Man weiß nicht so recht, ob sich die beiden etwas langweilen, oder ob sie einfach nur entspannt sind. Gaspard Augé and Xavier de Rosnay von Justice sitzen, oder besser lümmeln, auf der Couch ihrer Plattenfirma in Berlin. Rosnay ist der aktivere und übernimmt die Beantwortung der Fragen.
"Wir sind älter geworden. Unsere Beziehung zur Musik hat sich verändert, unsere Beziehung zueinander auch. Deshalb ist es unmöglich, immer dieselbe Musik zu machen. Wir versuchen uns nicht dagegen zu wehren, sondern diesen Umstand produktiv zu nutzen."
Xavier de Rosnay spricht vom neuen Justice-Album "Woman". Fünf Jahre sind vergangenen seit ihrer letzten Platte. Und diese hier ist die deutlich sanfteste, obwohl sich unter den 10 Stücken noch immer einige veritable Dancefloor-Kracher befinden.
"Der Sound des Albums ist softer. Aber das bedeutet nicht, dass er schlaff ist. Wir versuchen immer die intensivste Musik zu machen, die wir drauf haben. Je länger wir das probieren, desto häufiger verzichten wir auf all die einfachen Tricks, mit denen man Leute in Bewegung versetzen kann: harte Beats oder verzerrte Bässe zum Beispiel. Softpower, das ist die größte Power."
Facettenreiches Album
Das Referenzjahrzehnt des neuen Justice-Albums sind die 1970er-Jahre. Vom Sound her bewegt sich "Woman" zwischen Disco, Funk, Space- und Soft-Rock. Die Ecken und Kanten früherer Tracks haben die beiden Pariser mit Plüsch überzogen und rosarot ausgeleuchtet. Aber Vorsicht. In dieser Liebeskammer stolpert man gelegentlich über Handschellen und Peitschen.
"Unsere Musik hatte immer schon eine romantische Komponente, aber es ist das erste Mal, dass wir den Begriff Liebe in den Mittelpunkt rücken. Das Album deckt dabei viele Facetten ab wie zum Beispiel die brüderliche Liebe, die romantische Liebe, den Sex, aber auch die Gewalt. Es braucht dafür eine sehr einfache und direkte Sprache und es hat eine Weile gedauert, bis wir uns sicher genug fühlten, das Thema anzugehen."
Vor gut 10 Jahren revolutionierten Justice die elektronische Musik. Sie inszenierten sich als Rockstars, die mit Head-Banger-Posen hinter ihren Mischpulten feierten. Das war Musik, die nach Party, Bier und Schweiß roch, ideal für den US-amerikanischen Markt, der sich bis zu diesem Zeitpunkt erfolgreich gegen die Techno-Welle aus Europa gewehrt hatte.
Vorreiter der "EDM"
Justice tourten durch die USA und legten somit den Grundstein für den Boom von "Electronic Dance Music", kurz EDM, ein Genre, das heute zu den lukrativsten im US-Pop zählt. Justice fühlten sich dort aber nie zu Hause. Als ich sie beim Interview danach frage, stehen sie auf, nehmen ein Bild von David Guetta, einem Star-DJ der EDM-Szene, das über ihren Köpfen hängt und platzieren es an einer anderen Stelle im Raum. Auch ein Statement.
Justice lieben das Spiel mit starken Symbolen. Ihr Band-Logo ist ein simples Kreuz. Das neue Album trägt den Titel "Woman".
"Der Titel hat keine vordergründig feministische oder sexuelle Bedeutung. Ich weiß gar nicht, ob ich das Prinzip des Feminismus überhaupt vollends verstehe. Für uns ist "Woman" einfach ein sehr schönes und bedeutungsvolles Wort. Wir beide waren in unseren Familien von starken Frauen umgeben, wir sind in unserem Beruf von starken Frauen umgeben, unser Bandname "Justice" leitet sich von Justitia, der Göttin der Gerechtigkeit ab. Unsere Vision der ultimativen "Power" ist die einer starken Frau mit einem Schwert in der Hand."
Nerdige Ader für altes Studio-Equipment
Der neue Soft-Core steht Justice gut. Tracks wie "Randy", "Safe And Sound" oder "Fire" sind vollendete Popsongs. Auf Instrumentalstücken wie "Heavy Metal" oder "Chorus" leben die beiden Produzenten hingegen ihre nerdige Ader für altes Studio-Equipment aus. Mit "Woman" und viel Liebe haben es Justice geschafft, der Kurzlebigkeit von Clubtrends zu entkommen und ein Album von dauerhafter Schönheit zu schaffen.
"Woman", das neue Justice-Album, ist gestern auf Ed Banger Records erschienen.