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Nikolaus-Kult
Vom Schutzheiligen zum Gabenbringer

Im Abendland entstanden bis zum 15. Jahrhundert mehr als 2.000 Kult- und Wallfahrtsstätten für den Heiligen Nikolaus. Er wurde zum Schutzherrn der Seefahrer, Schnapsbrenner, Diebe und fahrenden Leute. Im Laufe der Jahrhunderte entwickelte er sich auch immer mehr zum Schutzpatron der Kinder, der allerdings ab dem 19. Jahrhundert durch den Weihnachtsmann einen harten Konkurrenten bekam.

Von Rüdiger Achenbach |
    Zwei Darsteller sind verkleidet als Nikolaus mit weißem Bart, roter Bischofsmütze und Mitra und als Zwarter Piet mit schwarz angemaltem Gesicht in einem schwarzem Kostüm mit Karos.
    Jede Kultur hat ihre eigene Geschichte des Nikolaus': Um den "Zwarten Piet", der den Nikolaus in den Niederlanden begleitet, ist eine kontroverse Diskussion ausgebrochen. (picture alliance / dpa / Lex Van Lieshout)
    "Ein Mann und sein Sohn feierten das Fest des Heiligen Nikolaus mit einem köstlichen Mahl, als ein Fremder an die Tür klopfte und wie ein Pilger um Almosen bat. Der Vater trug deshalb dem Sohn auf, dem Fremden etwas von der Mahlzeit zu bringen. Doch der Sohn kam nicht mehr zurück. Der Fremde hatte ihn mitgenommen. Als der Vater ihnen folgte, packte der Fremde den Sohn und erwürgte ihn. Traurig trug der Vater den Leichnam seines Sohnes ins Haus zurück und beklagte sich bitterlich bei Nikolaus, ob das nun der Lohn für die große Ehre sei, die man ihm erwiesen habe. Da tat der Junge seine Augen auf, als ob er aus dem Schlaf erwachte, und ward gesund."
    Das Motiv von Kindern, die verschwinden und sogar getötet werden, um dann vom Heiligen Nikolaus gerettet zu werden, taucht relativ spät in den Nikolaus-Legenden auf. Dieser neue Typus ist nachweislich erst ab dem 12. Jahrhundert in verschiedenen Varianten nachzuweisen. Zum Beispiel auch in einer Erzählung, in der ein Sohn entführt und in den Orient verschleppt wird, wo er am Hof eines Königs als Mundschenk Dienst tun muss. Als der Jüngling an einem Nikolaustag den Heiligen um Hilfe anrief, wurde er von einem heftigen Wind ergriffen und in die Heimat zu seinen Eltern zurückgetragen.
    Zweifellos steckt in diesen Legenden von den verschleppten Knaben ein Hinweis auf den im Mittelalter üblichen Sklavenhandel. Aber das Motiv scheint sich weiter entwickelt zu haben. Denn zunehmend ist auch von der Tötung der verschwundenen Jünglinge die Rede. Die makaberste Erzählung aus diesem Legendenkreis hat der Franziskaner Bonaventura ausfindig gemacht und 1274 aufgeschrieben.
    "Zwei Schüler waren auf dem Weg nach Athen, um dort Philosophie zu studieren. Als sie wieder einmal bei einbrechender Dunkelheit unterwegs um Obdach baten, nahm sie ein habgieriger Gastwirt auf, der die beiden noch in derselben Nacht umbrachte. Die zerstückelten Körperteile der beiden vermengte er mit dem Schweinefleisch im Pökelfass. Als kurz darauf Nikolaus in diese Herberge kam und mit dem Pökelfleisch bewirtet wurde, erkannte er das grausame Verbrechen und erweckte die beiden Schüler wieder zum Leben."
    Was tatsächlich hinter dieser Gruselgeschichte steckt, bleibt im Dunkeln. Sowohl die religionsgeschichtliche Forschung wie auch die Literaturwissenschaft können die Genese dieser Legende nicht völlig auflösen. Bekannt ist aber, dass die Geschichte mit den geschlachteten Schülern im Mittelalter auch in szenischen Spielen dargestellt wurde. Aus den zwei Schülern bei Bonaventura waren allerdings drei Knaben geworden. Verfolgt man die Spur dieser Legende, dann findet man in Frankreich, in den Niederlanden und in den angrenzenden Gebieten ab dem 13. Jahrhundert zahlreiche Abbildungen, auf denen Nikolaus als Bischof mit den drei Knaben im Salzfass dargestellt wird. Die Geschichte gehört also vermutlich geografisch in diese Landschaft, in der sie dann auch mit den dort üblichen Bräuchen in Verbindung gebracht wird. Der Ethnologe Rüdiger Vossen:
    "Die Erwähnung des Einpökelns ist in der bäuerlichen Wirtschaft zu Beginn der Winterzeit in dieser Gegend nicht zufällig. Nach der ersten großen Schlachtzeit rund um den Martinstag begann die zweite Schlachtzeit rund um den Nikolaustag. So haben sich offensichtlich, wie in der Legende der drei Knaben im Pökelfass zum Ausdruck kommt, Vorstellungen von der Schutzmacht des heiligen Nikolaus mit den jahreszeitlichen Bräuchen der bäuerlichen Wirtschaft vermischt."
    Vorbild für fleißige und fromme Schüler
    Von nun an tritt der Heilige Nikolaus mit seiner besonderen Fürsorge für Schüler aber auch für Kinder immer mehr den Vordergrund. In Paris veranstalten die Studenten ab dem 13. Jahrhundert am Festtag des Heiligen Fackelzüge. Und in Hamburg legte das Dom-Kapitel 1305 offiziell eine Wahlordnung für einen Schülerbischof fest. Auch dieser Brauch knüpft nun unmittelbar an den Kult des kinderfreundlichen Bischofs Nikolaus an. Rüdiger Vossen:
    "In den frühen Hamburger Quellen ist von einem Schülerbischof die Rede, der nach dem Motiv der 'verkehrten Welt' am Nikolaustag den Erwachsenen die Leviten lesen konnte. Wahlrecht hatten nur die offensichtlich besten Schüler. Der erwählte Kinderbischof musste in der feierlichen Messe eine bischöfliche Predigt an die Erwachsenen in lateinischen und deutschen Versen halten. Der Kinderbischof blieb bis zum 28. Dezember, dem Tag der unschuldigen Kinder, im Amt. An den Sonn- und Feiertagen präsidierte er in dieser Zeit im Chor des Doms."
    Nikolaus selbst wird nun immer mehr zum Vorbild für fleißige, vorbildliche und fromme Schüler. In einem Text aus Straßburg aus dem Jahr 1404 heißt es:
    "Als Knabe schon weihte Nikolaus sich der Tugend, glänzte in Wissen mit zunehmendem Alter, suchte nicht lose Knabenstreiche, sondern behielt das Wort Gottes in lebendigem Gedächtnis."
    Von hier aus war es nur noch ein kleiner Schritt zum heiligen Nikolaus in der Rolle des Gabenbringers, der die fleißigen Schüler und die braven Kinder belohnte. In manchen Teilen Deutschlands wurde der Nikolaustag zum Tag der Bescherung der Kinder. In den Niederlanden ist er bis heute der einzige Tag in der Weihnachtszeit, an dem Kinder beschenkt werden.
    Aber der Schutzpatron der Kinder blieb nicht lange allein. Schon aus dem Mittelalter wird überliefert, dass an den traditionellen Nikolausumzügen auch maskierte Gestalten teilnahmen, die zum Fürchten aussahen. Vor allem von Teufeln und Dämonen ist die Rede. Die Begleiter des Nikolaus stellten auf jeden Fall immer etwas Bedrohliches dar.
    Hier kommen nun plötzlich Figuren zum Vorschein, die aus der vorchristlichen Zeit im volkstümlichen Brauchtum lebendig geblieben waren. Die christlichen Missionare hatten die germanische Götterwelt einst zu Teufeln und Dämonen umgedeutet. Diese Schreckgestalten, die durch die Volkssagen lebendig geblieben waren, standen nun als ständige Bedrohung im Kontrast zu christlichen Religion. Neben einem gutmütigen, kinderlieben Heiligen wie Nikolaus verkörperten die Gestalten der germanischen Götterwelt das Böse, dem alle diejenigen ausgeliefert waren, die vom rechten und gottesfürchtigen Weg abkamen. Während Nikolaus die braven Kinder mit Äpfeln und Nüssen belohnt, drohten seine Begleiter den unartigen Kinder damit, sie in einen Sack zu stecken und mitzunehmen oder zumindest mit der Rute zu schlagen. Einer der bekanntesten dieser dunklen Gesellen ist Knecht Ruprecht.
    Sein Name geht auf das Wort "Hruod-Percht" zurück, das so viel wie der "Ruhmglänzende" bedeutet. Das war einst der Beiname des germanischen Gottes Wodan gewesen, der dann während der christlichen Missionierung im frühen Mittelalter als abscheulicher Dämon dargestellt worden war. In den Volkssagen war er jetzt als Schimmelreiter zum Anführer der sogenannten „wilden Jagd" geworden. Damit war das Umherziehen der Totengeister in der dunklen Jahreszeit gemeint. Diese Percht- oder Rauh-Nächte im Dezember waren tief im Volksglauben verankert und in mancherlei Brauchtum erhalten geblieben.
    Rolle als Gabenbringer mit dem Christkind teilen
    Wodan erscheint als Führer der abgeschiedenen Seelen, der Totenschar, die auch lebende Menschen mit sich hinwegführt. Um die wilde Jagd, die durch die Luft reitet, gnädig zustimmen, stellt man Speisen auf die Dächer. Auch die Percht-Frau gehört zu dieser Horde, die die fleißigen Spinnerinnen belohnt, während sie faule und nachlässige hart bestraft."
    Die Gestalten der germanischen Mythologie mit ihrer christlichen Uminterpretation und das dazu passende Volksbrauchtum im Dezember wurden so im Laufe der Zeit mit den Nikolausgeschichten kombiniert. Wobei natürlich im christlichen Mittelalter die Rolleneinteilung bereits genau festgelegt war.
    Nach der Reformationszeit wurde der Heilige Nikolaus dann in den protestantischen Ländern zusammen mit den anderen Heiligen abgeschafft. Schon Martin Luther hatte empfohlen, den Heiligen durch das "Christkind" zu ersetzen. Damit war nicht das Jesuskind in der Krippe gemeint, sondern das Christkind war eine Figur aus den damals üblichen Weihnachtsspielen, das eine Reihe von Engeln anführte.
    Da das Christkind dann auch Einzug in den deutschsprachigen katholischen Regionen hielt, musste sich der Heilige Nikolaus künftig seine Rolle als Gabenbringer mit dem Christkind teilen. Die Bescherung der Kinder wurde nun in den deutschsprachigen Ländern vom 6. Dezember überwiegend auf den Heiligen Abend verschoben. Aber ab dem 19. Jahrhundert tauchte plötzlich noch ein weiterer Konkurrent auf. Rüdiger Vossen:
    "Der Weihnachtsmann ist im Grunde eine Kompromissfigur aus katholischen, protestantischen Anschauungen und aus der vorchristlichen Tradition. Er ist eine Mischung aus dem kinderfreundlichen heiligen Nikolaus, aus einer gutmütigen Gottvaterfigur und da er nun selbst einen Sack mit den Geschenken auf dem Rücken trägt, hat er auch einige Attribute von Knecht Ruprecht übernommen. Diese Figur des Weihnachtsmannes passte genau zu den damaligen bürgerlichen Leitbildgedanken „vom liebevollen- autoritären Vater und dem artigen Bürgerkind, unwissend darüber, woher die Geschenke kamen."
    Auch wenn Nikolaus und Christkind bis heute - je nach Region verschieden - immer noch zur Weihnachtstradition gehören, geht doch der Siegeszug des Weihnachtsmannes unvermindert weiter. Der Ethnologe Rüdiger Vossen:
    "In den letzten Jahren verstärkt sich der Eindruck, dass der Weihnachtsmann dank des reichen Angebots der Süßwarenindustrie, der Werbung und der Medien mehr und mehr an Boden gewinnt."
    "Heiliger Nikolaus, schütz mich vor Polizei und Arbeitshaus"
    Der Heilige Nikolaus und der Weihnachtsmann sind heute kaum noch auseinanderzuhalten. Und die ursprüngliche religiöse Bedeutung des Nikolaus als Schutzpatron der Kinder geht weitgehend verloren.
    Doch die Annahme, dass der Heilige Nikolaus, der von der Antike bis zum Mittelalter als Nothelfer in vielfältigen Situationen angerufen wurde, in der Neuzeit ausschließlich als Gabenbringer und Moralprediger für die Kinder zuständig gewesen sei, täuscht. In seiner Rolle als Helfer in der Not, ist er zum Beispiel auch zum Schutzpatron "der Diebe" und der "fahrenden Leute" geworden.
    Die volkskundliche Forschung hat herausgefunden, dass noch in der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts Personen, die wegen Diebstahls im Gefängnis saßen, auf ihren Oberarmen die Bitte eintätowiert hatten: "Heiliger Nikolaus, schütz mich vor Polizei und Arbeitshaus."