Er hätte nach Meinung mancher Kenner einer der wichtigsten Schriftsteller Nachkriegsdeutschlands werden können. wenn er es noch erlebt hätte. Doch Felix Hartlaub wurde gut zwei Wochen vor Kriegsende zum letzten Mal gesehen, als er sich auf den Weg in eine Spandauer Kaserne machte. Vergeblich hatten ihn Freunde abhalten wollen, dem Stellungsbefehl Folge zu leisten und auf sinnlose Weise sein Leben zu riskieren. Dabei ging Hartlaub keineswegs aus Überzeugung. Er war kein Anhänger der Nazis, und kaum jemand wusste so gut wie er, seit wie langer Zeit der Krieg verloren war. Seit diesem Tag, als er im S-Bahnhof Berlin-Schlachtensee den Zug bestieg, fehlt jede Spur von ihm. Ver-geblich hoffte die Familie bis in die 50er Jahre, dass er als Spätheimkehrer aus sowjetischer Gefangenschaft zurückkehren könne. Hartlaub zählt zu den rätsel-haft Verschwundenen, deren Schicksal auch 60 Jahre nach Kriegsende un-geklärt ist.
Das Geheimnis um sein Verschwinden kann auch Monika Marose in ihrer Bio-grafie nicht aufklären. Dafür aber hat sie andere, bisher unbekannte Dinge über Felix Hartlaub herausgefunden, die sein Bild wenn nicht revidieren, so doch in einem neuen Licht erscheinen lassen. Von November 1941 bis wenige Wochen vor Kriegsende arbeitete er in der Abteilung "Kriegstagebuch" des Oberkom-mandos der Wehrmacht. Das hat ihm eine einzigartige Beobachterposition für seine privaten Aufzeichnungen verschafft, aber auch schon früh den Vorwurf eingebracht, er sei ein "politischer Voyageur" gewesen und habe "innerlich nie recht Stellung bezogen".
Monika Marose legt es darauf an, zu zeigen, dass dem nicht so war. Ihre genaue, deutende Lektüre von Hartlaubs Texten und Briefen ergibt das Bild eines Autors, der, obwohl er nie etwas anderes wollte als Schriftsteller sein, zunächst jah-relang an Komplexen und Schreibblockaden herumlaboriert. Wenige der frühen Versuche wurden zu Ende geführt; manche muten geradezu ungeschickt an und lassen das Talent kaum ahnen. Wenn überhaupt, blitzt es in dieser Zeit in seinen Briefen auf.
Felix Hartlaub war 20, als die NSDAP in Deutschland an die Macht kam. Sein Vater, der Direktor der Kunsthalle Mannheim, wurde seines Amtes entho-ben, weil er sich für moderne Kunst eingesetzt hatte. Jahre später sollte Hartlaub Bilder, mit denen er aufgewachsen war, in der NS-Propaganda-Ausstellung "Entartete Kunst" wiedersehen. Während des Studiums in Berlin gewann der menschenscheue junge Mann Freunde, die ihn entscheidend prägten und ihm die politische Realität vor Augen führten: Irene Lessing und Klaus Gysi - übrigens der Vater des PDS-Politikers - waren doppelt gefährdet, als Juden und als im Untergrund wirkende Mitglieder der Kommunistischen Partei. Die Mutter von Klaus Gysi war Hartlaubs große Liebe, bis sie 1938 nach Frankreich emigrierte.
Gleich nach Beginn des Zweiten Weltkriegs wurde er eingezogen. "Ich kann gar nicht sagen, daß ich mich unglücklich fühle", schrieb Hartlaub aus einer Kaserne an den Vater, "ich assistiere ziemlich gelassen dem Abflauen der Persönlichkeit." In dieser Zeit fand eine literarische Umorientierung statt, weg von historischen und mythologischen Stoffen, hin zur bedrängenden Gegenwart. In einem Lazarett, in dem er wegen einer Depression behandelt wurde, plante er, noch ganz unspezifisch, ein Buchprojekt: "Es müßte etwas sein mit einer Substanz von europäischer Gemeinsamkeit, etwas vom überlebenden Europa, haltbar, brauchbar, nicht ignorierbar in der europäischen Katastrophe. Und ein Gegenstand, der mir irgendwie, nein gar nicht irgendwie, sondern ganz persönlich und unmittelbar liegt. Also niemals etwas Politisch-Militärisches als Hauptgegenstand."
Es sollte völlig anders kommen. Ende November 1941 wurde Hartlaub als histo-rischer Sachbearbeiter zum Oberkommando der Wehrmacht nach Berlin ver-setzt. Hier, und später an den wechselnden Standorten des Generalstabs, befand er sich als eine Art höhere Schreibkraft im Zentrum der Macht, dem so genannten Sperrkreis. Die Abteilung "Kriegstagebuch" verzeichnete alle Truppenbe-wegungen, also auch die sich häufenden Niederlagen. Es war eine kleine Abteilung, und der Biografin Monika Marose ist es gelungen, einen der Kollegen ausfindig zu machen, der Briefe Hartlaubs, Erinnerungen und unveröffentlichte Fotos zur Verfügung stellte.
Es scheint, dass dieser Kollege so wenig wie irgendein anderer in Hartlaubs Um-gebung seine schriftstellerische Tätigkeit bemerkt hat. Tatsächlich aber schrieb Hartlaub damals wie besessen an Texten, die man lange für eine Art Tagebuchprosa gehalten hat. Monika Marose kann hingegen glaubhaft zeigen, dass Hartlaubs Ziel immer die literarische Fiktion war und dass auch die Aufzeichnungen aus dem "Sperrkreis" - als Vorarbeiten zu einem Romanprojekt - stets an der Grenze zwischen Dokumentation und Fiktion operieren. Es war brisantes Material, sowohl wegen des ausdrücklichen Verbots, private Aufzeichnungen zu führen, als auch wegen der oft sarkastischen und entlarvenden Darstellung der Akteure. Hartlaub nutzte seine Heimaturlaube, um die Manuskripte in Sicherheit zu bringen.
Das literarische Renommee des Autors ist posthum und gründet sich auf Ausga-ben, die sein Vater und seine Schwester Geno in den 50er Jahren publiziert ha-ben; Ausgaben, die zwar für Aufsehen sorgten, sich aber als teilweise grob ver-fälschend erwiesen: Die Perspektive war verändert worden, Passagen waren umgeschrieben oder gestrichen, nicht vorhandene Titel hinzuerfunden worden. Viele Briefe fehlten, insbesondere solche an die Geliebte Erna Gysi, die der Vater missbilligte. Editorisch bleibt, auch nach einer umstrittenen Neuausgabe der Kriegsaufzeichnungen im Suhrkamp Verlag, noch immer viel zu tun.
Mit ihrem dichten, glänzend geschriebenen und durch mehr als zwölfjährige Recherchen fundierten Buch hat Monika Marose nun zumindest hinsichtlich der Biografie, soweit es heute überhaupt noch möglich ist, Klarheit geschaffen. Die Zeit drängte, einige der hochbetagten Zeitzeugen aus Hartlaubs Freundes- und Bekanntenkreis haben die Veröffentlichung nicht mehr erlebt. Von den Schwierigkeiten, die Überlebenden zu Auskünften oder zur Herausgabe von Briefen zu bewegen, handelt das erste Kapitel, das zugleich eine kompakte Ein-führung in die causa Hartlaub darstellt.
Neu an dem Buch ist, neben viel bisher unbekanntem Material, vor allem die Aufarbeitung der Kontakte Hartlaubs zum antifaschistischen Widerstand in Gestalt des Ehepaars Klaus und Irene Gysi. Monika Marose, die hier auf Widersprüchliches gestoßen ist, geht so weit zu vermuten, dass Hartlaub mit seinem Zugang zu kriegswichtigen Informationen dem Widerstand zugearbeitet haben könnte. Beweisen lässt sich das nicht mehr, aber es gehört zu den Vorzügen ihres Buches, dass man sich auf Grund der transparent geschilderten Faktenlage selbst eine Meinung bilden kann.
Das Geheimnis um sein Verschwinden kann auch Monika Marose in ihrer Bio-grafie nicht aufklären. Dafür aber hat sie andere, bisher unbekannte Dinge über Felix Hartlaub herausgefunden, die sein Bild wenn nicht revidieren, so doch in einem neuen Licht erscheinen lassen. Von November 1941 bis wenige Wochen vor Kriegsende arbeitete er in der Abteilung "Kriegstagebuch" des Oberkom-mandos der Wehrmacht. Das hat ihm eine einzigartige Beobachterposition für seine privaten Aufzeichnungen verschafft, aber auch schon früh den Vorwurf eingebracht, er sei ein "politischer Voyageur" gewesen und habe "innerlich nie recht Stellung bezogen".
Monika Marose legt es darauf an, zu zeigen, dass dem nicht so war. Ihre genaue, deutende Lektüre von Hartlaubs Texten und Briefen ergibt das Bild eines Autors, der, obwohl er nie etwas anderes wollte als Schriftsteller sein, zunächst jah-relang an Komplexen und Schreibblockaden herumlaboriert. Wenige der frühen Versuche wurden zu Ende geführt; manche muten geradezu ungeschickt an und lassen das Talent kaum ahnen. Wenn überhaupt, blitzt es in dieser Zeit in seinen Briefen auf.
Felix Hartlaub war 20, als die NSDAP in Deutschland an die Macht kam. Sein Vater, der Direktor der Kunsthalle Mannheim, wurde seines Amtes entho-ben, weil er sich für moderne Kunst eingesetzt hatte. Jahre später sollte Hartlaub Bilder, mit denen er aufgewachsen war, in der NS-Propaganda-Ausstellung "Entartete Kunst" wiedersehen. Während des Studiums in Berlin gewann der menschenscheue junge Mann Freunde, die ihn entscheidend prägten und ihm die politische Realität vor Augen führten: Irene Lessing und Klaus Gysi - übrigens der Vater des PDS-Politikers - waren doppelt gefährdet, als Juden und als im Untergrund wirkende Mitglieder der Kommunistischen Partei. Die Mutter von Klaus Gysi war Hartlaubs große Liebe, bis sie 1938 nach Frankreich emigrierte.
Gleich nach Beginn des Zweiten Weltkriegs wurde er eingezogen. "Ich kann gar nicht sagen, daß ich mich unglücklich fühle", schrieb Hartlaub aus einer Kaserne an den Vater, "ich assistiere ziemlich gelassen dem Abflauen der Persönlichkeit." In dieser Zeit fand eine literarische Umorientierung statt, weg von historischen und mythologischen Stoffen, hin zur bedrängenden Gegenwart. In einem Lazarett, in dem er wegen einer Depression behandelt wurde, plante er, noch ganz unspezifisch, ein Buchprojekt: "Es müßte etwas sein mit einer Substanz von europäischer Gemeinsamkeit, etwas vom überlebenden Europa, haltbar, brauchbar, nicht ignorierbar in der europäischen Katastrophe. Und ein Gegenstand, der mir irgendwie, nein gar nicht irgendwie, sondern ganz persönlich und unmittelbar liegt. Also niemals etwas Politisch-Militärisches als Hauptgegenstand."
Es sollte völlig anders kommen. Ende November 1941 wurde Hartlaub als histo-rischer Sachbearbeiter zum Oberkommando der Wehrmacht nach Berlin ver-setzt. Hier, und später an den wechselnden Standorten des Generalstabs, befand er sich als eine Art höhere Schreibkraft im Zentrum der Macht, dem so genannten Sperrkreis. Die Abteilung "Kriegstagebuch" verzeichnete alle Truppenbe-wegungen, also auch die sich häufenden Niederlagen. Es war eine kleine Abteilung, und der Biografin Monika Marose ist es gelungen, einen der Kollegen ausfindig zu machen, der Briefe Hartlaubs, Erinnerungen und unveröffentlichte Fotos zur Verfügung stellte.
Es scheint, dass dieser Kollege so wenig wie irgendein anderer in Hartlaubs Um-gebung seine schriftstellerische Tätigkeit bemerkt hat. Tatsächlich aber schrieb Hartlaub damals wie besessen an Texten, die man lange für eine Art Tagebuchprosa gehalten hat. Monika Marose kann hingegen glaubhaft zeigen, dass Hartlaubs Ziel immer die literarische Fiktion war und dass auch die Aufzeichnungen aus dem "Sperrkreis" - als Vorarbeiten zu einem Romanprojekt - stets an der Grenze zwischen Dokumentation und Fiktion operieren. Es war brisantes Material, sowohl wegen des ausdrücklichen Verbots, private Aufzeichnungen zu führen, als auch wegen der oft sarkastischen und entlarvenden Darstellung der Akteure. Hartlaub nutzte seine Heimaturlaube, um die Manuskripte in Sicherheit zu bringen.
Das literarische Renommee des Autors ist posthum und gründet sich auf Ausga-ben, die sein Vater und seine Schwester Geno in den 50er Jahren publiziert ha-ben; Ausgaben, die zwar für Aufsehen sorgten, sich aber als teilweise grob ver-fälschend erwiesen: Die Perspektive war verändert worden, Passagen waren umgeschrieben oder gestrichen, nicht vorhandene Titel hinzuerfunden worden. Viele Briefe fehlten, insbesondere solche an die Geliebte Erna Gysi, die der Vater missbilligte. Editorisch bleibt, auch nach einer umstrittenen Neuausgabe der Kriegsaufzeichnungen im Suhrkamp Verlag, noch immer viel zu tun.
Mit ihrem dichten, glänzend geschriebenen und durch mehr als zwölfjährige Recherchen fundierten Buch hat Monika Marose nun zumindest hinsichtlich der Biografie, soweit es heute überhaupt noch möglich ist, Klarheit geschaffen. Die Zeit drängte, einige der hochbetagten Zeitzeugen aus Hartlaubs Freundes- und Bekanntenkreis haben die Veröffentlichung nicht mehr erlebt. Von den Schwierigkeiten, die Überlebenden zu Auskünften oder zur Herausgabe von Briefen zu bewegen, handelt das erste Kapitel, das zugleich eine kompakte Ein-führung in die causa Hartlaub darstellt.
Neu an dem Buch ist, neben viel bisher unbekanntem Material, vor allem die Aufarbeitung der Kontakte Hartlaubs zum antifaschistischen Widerstand in Gestalt des Ehepaars Klaus und Irene Gysi. Monika Marose, die hier auf Widersprüchliches gestoßen ist, geht so weit zu vermuten, dass Hartlaub mit seinem Zugang zu kriegswichtigen Informationen dem Widerstand zugearbeitet haben könnte. Beweisen lässt sich das nicht mehr, aber es gehört zu den Vorzügen ihres Buches, dass man sich auf Grund der transparent geschilderten Faktenlage selbst eine Meinung bilden kann.