Friedbert Meurer: Ist Edward Snowden ein Held, oder ein Verräter? Vor genau einem Jahr ging sein Name erstmals um die Welt. Durch ihn erfuhr die deutsche Öffentlichkeit dann, in welchem Ausmaß der US-amerikanische Geheimdienst weltweit Mails oder Telefonate anzapft. Interessanterweise gibt es aber auch in den USA viele, die dem NSA-Whistleblower Edward Snowden zugutehalten, was er getan hat. Einerseits findet eine Mehrheit der Amerikaner, Snowden habe dem Land Schaden zugefügt. In derselben Umfrage hält andererseits eine Mehrheit ihn für einen Helden. Die US-Regierung natürlich nicht.
Vor einem Jahr also berichteten die US-Zeitungen erstmals über den Fall Snowden und auf Snowden geht auch zurück, dass Generalbundesanwalt Harald Range jetzt doch ein Ermittlungsverfahren eingeleitet hat wegen der Überwachung des Mobiltelefons der Kanzlerin, gestern Abend ein ganz großes Thema bei uns. Kann dabei überhaupt etwas herauskommen und wie werden die Auswirkungen auf das Verhältnis zu den USA sein? Das sind mehrere Fragen, über die Martin Zagatta gestern Abend mit dem Politikwissenschaftler Karl Kaiser gesprochen hat, lange Jahre Forschungsdirektor der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik und er lehrt zurzeit an der Harvard University in den USA.
Martin Zagatta: Beunruhigt das jetzt irgendjemanden in den USA, solche Ermittlungen, oder ist das den Amerikanern mittlerweile völlig egal?
Karl Kaiser: Es hat sich nichts geändert an der Asymmetrie zwischen Deutschland und den USA. Bis heute ist die außenpolitische Wirkung der Abhöraffäre in Deutschland nicht angemessen zur Kenntnis genommen worden in den USA, und das wird wahrscheinlich auch so bleiben. Aber hier und dort, je nachdem was die Justiz da macht, kann es natürlich dann zu negativen Folgen auch in den USA kommen.
Zagatta: Die Ermittlungen richten sich ja offiziell jetzt gegen Unbekannt. Lacht man sich da in amerikanischen Regierungskreisen kaputt?
Kaiser: Man versteht das nicht ganz, genau wie vorher schon, als die Frage hochkam, ob man allgemein in der NSA-Affäre ein Verfahren eröffnen sollte. Es besteht wenig Verständnis, das muss man zur Kenntnis nehmen, in dieser Angelegenheit. Man glaubt, mit der Feststellung, dass jetzt nicht mehr abgehört wird - die Telefone von verbündeten Staatsmännern und Staatsfrauen und deren Kabinettsmitgliedern werden nicht mehr abgehört -, dass das eigentlich jetzt erst einmal beigelegt ist und die Frage ein Problem der Reform des Systems in den USA ist, und da läuft ja einiges.
Zagatta: Läuft auch einiges, wenn die Deutschen jetzt vielleicht Zeugen anfordern, Auskunft anfordern von amerikanischen Regierungskreisen? Glauben Sie, dass die US-Regierung da zu irgendeiner Zusammenarbeit bereit ist?
Kaiser: Ich bin da eher skeptisch, denn ich halte es für unwahrscheinlich, dass die amerikanische Regierung ähnlich wie die Bundesregierung wirklich bereit ist, die Interna dieser Verfahren öffentlich zu machen, und von daher gehe ich davon aus, dass man eingeladenen Zeugen nicht die Erlaubnis gibt, nach Deutschland zu kommen. Ich sehe das weniger.
Wenig Aussicht auf Erfolg der Ermittlungen
Zagatta: Das heißt, Sie gehen davon aus, dass bei diesen Ermittlungen überhaupt nichts herauskommt?
Kaiser: Davon gehe ich aus und man muss das auch politisch sehen, denn es gibt ja im Augenblick andere große Probleme. Die Ukraine-Krise hat ja nun Probleme aufgeworfen, die ein gründliches Überdenken der amerikanischen außenpolitischen Strategie erfordern, übrigens auch der deutschen, und das hat augenblicklich Priorität und lässt diese Frage in den Hintergrund treten. Es steht zu viel an in der amerikanischen Innen- wie Außenpolitik, um diesem Problem große Aufmerksamkeit zu widmen. Das mag man in Deutschland bedauern, aber das ist einfach ein Faktum.
Zagatta: Herr Kaiser, warum ist das eigentlich so? In den USA gilt ja weitgehend der Grundsatz, My Home is My Castle. Da hat man das Recht, Einbrecher zu erschießen. Wieso ist es dann völlig egal, wenn unsere Privatsphäre durch solche Ausspähaktionen der NSA massiv verletzt wird?
Kaiser: Ich erkläre es mir so, dass die Prioritäten anders sind in den USA und in Deutschland. Die terroristischen Angriffe, die Angriffe auf die New Yorker Türme und auf das Pentagon, was hier 9.11 ist, das ist ein Trauma. Das hat die außenpolitischen Prioritäten so verändert und auch das Denken der Amerikaner so stark in Richtung Sicherheit zuerst bewegt, dass man bereit ist, ein Ausmaß an Kontrolle und Einsichtnahme hinzunehmen, das in Europa nicht akzeptabel ist. Das ist der eine Grund.
Der andere Grund ist, dass es die historische Erfahrung, die Europa und speziell Deutschland hat, mit der Überwachung durch autoritäre Systeme in Amerika nicht gibt, und von daher ist die Sensibilität A nicht so groß und B das Vertrauen in die Regierung ist dann etwas größer als in Europa, das eben diese historische Erfahrung hat. Dennoch: Es gibt eine große Debatte über die Überwachung durch die NSA, und auch die Obama-Regierung steht unter großem Druck der Öffentlichkeit, hier einiges zu verändern, und einiges ist ja da auch im Gange und wird sich auch verändern.
Zagatta: Sind das ernsthafte Einschränkungen?
Kaiser: Ja, sie sind schon ernsthaft, wenngleich auch Obama nicht alle Empfehlungen der verschiedenen Komitees, die er gebildet hat, angenommen hat. Aber beispielsweise das massive Speichern von Daten, wie es bisher üblich war, das soll abgestellt werden. Die Verfahren zur richterlichen Prüfung bei Einsichtnahme werden verbessert, werden auch zum Teil öffentlicher. Da wird sich einiges verändern. Da sind sich sogar die Anhänger des starken Staates einig, dass es so nicht weitergehen kann.
Meurer: Generalbundesanwalt Range ermittelt gegen den US-Geheimdienst. Wie sieht man das in den USA? Martin Zagatta sprach mit Karl Kaiser, er lehrt Politik an der Harvard University bei Boston in den USA.
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