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Zukunft des Musikjournalismus
"Wir sind genuin digital ausgerichtet"

Das Klassik-Magazin "VAN" erscheint als Online-Ausagbe, jedoch nicht gedruckt. Schwarze Zahlen schreibt es mittlerweile nur, berichtet Herausgeber Hartmut Welscher, weil es mit anderen Projekten querfinanziert wird. Eine Herausforderung, die er für den gesamten Journalismus von heute sieht.

Hartmut Welscher im Gespräch mit Raoul Mörchen |
    Porträtaufnahme eines Mannes mit dunklem, kurz geschnittenem Vollbart, kurzen Haaren und braunen Augen, der direkt in die Kamera blickt.
    "In vielerlei Hinsicht unterscheiden wir uns nicht unbedingt vom klassischen Feuilleton", sagt Hartmut Welscher, Gründer und Herausgeber von "VAN". (Christine Fiedler)
    Raoul Mörchen: V-A-N sieht auf den ersten Blick aus, wie das englische Wort für Lieferwagen und würde dann wohl "van" ausgesprochen, doch das macht irgendwie gar keinen Sinn als Titel eines Klassik-Magazins. Und so hat auch der begriffsstutzige Moderator nach kurzer Zeit verstanden, dass V-A-N van heißen soll - so wie Ludwig van. Van ist ein recht junges Pflänzchen im bescheidenen Garten der deutschen Klassik-Magazine. Und es wächst seit sieben Jahren und zwar nur im Internet und es will dort einiges anders machen als andere. Was genau mag uns jetzt Herausgeber Hartmut Welscher verraten. Was hat Sie denn vor Jahren auf die Idee gebracht, die Welt brauchte noch ein weiteres deutsches Klassik-Magazin und dann noch auch eines, dass ausgerechnet jede Woche in so einem engen Zyklus erscheint.
    Welscher: Ich weiß gar nicht, ob ich dachte, dass die Welt das braucht. Aber ich brauchte das tatsächlich. Ich bin mit dieser Musik aufgewachsen. Ich bin Fan dieser Musik und mich hat tatsächlich nie ein Magazin so richtig angesprochen in meinem Fansein, weil ich die Vielfalt, mit der ich diese Musik gehört habe und auch die Kultur erlebt habe, eigentlich nirgendwo sonst wiedergefunden habe. Und da war so ein bisschen die Entscheidung, einfach zu sagen "Ich mache mir das Magazin, was ich selbst gerne lesen wollen würde selbst." Und glücklicherweise gab es dann auch andere, die das lesen wollten. Und insofern war das weniger ein missionarischer Eifer, die Welt besser zu machen als einfach eher der Wunsch, etwas Neues zu schaffen und auch die Vielfalt dieser Musik in der Musikszene abzubilden.
    Mörchen: Was finden wir denn jetzt bei Ihnen, was Sie bei anderen nicht gefunden haben?
    Welscher: Erst einmal haben wir natürlich die Möglichkeit, dadurch, dass wir jede Woche rauskommen, dass wir natürlich viel Platz haben, viele verschiedene Seiten, Facetten zu zeigen, der Musik, aber auch der Musikkultur. Wir haben die Möglichkeit, natürlich auch in die Tiefe zu gehen. Wir haben die Möglichkeit, viele verschiedene Formate zu machen, von Interviews bis zu investigativen Recherchen, Reportagen, Porträts. Also alles das, was vielleicht woanders nicht mehr richtig stattfinden kann. Weil natürlich der Platz für klassische Musik in vielen Feuilletons marginalisiert ist mittlerweile.
    "Niemand kann ganz objektiv sein, wenn es um Musik geht"
    Für den US-amerikanischen Musikkritiker Alex Ross ist es notwendig, Musik aus ihrem Kontext heraus zu verstehen. Sie solle nicht als Kunst behandelt werden, die nur in ihrer Sphäre agiert.
    Mörchen: Blättern wir doch mal durch die aktuelle Ausgabe. Was gibt's gerade bei Ihnen in dieser Woche?
    Welscher: Also letzte Woche hatten wir einen relativ langen Beitrag über die Situation der Rundfunkorchester zum Beispiel. Das war eine Recherche, die wir über Wochen, fast Monate hinweg gemacht haben, wo wir uns angeguckt haben, wie ist eigentlich die Situation der Rundfunkorchester gerade vor dem Hintergrund des Drucks, der auf den öffentlich-rechtlichen Sendern lastet. Wie müssen die eventuell den Auftrag neu erfinden, neu entwickeln, der sich vielleicht über die Jahrzehnte hinweg ein bisschen erledigt hat. Und das ist tatsächlich so etwas, was auch dann woanders wieder aufgenommen wird und weitergetragen wird. Und das sehen wir natürlich auch ein bisschen als unsere Stärke an, Diskussionen anzuregen, die woanders vielleicht keinen Platz mehr haben.
    Mörchen: Ja, das könnte man sich durchaus auch im Print vorstellen oder bei uns jetzt hier im Radiofeuilleton. Es gibt andere Sachen, die ich jetzt gesehen habe, die überraschend sind, sag ich es mal so. Da gibt es ab jetzt einen größeren Artikel offensichtlich eines US-amerikanischen Musikjournalisten. Der hat so ein Ranking erstellt aller 647 Schubert Lieder. Was ist das?
    Welscher: Das ist tatsächlich eine ganz lustige Geschichte, weil wir haben ja auch eine englische Ausgabe und die Art und Weise, wie gerade dieser Beitrag zum Beispiel rezipiert wird, ist sehr unterschiedlich. Für die englische wie für die deutsche Version. Mein Kollege Jeff Brown hat sich alle, ich glaube 670 oder 672 Schubert-Lieder angehört und so ein bisschen aus dem Bauch heraus gerankt, welches ihm gefällt, welches ihm nicht gefällt und warum nicht. Es ist im Grunde auch so ein bisschen eine sehr subjektive, ein bisschen launige, lustige Angelegenheit. Aber da haben wir gemerkt, so im deutschsprachigen Bereich trifft das dann eher auf Argwohn, weil die Leute sagen, so kann man nicht mit Schubert umgehen. Und im Englischen, also der Originalversion wird es viel, viel offener und auch positiver rezipiert. Und das ist natürlich jetzt so eine Sache, die woanders überhaupt keinen Platz mehr finden kann, weil ich glaube, das sind irgendwie 380 000 Zeichen, die der Beitrag hat.
    Verschwommen lässt sich im Hintergrund ein Orchester erahnen. Davor der Hals eines Instruments.
    Musikkritik sollte Orientierung geben Musikkritik habe mit Kompetenz und Professionalität zu tun, sagte die Musikjournalistin Christine Lemke-Matwey im Dlf. Aufgabe sei es, im Musikbetrieb Orientierung zu bieten und Urteile zu fällen.
    Mörchen: Tatsächlich bei jedem einzelnen Schubert-Lied stet so eine kleine Zeile dabei, also gibt's eine Rubrik. Ich lese nochmal etwas vor oder picke etwas raus: Die unausgewogenen Schubert Lieder. Da findet sich unter anderem das Lied an den Schlaf. Der Autor schreibt dazu: "Ich mag das Ende nicht." Ist das Journalismus?
    Welscher: Es ist halt eine Form von Journalismus, wir probieren ja viele verschiedene Formate aus. Sie werden bei uns den seriösen Aufnahmenvergleich einer Bruckner Symphonie in zehn Aufnahmen genauso finden wie einfach neue Formate, die woanders nicht stattfinden, die wir ausprobieren, die wir gut finden. Es ist ja die Chance eines Musik- oder Klassik-Magazin eben viele verschiedene Sachen auch Dualitäten abzubilden, Stile abzubilden, auch die Subjektivitäten der Autorinnen und Autoren abzubilden. Insofern müssen wir uns da nicht an irgendwie vorgeformten Pfad-Abhängigkeiten richten oder Stile, sondern können halt einfach machen, wie wir lustig sind. Ich glaube, unsere Leserinnen und Leser wissen das auch zu schätzen, dass es eben auch diese Vielfalt gibt. Auch im Hintergrund, also Autorinnen und Autoren. Da sind ja sowohl Musiker dabei, Musikwissenschaftler, Journalisten, Journalistinnen, also sehr viele verschiedene Stile, Backgrounds und Perspektiven.
    Mörchen: Es geht also nicht um einen Paradigmenwechsel weg vom Urteil hin zu Meinung.
    Welscher: Überhaupt nicht. Ich glaube, in vielerlei Hinsicht unterscheiden wir uns jetzt auch nicht unbedingt immer vom klassischen Feuilleton. Da haben wir natürlich die Chance, einfach auch irgendwo hin zu gucken, wo andere halt nicht hingucken können, weil es eben dann keine Klicks erzeugt oder weil es halt nicht der Star ist. Oder weil es Themen sind, die vielleicht einfach nicht so viel interessieren, die uns aber interessieren. Und deswegen machen wir das. Wir haben eine Serie in 250 Teilen über Komponistinnen. Da sind Komponistinnen dabei, von denen auch Fachleute wahrscheinlich noch nie etwas gehört haben. Das ist jetzt nicht unbedingt der Clickbait, aber ist eine Reihe, die wir wichtig finden und deswegen machen wir die.
    Mörchen: Nur mal für diejenigen Hörerinnen und Hörer, die sich noch nicht umgeschaut haben auf ihrer Seite. Das werden sicherlich auch einige sein. Das ist nicht einfach ein abfotografiertes Printmedium. Sie spielen durchaus auch mit den Möglichkeiten, die das Internet bietet.
    Welscher: Genau. Wir haben z.B. einen Artdirector, der nicht aus der klassischen Musik kommen, sondern eher aus dem Elektro-Musikbereich. Da haben wir natürlich viele Möglichkeiten auch mit Design zu spielen. Wir binden natürlich - das ist das Gute an einem Online-Medium - wir binden natürlich viel Musik ein, auch gerade Musik von Komponistinnen und Komponisten, die vielleicht noch nicht so viele kennen. Wir binden Videos ein. Also das ist natürlich erstmal genuin auf digital ausgerichtet. Und wir haben jetzt keine Printvorgabe, die wir irgendwie reproduzieren müssen oder wollen oder sollen.
    Der deutsche Autor, Univ.-Prof. Dr. phil. Holger Noltze, aufgenommen am 14.03.2013 in Leipzig (Sachsen) auf der Buchmesse. Foto: Marc Tirl | Verwendung weltweit
    „Digitale Doofheit ist keine Option“ Im Bereich der Klassischen Musik würden die Möglichkeiten der digtialen medialen Welt oft nicht ausgenutzt, sagt derJournalist und Professor für Musikjournalismus, Holger Noltze.
    Mörchen: Sie sagen, bei Ihnen ist alles digital. Viele meinen, alles Digitale wäre automatisch umsonst. So können sie nicht überleben.
    Welscher: Nein, das war uns auch wichtig, von Anfang an zu sagen: 'Wir brauchen ein digitales Geschäftsmodell und wir wollen auch nicht unseren Content umsonst zur Verfügung stellen, weil guter Journalismus nur überleben kann, wenn es genügend Leute gibt, die dafür auch Geld ausgeben.' Insofern haben wir von Anfang an gesagt: 'Wir brauchen auch ein Abo-Modell, wir brauchen eine Paywall. Wir wollen, dass unsere Leserinnen und Leser dafür zahlen, weil wir eben auch Qualität liefern.' Im Moment heißt Journalismus und gerade Musikjournalismus heißt, dass man sich fürs Prekariat entscheidet, weil da im Moment so wenig bezahlt wird, dass man eigentlich kaum davon leben kann. Wie sich das in Zukunft entwickeln wird? Schwierig vorauszusagen. Da reicht auch jetzt ein gut funktionierendes Magazin wie das unsere nicht aus, um auch da irgendwie genügend Basis zu haben. Darüber hinaus müssen wir natürlich wie alle anderen Verlage auch gucken, dass wir das Magazin mit anderen Projekten irgendwie querfinanzieren. Aber ja, im Grunde ist das das Problem, das jetzt der Journalismus insgesamt hat. Wie kann man gerade im digitalen Bereich das monetär so fruchtbar machen, dass man auch seine Autorinnen und Autoren bezahlen kann. Das war uns auch ein wichtiges Thema, weil sonst ist bei uns keine Lust da, wenn wir das Gefühl haben, die Leute schreiben für uns irgendwie umsonst oder total prekär bezahlt. Und ich glaube, für die Autorinnen und Autoren macht es dann auch mehr Spaß, wenn sie das Gefühl haben, sie werden für ihre Arbeit bezahlt.
    Mörchen: Auf Ihrer Internetseite sehe ich, dass Sie im Moment 3500 Abonnentinnen und Abonnenten haben, 40 Euro kostet das Jahresabo. Damit schreiben Sie keine schwarzen Zahlen bisher - habe ich Sie richtig verstanden?
    Welscher: Wir schreiben tatsächlich jetzt mittlerweile schwarze Zahlen, aber auch, weil wir natürlich neben dem Magazin andere Sachen machen. Wir haben auch das Glück, seit zwei Jahren eine Entwicklungspartnerschaft mit der Bank Julius Bär zu haben. Also ein klassisches Kultur-Sponsoring, was uns natürlich gerade so in Coronateiten ziemlich den Rücken freigehalten hat. Tatsächlich ist es so, dass unsere Abozahlen wirklich stetig steigen. Wir haben mittlerweile auch immer mehr Anzeigenkunden, die sagen, sie wollen bei uns werben, weil sie feststellen, dass bei uns eben auch die Zielgruppe da ist, die sie in ihren Konzerten haben wollen. Insofern sind wir da gerade auf einem tatsächlich ganz guten Weg und gerade ganz optimistisch, dass wir bleiben werden und dass wir weiter wachsen und dass es uns auch in zehn Jahren noch geben wird.