"Hier sind wir in dem größten deutschen Soldatenfriedhof Frankreichs."
Edouard ist ein junger, hochgewachsener Mann, ein ausgewiesener Kenner der Friedhöfe, er arbeitet für die regionale Tourismusbehörde im Norden. Im Pas de Calais. "44.800 Soldaten ruhen hier."
Dunkle Holzkreuze bis zum Horizont, direkt an der Landstraße nach Arras. "Es gibt vier Namen auf jedem Kreuz." An der Seite des großen Feldes, das vom Laub der zahlreichen Bäume übersät ist, eine langgezogene Platte mit den Namen der Vermissten. Zig Tausende. "Neuville", deutscher Friedhof.
Kaum einen Steinwurf entfernt Vimy, kanadische Gedenkstätte. Krater, Schützengräben, Warnungen vor vermintem Gelände. Edouard führt die Besucher von einem nationalen Friedhof zum nächsten. Unweit der Kanadier erweisen die Briten ihren Toten und Vermissten die Ehre, gepflegter Rasen, britische Gartenkunst, helle Kreuze.
In dieser Gegend Frankreichs werden alle Sprachen gesprochen, aus allen Winkeln der Welt kommen Besucher, Angehörige, Menschen, die sehen und verstehen wollen, warum Südflandern, das Artois, derart umkämpft war.
Auf der strategisch wichtigen Anhöhe von Ablain-Saint-Nazaire haben die Franzosen ihre Soldaten beerdigt. Der Blick geht von hier weit in die Ebene um Lens, auf die Halden der einstigen Bergbauregion:
"42.000 Männer, französische Soldaten, die im Ersten Weltkrieg hier getötet wurden", zeigt der Historiker Yves le Maner auf die langen Reihen von Kreuzen. Der historischen Pilgerort Notre-Dame-de-Lorette ist längst nicht mehr nur der Jungfrau geweiht, die mächtige Totenstätte ragt in die Höhe, die Kapelle duckt sich daneben.
Hier oben soll ab heute ein anderer Weg des Erinnerns beschritten werden. Oberhalb der Ebene, die von den Friedhöfen und Gedenkstätten aller Nationen übersät ist, gleich neben dem größten französischen Soldatenfriedhof, schmiegt sich nun ein mächtiger Ring in die Landschaft. Die äußere Hülle ist dunkel.
"Vom Plateau geht es hinunter", deutet der Architekt Philippe Prost zu der Rundung am Hang: "Der Weg wird immer enger, immer enger, bis sich ein Fenster öffnet, unterirdisch gleichsam, das aber dann den Blick freigibt ins Innere des Rings. Zu allererst entdeckt man die Liste der Namen – und die Buchseiten , denn darin stehen nun die Namen der rund 600.000 Soldaten."
Ein neuer Weg des Erinnerns
Drei Meter hoch sind diese Buchseiten. In alphabetischer Reihenfolge, keine Nationalität, kein Dienstgrad, keine Religionszugehörigkeit. Die Elipse ist auf der einen Seite fest verbunden mit der Erde, auf der anderen Seite schwebt ein Teil frei in der Luft an diesem Hang.
Der Ring, als Symbol für Menschen, die sich an den Händen halten, als Symbol für Treue und Beständigkeit, aber, weil er nicht an jeder Stelle fest verankert ist, steht dieser Ring auch für die Zerbrechlichkeit des Friedens: "75 Meter im Querschnitt, 140 Meter in der Längsachse, 12 Millimeter große Buchstaben."
Dunkle Hülle außen, im Innern glänzen die Buchstaben golden, "wertvoll" sei jeder Name, sagt der Architekt, tags wirkt das Sonnenlicht, nachts werden die Namen der Toten mit Lichtinstallation in Szene gesetzt.
Jeder, sagt Historiker Le Maner, hat hier seinen Namen. Sie werden ein Dutzend John Smith finden, oder zehnmal Jean Martin, aber jeder hat hier seinen Platz. Briten, Nordafrikaner, Deutsche, Australier, Algerier, Tunesier, Inder, Pakistani...
"Die ganze Vielfalt der Erde, die hier gestorben ist, in dieser Variante der Globalisierung, wie sie der Erste Weltkrieg dargestellt hat."
Architekt und Historiker erläutern die Idee, erklären den Bau, erwähnen die acht Millionen Euro, die Staat und Region investiert haben, bemerken, dass es durchaus kritische Stimmen gab, bevor Freund und Feind hier an einem Ort verewigt werden konnten. Erwähnen auch, dass bei den Grabungen die Leichen von acht Soldaten gefunden worden, sieben Franzosen, ein Deutscher.
Der junge Fremdenführer Edouard steht abseits der Szene. Er, der jedes Detail der nationalen Friedhöfe unten in der Ebene, aber auch hier oben auf dem umkämpften Plateau kennt, blickt für seinen Generation nach vorne:
"Dieser Ring der Erinnerung wird sehr einzigartig sein, denn zum ersten Mal trägt ein Denkmal an den Ersten Weltkrieg, Deutsche, britische und französische Namen. Das heißt, die europäische Geschichte gemeinsam erinnern."
Heute Nachmittag wird der französische Staatspräsident nach Notre-Dame-de-Lorette kommen. Um die erste " Internationale Gedenkstätte" des Ersten Weltkrieges feierlich einzuweihen. "Das ist, klar, ein bewegender Moment."