Katharina König, Abgeordnete der Linken im Thüringer Landtag, sagte in Deutschlandradio Kultur, sie halte es für denkbar, dass sich die NSU-Untersuchungsausschüsse über die Interessen der Verfassungsschutzbehörden hinwegsetzen könnten. Sie begründet das unter anderem damit, dass der Thüringer Untersuchungsausschuss über Akten verfüge, die dem Gericht in München nicht vorlägen. Manche Informationen seien so wichtig, dass Ausschussmitglieder aus persönlichen Gründen entscheiden sollten, sie trotz Geheimhaltungsstufe öffentlich zu machen. Dies könnte unter anderem die Aufklärung der NSU-Mordserie beschleunigen.
Steffen Dittes, Königs Parteikollege im thüringischen Untersuchungsausschuss, pflichtet ihr bei: "Der Untersuchungsausschuss ist berechtigt, vorliegende Akten mit Geheimhaltungsstufe auszuwerten und zu bewerten. Sollte sich aus diesen ergeben, dass darin enthaltene Informationen zur Strafaufklärung, beispielsweise im sogenannten NSU-Prozess, nach Ansicht der Ausschussmitglieder zur Verfügung stehen, so ist er meines Erachtens in der Pflicht, Beweismaterial nicht zurückzuhalten, sondern der Generalbundesanwaltschaft oder dem Gericht selbst anzubieten." Dittes gehe dabei davon aus, dass alle rechtlichen Erfordernisse beim Informationsaustausch zwischen zwei Verfassungsorganen berücksichtigt und eingehalten würden.
Grüne: Transparenz fördern
Madeleine Henfling, Ausschussmitglied der Grünen, beurteilt die Frage nach dem Geheimnisverrat folgendermaßen: "Das Thüringer Untersuchungsausschussgesetz setzt der Weitergabe von Informationen enge Grenzen, die es zu respektieren gilt. Grundsätzlich unterstützen wir die Förderung von Transparenz und den Diskriminierungsschutz von Hinweisgeberinnen und Hinweisgebern. Es gibt durchaus Gründe für die Geheimhaltung bestimmter Vorgänge. Wenn sich allerdings aus der Auswertung geheim eingestufter Akten Tatbestände ergeben, die einen Straftatbestand annehmen lassen, muss geklärt werden, wie diese an Gerichte weitergegeben werden können."
SPD: "Nicht bewusst als Geheimnisverräter betätigen"
Die Weitergabe von geheimen Informationen kommt für die SPD nicht in Frage: "Ich glaube nicht, dass Abgeordnete es nötig haben und in Betracht ziehen sollten, sich als bewusste Geheimnisverräter zu betätigen", sagt Dorothea Marx.
In Bezug auf den NSU-Prozess führt die Abgeordnete weiter aus: "Zunächst geht es doch darum, dass die Untersuchungsausschüsse und jedes einzelne Mitglied einen unbeschränkten Zugang zu allen relevanten Unterlagen haben müssen. Den haben wir in Thüringen längst durchgesetzt. Die weitestmögliche Weitergabe relevanter Unterlagen an die Öffentlichkeit ist dann aber doch erst die zweite Stufe. Und die gesetzlichen Grundlagen dafür kann jedes Parlament selbst verbessern."
CDU: "Weitergabe von Informationen mit Geheimhaltungsstufe kein geeignetes Mittel"
"Wir halten die Weitergabe von Informationen mit Geheimhaltungsstufe für kein geeignetes Mittel, die Aufklärung der NSU-Morde voranzubringen", antwortet Jörg Kellner, Obmann der CDU-Fraktion im NSU-Untersuchungsausschuss. "Unserer Auffassung nach sind unserem Rechtsstaat ausreichend Werkzeuge an die Hand gegeben, um ohne Rechtsverstöße größtmögliche Aufklärung zu erreichen." Weiter heißt es: "Geheimnisverrat ist kein rechtsstaatliches Mittel der Aufklärung." Die zuständigen Stellen, namentlich die Untersuchungsausschüsse der Länder und des Bundes sowie die Staatsschutzkammer am OLG München und der Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof, seien mit umfassenden Einsichtsrechten ausgestattet.
Für die AfD sitzt Björn Höcke im NSU-Untersuchungsausschuss. Bislang hat er die Fragen des Deutschlandfunks noch nicht beantwortet.
Viele NSU-Untersuchungsausschüsse tagen nicht mehr
NSU-Untersuchungsausschüsse wurden bislang im Bundestag und sechs Landtagen eingesetzt, um sich mit den NSU-Morden sowie mit dem damit in Zusammenhang stehenden Verhalten von Behörden des Bundes und der jeweiligen Bundesländer zu befassen. Derzeit tagen noch die Ausschüsse in Thüringen, Sachsen, Nordrhein-Westfalen und Hessen. Der Bundestag setzt nach dem Abschluss eines ersten Ausschusses bald einen zweiten ein.