USA, was auch immer. Wir müssen darum kämpfen, dass jeder, der unser Programm hört, auch seinem Nachbarn, seinem Freund, seinem Kollegen sagt, Mensch, da hab ich heute Morgen was Tolles gehört oder gestern Abend was Tolles gesehen, das finde ich aber prima, und dann darüber redet und sagt, ist doch gut, dass es ein öffentlich-rechtliches System gibt, das so etwas anbietet.
Das wirkt jetzt alles ein bisschen gestelzt und man kann jetzt nicht erwarten, dass darüber Kollegen reden, aber ich erinnere mich natürlich schon an Zeiten, als ich Student oder Schüler oder Volontär war, dass man über bestimmte Fernsehsendungen, bestimmte Hörfunksendungen auch geredet hat und wenn es über die Musikfarbe war, und das war Thema und das hat man mit dem jeweiligen Sender dann auch in Verbindung gebracht. Und so was müssen wir auch wieder mehr schaffen.
"Viel Grundsympathie bei vielen Hörern"
Koldehoff: Kommen wir da als Radio überhaupt noch an gegen die große bunte Bilderwelt, die ja, wie Sie gerade richtig gesagt haben, tatsächlich zum großen Teil für lau angeboten wird?
Raue: Der Hörfunk hat die große Chance, dass die Menschen, die ihn dann hören, dass die sich ihm sehr stark verbunden fühlen, dass sie in ihrer Gedankenwelt, in dem, was sie dann reflektieren, wenn sie bei uns etwas hören, das sehr stark mit unserem Angebot verbinden. Und ich glaube, gerade Deutschlandradio mit seinen drei Programmen hat so viel Grundsympathie bei vielen Hörern und bei vielen, die auch online unsere Angebote nutzen, da kann man gut drauf aufbauen. Aber wir brauchen noch ein Quäntchen mehr: Wir müssen erreichen, dass die Menschen, die uns hören, auch gewissermaßen Botschafter für unsere Sache werden.
"Gute Erfahrungen mit Rechercheredaktionen gemacht"
Koldehoff: Auch mehr eigene Themen setzen. Der Deutschlandfunk hat jahrelang mit dem Slogan "sagte im Deutschlandfunk" für sich geworben. Das bedeutete, bei uns hört ihr die Großen, Wichtigen, Klugen, vielleicht auch Mächtigen, wir geben wieder, was die zu sagen haben. Eigene Recherche, vielleicht auch investigative Recherche ist nicht unbedingt was, was man in erster Linie mit den Sendern des Deutschlandradios verbindet. Mehr Stärkung dort?
Raue: Kann ich mir vorstellen. Ich hab mit den Kollegen in den einschlägigen Redaktionen noch nicht reden können, deswegen muss ich mich da noch ein bisschen zurückhalten - das wirkt ein bisschen komisch, wenn man am ersten Tag hier gleich die großen Programme verkündet.
Ich hab gute Erfahrungen mit Rechercheredaktionen und -teams gemacht. Ich hatte bei meinem letzten Job beim Mitteldeutschen Rundfunk eine sehr gute Recherchetruppe, die viele tolle, interessante Ergebnisse herausgearbeitet hat, die man in der normalen Arbeit so nebenher einfach nicht herausarbeiten kann. Da muss man mal einen Menschen auch freistellen können und sagen können, ihr arbeitet jetzt ein paar Wochen nur an dem Thema und versucht mal, da etwas herauszuholen.
Und wenn man's dann schafft, dann ist man als Medium, als Sender auch in der Lage, über diesen Output, sagen wir so schön, also die Ergebnisse dieser Recherchen dann auch über mehrere Tage tatsächlich nachrichtgebendes Leitmedium zu sein. Und das müsste ein interessantes Ziel, ein spannendes Ziel … Deutschlandradio ist mit seinen Programmen Leitmedium, aber ich glaube, durch eigene Recherchemöglichkeiten kann man das sogar noch ein bisschen steigern.
"Stärker herausarbeiten, was wir Tolles machen"
Koldehoff: Darf denn zum Herausstellen, zum Bekanntmachen der eigenen Qualitäten auch gehören, zu sagen, was man nicht macht, dass da keine Schlagersängerinnen anderthalb Stunden lang ihr neues Album bei uns vorstellen dürfen, dass wir nicht millionenteure Sportgroßveranstaltungen quersubventionieren und, und, und, oder würde man damit anderen zu sehr vors Bein treten?
Raue: Ja, das muss man auch im Auge behalten, das sollte man auch vermeiden in diesen kriegerischen Zeiten, aber ich glaube, wir haben ein Publikum, was unsere vornehme Art mit diesen Dingen auch durchaus nachvollziehen kann und auch goutiert.
Ich glaube nicht, dass man so stark auf die Trommel hauen muss und sagen muss, wir sind diejenigen, die nicht Zerstreuung predigen, wir sind diejenigen, die nicht ellenlange langweilige Sportgroßereignisse übertragen - das verbinden die Menschen auch gar nicht mit unseren Marken. Die Menschen wissen ganz genau, was sie mit Deutschlandfunk, Deutschlandfunk Kultur und Deutschlandfunk Nova haben, und da kann man auch eine Marke bleiben und Marken treu bleiben. Ich glaube, man braucht es auch nicht zu übertreiben, aber wir können schon stärker herausarbeiten, was wir Tolles machen.
"Wir müssen ganz stark in die digitale Welt"
Koldehoff: Der erste richtige Tag in Köln. Ich habe einer Antwort vorhin schon entnommen, Sie werden jetzt hier keine großen programmatischen Erklärungen abgeben, trotzdem ein, zwei Ideen, mit denen Sie Ihre Ziele umsetzen wollen, die Sie gerade skizziert haben?
Raue: Ja, eines ist überhaupt nicht originell, das weiß das Haus, das wusste auch mein Vorgänger und das wissen alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter hier: Man kann sich nicht mehr nur auf das alte lineare Medium konzentrieren, wir müssen ganz stark in die digitale Welt, auch zeitversetzte Nutzung stärker anbieten, unter Umständen drüber nachdenken, ob wir nicht stärker personalisierte Angebote machen müssen. Auch das ist ein Diskussionsprozess, das ist sehr umstritten, ich gehöre zu den Befürwortern solcher Angebote, da müssen wir mal zueinander in Diskussion treten, also die digitale Zukunft.
Wir müssen das Interaktive viel stärker noch betreiben. Sie betreiben das ja hier auch im Rahmen dieser Sendung, das ist ganz, ganz wichtig. Das ist eine alte Stärke des Hörfunks. Es gibt eine interaktive … so eine Tradition des Hörer- und Redaktionskontakts, das hat Fernsehen, seine Eindimensionalität zunächst mal nicht. Das müssen wir stärker herausarbeiten, denn das ist etwas, was auch in der digitalen Welt natürlich ganz entscheidend ist. Wir brauchen nur an die sozialen Netzwerke zu denken.
Das andere ist, dass ich glaube, dass das Deutschlandradio mit seinen drei Programmen und seiner großen Fachkompetenz auch über den Sendeauftrag im alten Hörfunkbereich, im digitalen Bereich auch die Aufgabe hat, wichtige Debatten zu transportieren. Das kann man auch über Tagungen machen, große Podiumsdiskussionen, große Veranstaltungen inklusive des Programms mit anderen Partnern zusammen. Ich glaube, wir haben in Deutschland hier einen bestimmten Bedarf oder einen großen Bedarf an konstruktivem Streit und großer Diskussion.
Koldehoff: Und ansonsten ist der Himmel blauer in Köln und das Gras grüner als in Leipzig?
Raue: Vor 25 Jahren hätte ich gesagt, das Gras in Leipzig ist weniger grün, aber es hat sich dort eine Menge getan, und das Gras ist auch in Leipzig sehr grün und es ist auch in Berlin sehr grün und am Rhein ist es auch sehr grün, aber den Rhein gibt's natürlich nur einmal.
On Air lief am 04.09.2017 eine gekürzte Fassung dieses Interviews.
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