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Nordirak
Kirkuk, das Öl und der IS

Als Reaktion auf die Rückeroberung Mossuls hatten IS-Kämpfer in den vergangenen Tagen die von Kurden kontrollierte Stadt Kirkuk angegriffen. Sie töteten zahlreiche Menschen. Vor allem Kirkuks Ölreichtum weckt Begehrlichkeiten.

Von Martin Gerner |
    Brennendes Ölfeld in in Qayaraim Irak.
    Der Ölreichtum in der Region weckt Begehrlichkeiten. (picture-alliance/ dpa/ AP/Marko Drobnjakovic)
    "Wir nutzen diese Handgranaten an unserem Körper nur, wenn wir im Kampf Mann zu Mann sind. Oder wenn wir im Häuserkampf mögliche IS-Kämpfer in den Gebäuden vermuten."
    Sagt dieser kurdische Peschmerga-Soldat. Er will keinen Zweifel an seiner Kampfbereitschaft aufkommen lassen. Das kurdische Militär ist vor allem auf die Offensive von Mossul vorbereitet. Aber nun hat sich in Kirkuk, 170 Kilometer südlich, eine zweite Front im Nordirak aufgetan. Militärisch wie politisch kompliziert und für die zivile Bevölkerung unberechenbar.
    "Kirkuk ist ein Teil Kurdistans. Historisch gehört dieser Ort zu Kurdistan. Im Sykes-Picot-Abkommen vor 100 Jahren hat man versucht, es zu einem Teil des heutigen Iraks zu machen. Aber man hat die Menschen und die Geschichte der Stadt und der Region dabei ignoriert."
    Große Ölvorkommen in der Region
    Das sagt Kemal Kirkuki. Kirkuki sitzt im Politbüro der KDP, der Regierungspartei von Kurden-Präsident Barzani. Kirkuki ist auch kurdischer Militärstratege, der Fäden in der Provinz Kirkuk zieht. Ich treffe ihn hinter dicken Mauern, Stacheldraht und von Wachpersonal umgebenen in seinem Anwesen vor den Toren von Kirkuk. Draußen brennen meterhohe Feuersäulen – natürliche Quellen, die durch den Austritt von Erdgas brennen. Ein untrügliches Zeichen für riesige Ölreserven, die hier unter der Erde lagern.
    "Kurdistan ist voller Ölquellen", sagt Kirkuki. "Hier gibt es viele Bodenschätze. Große Reserven. Unglaublich große. Unsere Fachleute und ausländische Firmen bohren hier nach Öl. Sie finden immer wieder neue Quellen."
    Erst das Öl hat Kirkuk, die Stadt und die Provinz, zu einem Spielball der Mächte gemacht. Bevor Anfang des letzten Jahrhunderts die ersten Quellen entdeckt wurden, war die territoriale Zugehörigkeit weniger umstritten als zurzeit, sagen Historiker. Mit dem Wettlauf um das schwarze Gold verschärfte sich auch die ethnisch-politische Auseinandersetzung um Kirkuk.
    "Die Kurden waren immer Zielscheibe in der Vergangenheit. Man hat Tausende Zivilisten getötet oder lebendig begraben. 4.500 Dörfer wurden zerstört. Wir wollen nicht auf einen weiteren Mord an unserem Volk warten. Mit den Öleinnahmen können wir unabhängig sein und gut davon leben."
    Aber auch die Zentralregierung in Bagdad beansprucht den Ölreichtum von Kirkuk. Kirkuk – das ist das zweitgrößte sprudelnde Ölfeld des Irak. Eines der größten Vorkommen weltweit. Umstritten ist vor allem die Verteilung der Öleinnahmen. Vor zwei Jahren hatten Bagdad und Erbil einen Deal geschlossen, der die Ölausfuhr regelte. Er sah vor, dass die Kurden 17 Prozent des Staatsbudgets erhalten. Eine Milliarde Dollar pro Monat. Doch dann gab es Streit. Die kurdische Seite entschied, selbst Öl zu exportieren. Bagdad sperrte den Kurden darauf hin den Geldhahn zu.
    Der Vormarsch des sogenannten Islamischen Staates im Sommer vor zwei Jahren hat die Lage verschärft.
    "Der Islamische Staat", so Kirkuki, "hat unlängst behauptet: 'Wenn wir Kirkuk einnehmen, werden wir steinreich sein. Dann hissen wir unsere Fahne auf den Regierungsgebäuden hier wie auf dem Weißen Haus.' Sie meinten also, mit den Ölgeldern könnten sie Amerika herausfordern."
    Erhöhte Gefahrenzone
    Der IS, so vermuten Beobachter, nachdem Terrorkommandos jetzt in Kirkuk aufgetaucht sind, versucht die Spannungen unter den drei Bevölkerungsgruppen in der Stadt anzuheizen, also zwischen Kurden, arabischen Sunniten und Turkmenen, die in der Innenstadt lange eine Mehrheit gebildet haben. Seit Jahren schon streiten die drei Ethnien mit wechselnder Intensität über ein Referendum in Kirkuk und ob die Region nun zu Kurdistan gehören soll oder nicht.
    Die Ölanlagen in Kirkuk sind von den aktuellen Kämpfen bisher offenbar noch verschont. Für europäische Diplomaten galt Kirkuk bereits vor dem Ausbruch der jüngsten Kämpfe als Zone mit erhöhter Gefahr, die man besser meidet.
    "Daesh ist immer gefährlich. Es ist eine große Organisation. Nicht nur terroristisch."
    Meint Kemal Kirkuki, diesmal ohne Übersetzer. Er wechselt von Englisch ins Kurdische und ins Deutsche. Der 62-Jährige war für die kurdische Regierungspartei auf Posten in den USA, in Kanada und hat auch in Wien Station als Diplomat in Uniform gemacht.
    Zusammen gegen den IS
    Während wir uns unterhalten lässt Kirkuki den Raum abdunkeln. Per Fernbedienung lässt er eine Videoleinwand herunter: Bilder von Traktoren, die der IS mit Stahlplatten gepanzert haben soll und die jetzt in der Hand der Peschmerga seien.
    "Jederzeit müssen wir damit rechnen, dass sie gefährlich sind. Wie hat es angefangen? Die Meisten von ihnen waren früher mit Saddam Hussein. Dann mit Al Kaida. Danach sind sie zu Daesh gegangen."
    Der IS ist der Feind, der alle zusammenschweißt bei der Offensive auf Mossul. So scheint es. Oder ist es möglich, dass der Schein trügt? Noch vor wenigen Tagen äußerte Kemal Kirkuki auch:
    "Mir ist der Irak egal. Wir bekämpfen den IS. Und wir wollen unabhängig sein. Das ist unser Recht. Auch nach UN-Maßstäben. Was den Irak angeht: Wenn wir im Staatsverband bleiben, dann werden wir weiteren Genoziden entgegensehen."