Die Motivationen der knapp 50 Studierenden, die sich in den neuen Bachelor-Studiengang eingeschrieben haben, sind so unterschiedlich wie ihre Herkunftsländer: Rund die Hälfte der junge Akademiker kommt aus Deutschland, die andere Hälfte aus verschiedenen Ländern Europas, Israel und den USA. So wie Max Feldhake: Der 25-Jährige war ein Jahr als Au-pair in Dresden und hat sich dann entschieden, in Potsdam Jüdische Theologie zu studieren.
"Es ist ganz spannend jetzt, das mit der neuen 'School of Jewish Theology' an der Uni. Das ist sozusagen in Deutschland, und nirgendwo anders, eigentlich in Deutschland und in Europa diese Möglichkeit gibt, jüdische Theologie an einer Universität zu studieren. Also das ist auch ganz interessant und spannend."
Max Feldhake studiert Jüdische Theologie, um später als Rabbiner in einer Jüdischen Gemeinde in Deutschland zu arbeiten. Doch es gibt auch andere Motivationen für das Studium, das nicht nur Juden offensteht. Alex Richter ist über ihre Familiengeschichte bei der Jüdischen Theologie gelandet. Sie hat sich immer daran gestört, dass ihre Großmutter so positiv vom Nationalsozialismus gesprochen hat und so schlecht von Juden.
"Ich hab mich dann irgendwann gefragt, wo ist jetzt das Problem, dass meine Oma immer wieder antisemitische Stereotype eigentlich aufgreift und immer versucht, innerhalb der Familie zu transportieren. Und dann hab ich mich einfach mit deutsch-jüdischer Geschichte auseinandergesetzt. Und dann irgendwann kam man bei Religion an und, ja, das war dann so mein kleines Steckenpferd."
Was sie nach dem Studium machen wird, ist noch unklar. Doch einen Wunsch hat die 29-Jährige:
"Also jüdisches Museum wär halt ein Traum, wenn das klappen würde, aber das ist immer schwierig, an solche Stellen ran zu kommen. Also es ist was, was ich versuche, weiterzuverfolgen. Ob's klappt, keine Ahnung, mal schauen."
Auf dem Semesterplan: Aramäisch, Hebräisch aber auch Philosophiegeschichte
In den ersten Semestern stehen für die Studierenden neben Religions- und Philosophiegeschichte vor allem Hebräisch und Aramäisch auf dem Programm, um die Hebräische Bibel im Original lesen zu können. Die systematische Auseinandersetzung mit religiösen und historischen Quellen ist zentral für das Studium der Jüdischen Theologie, dessen Einbindung in die akademische Welt der Vordenker des Reformjudentums, Abraham Geiger, bereits vor fast 200 Jahren forderte.
"Der Ruf nach der Jüdischen Theologie geht auf die 30er-Jahre des 19. Jahrhunderts zurück. Auf der Basis der Emanzipation des Judentums und der beginnenden bürgerlichen Bewegung, auch der staatsbürgerlichen Emanzipation der Juden, forderte 1836 Abraham Geiger die Errichtung einer jüdisch-theologischen Fakultät."
Rabbiner Walter Homolka ist Rektor des Abraham-Geiger-Kollegs. Er war die treibende Kraft bei der Etablierung des neuen Studiengangs. Anders als es sich Geiger gewünscht hatte, ist die Jüdische Theologie an der Universität Potsdam allerdings keine eigene Fakultät, sondern ein Institut der Philosophischen Fakultät. Durch diese Anbindung soll die Bedeutung des Dialogs zwischen der bekenntnisorientierten Theologie und der Philosophie unterstrichen werden, betont Johann Hafner, Dekan der Philosophischen Fakultät. Doch erst einmal, räumt er ein, mussten dafür Vorbehalte gegen den neuen Studiengang beseitigt werden.
"Hier kommen sozusagen nicht-wissenschaftliche Perspektiven rein, und wir sind aber doch alle objektive Wissenschaftler. Wenn man aber dann die etablierten Theologien in Deutschland anschaut, und sieht auf welchem hohen wissenschaftlichen Niveau die arbeiten, muss man sagen, braucht man vor der Theologie wirklich keine Angst zu haben, weil sie ganz entschieden philologisch oder historisch oder soziologisch arbeiten, fast so stark historisch, soziologisch, philologisch, dass man sich fragt: Wo ist hier noch die Konfessionalität?"
Auch Rabbinerausbildung ist höchst wissenschaftlich
Die ist vor allem bei den Studenten gegeben, die das neue Fach mit dem Abschluss Rabbinat oder Kantorat studieren. In diesen Fällen ist das Studium mit einer Ausbildung zum Rabbiner oder Kantor am liberalen Abraham-Geiger-Kolleg und dem konservativen Zacharias-Frankel-College verbunden. Die beiden Rabbinerseminare bilden Rabbinerinnen und Rabbiner für nicht-orthodoxe jüdische Gemeinden weltweit aus. Doch auch diese Studenten müssen sich auf hohem wissenschaftlichem Niveau mit den Grundlagen des Glaubens auseinandersetzen und sich kritischen Fragen stellen, betont Kollegs-Rektor Homolka.
"Alles ist auf dem Prüfstand, alles wird hinterfragt. Und die Zusicherung Abraham Geigers, dass man genau durch dieses Wissen zu einem geläuterten Glauben kommt, das ist die Arbeitshypothese der 'School of Jewish Theology'."
Wie viele Fragen und Zweifel sich die Studentinnen und Studenten der jüdischen Theologie heute zumuten, werden sie selbst entscheiden müssen. Klar ist nur: Das Spannungsverhältnis zwischen Bekenntnis auf der einen und kritischem Hinterfragen auf der anderen Seite ist in dem neuen Studiengang selbst angelegt. Und das sei gut so, sagt Student Max Feldhake.
"Wenn man als liberaler Rabbiner irgendwo in der Welt heutzutage tätig sein möchte, muss man [dem] Judentum, die jüdische Religion, etwa kritisch gegenüberstehen auch. Wenn man nicht kritisch mit religiösen Sachen umgeht, es lohnt sich überhaupt nicht."