Die Funktion ist kein schnödes, rationales Kalkül, dem sich der Mensch sklavisch unterzuordnen hat, sondern sie berichtet vom genauen Studium von Materialeigenschaften und menschlicher Fähigkeiten und Bewegungsabläufe und damit eigentlich von der Faszination, die wir empfinden, wenn ein Werkzeug so präzise kalkuliert ist, dass es uns tatsächlich Arbeit erleichtert.
Von dieser Faszination ist auch die Sammlung Franko Clivios durchdrungen. Und vieles, was man in ihr entdeckt, erscheint uns auf den ersten Blick als so gewöhnlich, weil wir beispielsweise die selbstverständliche Funktion eines Schweizer Taschenmessers verinnerlicht haben und nicht mehr darüber nachdenken.
So etwa müssen sich das auch schon die Bauhäusler gedacht haben - eine bessere, menschenfreundliche, friedliche Welt, in der dem Menschen das Leben durch ausgeklügelte Formgebung seiner gesamten Umwelt erleichtert wird, von der Türklinke bis zur Großstadt.
Design bedeutet hier nicht Exklusivität
In sechs langen Vitrinen kann der Besucher einige kleinteilige hundert Zeugen solch einer besseren Welt abschreiten. Design bedeutet hier nicht Exklusivität, kein teures Modegedöns. Auch Computer und digitale Benutzeroberflächen spielen hier keine Rolle. Im Grunde möchte man alles sofort anfassen und ausprobieren, auch, wenn es so geläufig ist wie eine Sammlung von Baumarktscheren mit orangefarbenem, ergonomisch geformtem Kunststoffgriff, der allerdings den Vorteil hat, dass er weder Strom noch Hitze leitet und sich nicht verformt.
Geschätzt 25 Variationen von Hämmern lassen die weite Welt der händischen Arbeit, des Handwerks erstehen, vom Uhrmacher, Schuster oder Tischler bis zum Seiler, Drechsler, Spengler oder Gerber. Ein ganzes Museum könnte man mit der Demonstration der verschiedenen Arbeitswelten und ihrer mitunter vergessenen Berufe füllen.
Franco Clivio nähert sich den Funktionen jedoch zunächst über die Grundmaterialien und ihre Eigenschaften, über die Frage, woraus etwas wozu gemacht wird: aus Holz oder Papier, aus Glas, Metall, Stein oder Kunststoff.
Viel Ungewöhnliches im scheinbar Gewöhnlichen
Dann trifft man im scheinbar Gewöhnlichen auf ziemlich viel Ungewöhnliches, etwas, dessen Funktion nicht ohne Weiteres ersichtlich ist. In der Papierabteilung findet sich zwischen Pappbechern und Filtereinsätzen ein ebenso merkwürdiges wie auffallend formschönes Ding aus lauter Lamellen, die sich zu der Form eines Apfels schließen: vielleicht ein Stiftehalter aus den 60er-Jahren? Oder gar eine Kreation der Autoindustrie zur Reduzierung von Abgasen, die dann zu teuer in der Herstellung wurde, weshalb es zum inzwischen hinlänglich bekannten Autoabgasskandal erst kommen konnte? Nein, es ist viel harm-, aber in diesem Fall auch viel nutzloser: Es handelt sich um eine Art Papiermanschette, die man als eine Art Souvenir in New York erwerben konnte und die dem Spitznamen der Stadt "Big Apple" symbolisiert.
Und was hat es mit der blank polierten Patronenhülse auf sich – auch ein Liebhaberstück aus den USA? Weit gefehlt, es ist eine Aufbewahrungshülle für die Grafitminen von Druckbleistiften. Ebenso wie die eckigen Teile daneben, die eigentlich aussehen, wie sehr schön gestaltete Memory Sticks aus dem posthandwerklichen Zeitalter.
Aufwendige, virtuose Formen, geradezu Funktionsuniversen im Kleinen lassen sich bewundern, wie der vielgelenkige Holzständer oder die aus einem Metallbogen gefertigte Modellbausäge oder die wie avantgardistische Broschen geformten Seil-Ösen.
Nicht immer weiß Franco Clivio selbst so genau, mit was er es da gerade zu tun hat. Dann, so erzählt er, nimmt er es vorsichtshalber erst einmal mit, trägt es auf den Flohmarkt und bittet einen Händler, das Ding auf seinem Stand auslegen zu dürfen. Dann muss er nur noch warten, bis sich ein Kenner mit leuchteten Augen nähert, glücklich, dieses seltene, lange gesuchte Sammlerstück, über das er bestens Bescheid weiß, so unverhofft zu finden.
Nur verkaufen wird es Franco Clivio natürlich nicht.
Ausstellungsinfos:
"No Name Design" im Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg
bis 3. April 2016
"No Name Design" im Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg
bis 3. April 2016