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Neues Album der Rolling Stones
"Ich glaube, es war kein Masterplan da"

Das letzte Studioalbum der Rolling Stones erschien vor elf Jahren. Gestern veröffentlichte die Band die neue CD "Blue And Lonesome" und geht damit zurück zu ihren Ursprüngen: dem Blues. Eine nostalgische Erinnerung an ihre Jugend? Musikkritiker Karl Bruckmaier sagte im Corsogespräch, ihn störe ein bisschen die gitarrenmäßige Muckerei.

Musikkritiker Karl Bruckmaier im Gespräch mit Christoph Reimann |
    Die Rolling Stones bei einem Auftritt in Kuba im März 2016.
    Die Rolling Stones bei einem Auftritt in Kuba im März 2016. (imago/Agencia EFE)
    Christoph Reimann: Der Song "Ride 'Em On Down", erschienen auf dem neuen Album der Rolling Stones, "Blue and Lonesome". Die erste Platte der Stones seit 10 Jahren ist das, und allein das sorgt ja schon für Gesprächsstoff. Aber, was taugt die Musik? Die Frage, die stellen wir jetzt dem Musikkritiker Karl Bruckmaier. Guten Tag nach München, Herr Bruckmaier.
    Karl Bruckmaier: Grüß Gott, wie man in Bayern sagt.
    Reimann: Herr Bruckmaier, der Song eben gerade, hätten das jetzt nicht die Stones aufgenommen - so wie es klingt - da hätte doch wohl kein Hahn nach gekräht, oder?
    Bruckmaier: Nun, ich habe gestern, als die Platte erschien, in der "Süddeutschen Zeitung" gelesen, es könnte auch eine Band aus Iserlohn sein oder aus Bad Salzuflen, die diese Platte aufgenommen hat. Ich glaube, dem ist nicht ganz so. Man merkt dem Album schon an, dass hier Leute zugange sind, die ein großes Wissen um diese Musik haben, die eine große Liebe zu dieser Musik haben, die auch eine große Liebe zu sich selber haben und die die instrumentalen Fähigkeiten haben, das auch umzusetzen. Und die natürlich auch über dieses gewisse Extra verfügen, das die Rolling Stones seit, weiß nicht, seit wie vielen hundert Jahren antreibt rund um diesen Globus. Also, das hört man schon.
    Langes Verhältnis zum Blues
    Reimann: Aber warum machen die das denn jetzt? Also eine Geste an die Zeit, ja, sie knüpfen damit an, womit sie angefangen haben, eben mit dem Blues-Rock. Ist das denn so eine Art Nostalgie-Trip, oder wie deuten Sie eben diesen Schritt der Rolling Stones, das Album zu diesem Zeitpunkt in ihrer Karriere rauszubringen?
    Bruckmaier: Also, ich verfolge die Rolling Stones, seit ich mich für Musik interessiere, seit mehr als 40 Jahren. Ich habe Mick Jagger, ich habe Keith Richards getroffen und lange interviewt. Ich bin mir sicher, dass die Blues-Aficionados, die sie waren - als die sie auch angefangen haben in London - als sie sich, mehr oder weniger zufällig zu den Rolling Stones zusammengeschlossen haben, ein ganzes Leben lang so eine Art Minderwertigkeitskomplex mit sich herumschleppen, was den Wert ihrer eigenen Musik und ihrer Fähigkeiten dem Blues gegenüber angeht.
    Und vielleicht sollte dieses Album ein weiterer Versuch sein, die Rechnung zu begleichen, die sie gefühlt immer noch glauben offen zu haben. Warum? Sie haben am Anfang sich bei ihren Vorbildern relativ scharf bedient, sie hatten mit dieser Musik viel Erfolg, sie haben mit dieser Musik viel Geld verdient. Sie waren eine der wenigen Bands, die immer ihrer Vorbilder und die Quellen offengelegt haben, die auf ihren Amerika-Tourneen in den 60er-Jahren dafür gesorgt haben, dass auch schwarze Musiker in ihrem Umfeld auftreten konnten, auch im damals noch stark rassengetrennten Fernsehen.
    Sie haben sich also immer große Mühe gegeben, das korrekt abzuwickeln und, trotz dieser großen Erfolge, die sie hatten und trotz der Abermillionen Platten, die sie verkauft haben, haben sie, glaube ich, immer noch das Gefühl, sie sind nicht so gut wie die Vorbilder, bei denen sie sich einst bedient haben. Und vielleicht ist es wieder einmal ein Versuch, das Augenmerk auf die zu richtenden Finger, auf die zu weisen. Und ich könnte mir gut vorstellen, dass nun die Platte – sei sie gut, sei sie schlecht – tatsächlich für eine gewisse Zeit dazu beitragen wird, dass das Interesse an "authentischem" Blues wieder größer wird und dass sich diese Zielvorgabe der Rolling Stones so dann auch einlösen lässt.
    Chicago-Blues als Vorbild
    Reimann: Vorbilder wie Howlin' Wolf zum Beispiel, Little Walter oder Willie Dixon. Das sind zumindest ein paar Namen der Komponisten, von denen die Songs auf dieser Platte stammen, denn es sind ja Cover-Versionen da drauf. Was meinen Sie, was erzählt uns die Auswahl der Stücke?
    Bruckmaier: Die hat mich auch ein bisschen überrascht. Ich finde, dass die Auswahl sehr Richtung Chicago neigt, was einerseits natürlich historisch erklärbar ist, weil es ist die Art von Blues ist, die sie am Anfang auch am stärksten nachgespielt haben. Aber die Stones sind sich auch der Bedeutung des Country-Blues und der Stadt Memphis für den Blues, sehr, sehr stark immer bewusst gewesen und haben das in ihrer Musik auch zelebriert. Und dass sie jetzt so fast ausschließlich sich in Richtung 'Southside of Chicago', sich lehnen, das hat mich ein bisschen verblüfft. Es hat aber vielleicht auch mit der Entstehungsgeschichte der Platte zu tun. Angeblich ist man ja drei Tage lang in London zusammengesessen, um sie ein bisschen einzuspielen, warmzuspielen, hat dabei die Festplatten heiß laufen lassen und eben all die Nummern geklopft. Ich glaube, es war kein Masterplan da. Und das ist eben das, was rausgekommen ist, wenn kein Masterplan da ist.
    "Fingerzeig in eine Vorvergangenheit"
    Reimann: Was ist denn ihr abschließendes Kritikerurteil? Also eine wichtige Platte für die Stones selbst vielleicht? Eine Hommage an die großen Vorbilder im Blues? Und für die Hörer? Lohnt sich das? Lohnt sich das, der Kauf?
    Bruckmaier: Ich war überrascht, wie viel Spielfreude doch auf diesem Album versammelt ist. Mich stört ein bisschen die gitarrenmäßige Muckerei, die manchmal durchkommt. Mich stört manchmal der übertrieben manierierte Gesang von Mick Jagger. Also, ich glaube, sie könnten das, wenn sie sich drauf vorbereitet hätten, viel besser. So ist es eine Skizze, die hingeworfen ist, die den, den das angeht, auch berühren wird. Der wird da vielleicht seine Freude dran haben oder wird sich dran reiben können. Und es ist auf jeden Fall, wie soll ich sagen, ein Fingerzeig in eine Vorvergangenheit, als der Blues noch die dominierende schwarze Form von Popmusik war. Und vielleicht ist es eine gute Gelegenheit, selber anzufangen - wenn man das noch nicht getan hat - diese Musik zu entdecken und den Weg der Stones zurück zu den "Originalen" zu suchen und zu finden.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.