Archiv

NSA-Affäre
"Es gibt politischen Druck, nicht gegen die Amerikaner zu ermitteln"

Der Geheimdienstexperte Erich Schmidt-Eenboom hält die deutsche Justiz in der NSA-Affäre nicht für unabhängig. Andernfalls würde der Generalbundesanwalt die Selektorenlisten beschlagnahmen, sagte Schmidt-Eenboom im DLF. Eine unabhängige Justiz nähme zudem amerikanische Offiziere in Deutschland fest.

Erich Schmidt-Eenboom im Gespräch mit Martin Zagatta |
    Der Geheimdienstexperte Erich Schmidt-Eenboom.
    Der Geheimdienstexperte Erich Schmidt-Eenboom. (Imago / Müller-Stauffenberg)
    Martin Zagatta: Das Nachrichtenmagazin „Spiegel" berichtet in seiner jüngsten Ausgabe, von gleich vier US-amerikanischen Geheimdiensten ausgespäht worden zu sein. In mindestens einem Fall sollen solche Informationen auch von der CIA sogar an das Bundeskanzleramt weitergegeben worden sein. Das würde zu den jüngsten Vorwürfen passen, die Bundesregierung schere sich nicht ernsthaft um die Spionage der Amerikaner in Deutschland. Erich Schmidt-Eenboom ist Geheimdienstexperte und Leiter des Forschungsinstituts für Friedenspolitik in Weilheim und jetzt am Telefon. Guten Morgen, Herr Schmidt-Eenboom!
    Erich Schmidt-Eenboom: Guten Morgen!
    Zagatta: Herr Schmidt-Eenboom, Sie sind ja auch deshalb schon Experte, weil Sie als Buchautor selbst einst vom BND ausgespäht wurden und auch gar keinen Hehl daraus machen, in einigen Fällen auch bei Recherchen mit dem BND zusammengearbeitet zu haben. Überrascht Sie das noch in irgendeiner Weise, dass US-Geheimdienste Medien wie den "Spiegel" ausspionieren und auch die Bundesregierung?
    Schmidt-Eenboom: Also dass die amerikanischen Nachrichtendienste jede Bundesregierung seit 1949 intensiv ausforschen, das ist keine Überraschung. Das wussten auch alle Verantwortungsträger in der Bundesrepublik immer. Insofern war die ganze Empörung nachhaltig gespielt. Was erstaunlich ist, ist das Ausmaß, die Breite der Ausspähung bis weit in die Ministerien hinein. Das weckt natürlich den Verdacht, dass es den Amerikanern um eine Kontrolle der Wirtschafts- und Außenwirtschaftspolitik der Bundesrepublik Deutschland geht - also das, was der Präsident des Bundesamts für Verfassungsschutz, Herr Maaßen, immer in Abrede gestellt hat.
    "Es gibt eine ganze Palette von Möglichkeiten, das einzudämmen"
    Zagatta: Muss man sich das bieten lassen? Die Opposition schäumt ja, fordert Konsequenzen. Muss man sich das bieten lassen?
    Schmidt-Eenboom: Das muss man überhaupt nicht. Es gibt eine ganze Palette von Möglichkeiten, das einzudämmen oder dagegen einzuschreiten. Ich kann nicht verstehen, dass die Bundesregierung immer noch duldet, dass es einen NSA-, hochrangig besetzten, -Verbindungsstab in Bad Aibling gibt, der tagesaktuell da auf den BND einwirken kann. Man sollte den da abziehen, Partnerdienst-Austauschinformationen alleine über die BND-Zentrale in Berlin, also stramm kontrolliert, laufen lassen, möglicherweise sogar direkt über das Kanzleramt. Das Bundesministerium für Verfassungsschutz müsste eine nachrichtendienstliche Spionageabwehr auch gegenüber angelsächsischen Verbündeten durchführen, aber die eigentlichen Problemlösungen liegen natürlich auf der politischen Ebene. Da ist der Zwerg Bundesrepublik Deutschland gegenüber den Vereinigten Staaten in keiner guten Position. Aber man muss auch ins Auge nehmen, dass die Briten ja immer ganz massiv Beihilfe leisten, auch im Fall der Spionage gegen Frau Merkel. Und wenn Herr Cameron im Augenblick eine Neuordnung innerhalb der Europäischen Union fordert, dann müsste die Kanzlerin ihm sehr deutlich machen, dass dabei für sie eine Priorität hat, dass europäische Staaten sich nicht mehr untereinander, sei es im nationalen Interesse oder im Auftrag der USA, ausforschen.
    Zagatta: Kann das sein, dass man dann Unterschiede machen muss? Also Großbritannien - da kann man vielleicht auf so ein No-Spy-Abkommen sich einigen. Mit den USA, das deuten Sie ja auch fast an, da muss man sich damit abfinden, dass das einfach nicht geht und dass man da vielleicht protestieren kann, aber dass sich da nicht viel tun wird in der Praxis.
    Schmidt-Eenboom: Also man könnte natürlich zu entschiedenen Maßnahmen greifen. Der Generalbundesanwalt könnte ja die Ermittlungen wieder aufnehmen, könnte NSA-Offiziere, die ja keine diplomatische Immunität genießen in der Bundesrepublik, wegen nachrichtendienstlicher Agententätigkeit verhaften lassen. Man könnte den Amerikanern sehr deutlich sagen, dass sie ihre Abhörstationen, also Bad Aibling und auch die große Anlage in Wiesbaden, ja offensichtlich nicht ... [schlechte Tonqualität, unverständlich] ... gemeinsamen Verpflichtungen dienen, sondern national und gegen Europa sind und die zum Schließen bringen. Aber all das wird politisch nicht gewollt.
    Zagatta: Wäre es denn aus Ihrer Sicht politisch möglich? Also welchen Schaden würde das anrichten? Wir hören ja immer wieder, diese Informationen der US-Geheimdienste, die wären lebenswichtig für die Sicherheit Deutschlands. Gehen Sie davon aus, man könnte darauf verzichten, man könnte es auf eine solche Konfrontation ankommen lassen?
    Schmidt-Eenboom: Also ich halte das für ein Scheinargument, weil doch niemand ernsthaft glaubt, dass die Amerikaner, wenn sie Kenntnis bekommen von einem drohenden massiven Anschlag in der Bundesrepublik Deutschland, dann aus Verärgerung sagen würden: Ja, dann lassen wir diesen Anschlag halt zu und warnen den deutschen Partner nicht. Dann wären ja endgültig die Verhältnisse zwischen Berlin und Washington wie zwischen Feindstaaten. Man wird weiterhin mit den USA kooperieren, gerade auf dem Sektor Terrorismusbekämpfung, aber man wird das politisch sehr viel intensiver tun müssen. Und es gibt ja nicht nur Veränderungsrufe aus der Opposition, sondern es gibt ein Papier der SPD-Bundestagsfraktion vom 16. Juni diesen Jahres, und da sind ganz vernünftige Vorschläge drin, wie man durch eine Stärkung der G10-Kommission des Deutschen Bundestages, also mit quasi richterlicher Kontrolle, dafür sorgen kann, dass der BND nicht über rechtliche Grenzen geht und dass er bei seiner Kooperation mit der NSA deutlich eingehegt wird.
    "Eine unabhängige Justiz würde die Selektorenlisten einfach beschlagnahmen"
    Zagatta: Sie sprechen jetzt das politische Feld an. Wie ist es denn mit dem juristischen? Wir leben ja in einem Rechtsstaat, und eigentlich: Das, was die NSA hier tut, was da bekannt geworden ist, verstößt ja gegen deutsches Recht. Warum verlaufen da alle strafrechtlichen Ermittlungen im Sand?
    Schmidt-Eenboom: Weil der Generalbundesanwalt sehr merkwürdige juristische Konstruktionen immer wählt. Es gibt offensichtlich politischen Druck, nicht gegen die Amerikaner zu ermitteln. Eine wirklich unabhängige Justiz würde ja wirklich amerikanische Offiziere in Bad Aibling festnehmen unter dem Verdacht der nachrichtendienstlichen Agententätigkeit, darunter den führenden Mann, einen General. Eine unabhängige Justiz würde auch die Selektorenlisten, diese umstrittenen, einfach beschlagnahmen, weil die ein ganz, ganz wichtiges fälschungssicheres Beweismittel dafür sind, in welchem Umfang die amerikanischen Dienste gegen deutsches Recht verstoßen haben.
    Zagatta: Da habe ich sie recht verstanden: Sie sagen, wir haben in Deutschland keine unabhängige Justiz, was diesen Bereich angeht?
    Schmidt-Eenboom: Ganz offensichtlich nicht, weil der Generalbundeswalt ermittelt nicht unbefangen, sonst würde er sich einfach durch Beschlagnahme in den Besitz der Selektorenlisten bringen, und dann kann man anhand von 2.000 und bei der größeren Liste anhand von 13.000 Selektoren sehr genau feststellen, welches deutsche Unternehmen, welche deutsche politische Instanz von der NSA ausgeforscht wurde.
    Zagatta: Wenn wir das weiterverfolgen: Wer übt da politischen Druck aus aus Ihrer Sicht? Ist es das Kanzleramt oder ist es die Große Koalition? SPD-Chef Gabriel hat sich da ja gestern oder vorgestern auch sehr vorsichtig geäußert.
    Schmidt-Eenboom: Herr Gabriel hat im Wahlkampf den Vorwurf erhoben, Frau Merkel würde ihren Amtseid verletzen durch eine schleppende Aufklärung der NSA-Aktivitäten. Als Vizekanzler ist er jetzt natürlich politisch deutlich vorsichtiger. Aber es gibt in der SPD schon eine Menge Stimmen, die auch deutlich machen, dass man das amerikanische Verhalten nicht länger dulden will. Aber Frau Merkel selbst sieht da offensichtlich keine Priorität, im grundsätzlichen nachrichtendienstlichen Verhältnis und im politischen Verhältnis zu den Vereinigten Staaten irgendeine Veränderung vorzunehmen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.