Die Diskussion um das als sexistisch kritisierte Gedicht "avenidas" des Schweizer Lyrikers Eugen Gomringer ist am Montagabend in Berlin mit dem Autor fortgesetzt worden. Die Stiftung Brandenburger Tor hatte zu einem öffentlichen Gespräch mit Gomringer, der Prorektorin der Alice-Salomon-Hochschule, Bettina Völter, und einer Vertreterin des Allgemeinen Studentenausschusses (AStA) eingeladen. Das Gedicht steht seit 2011 an der Fassade der Berliner Hochschule.
Das Gespräch war von einem tiefen gegenseitigen Misstrauen geprägt, auch wenn es anfangs versöhnliche Töne gab. So betonte Bettina Völter, Prorektorin der Alice-Salomon-Hochschule, dass ihre Institution keinesfalls kunstfeindlich sei, jedoch den öffentlichen Raum, die Fassade der Hochschule für sich reklamiere.
Die Entscheidung, das Gedicht von der Fassade zu tilgen, stellte sie als Ergebnis eines ganz normalen demokratischen Prozesses dar. Die Hochschule nehme einfach ihr Recht auf Autonomie in Anspruch. Außerdem sei nichts Schlimmes passiert. Die Kritiker dagegen hätten überreagiert und versucht, mit hunderten von Hassmails den AStA und die Hochschulleitung mundtot zu machen.
Ein Gedicht, das Alleen, Blumen und Frauen in eine Reihe stelle, die Frauen damit zum Objekt degradiere – dieses Gedicht sei aus der Zeit gefallen und passe nicht zur Alice-Salomon-Hochschule, sagte auch AStA -Vertreterin Tanja Roth.
Das Ganze spiegele ein Geschlechterverhältnis wider, das sie persönlich, als Vertreterin des AStA und der Hochschule, nicht unterstütze. Durch die Wortwahl werde ein "krasser Bezug auf Geschlechtlichkeit" gelegt.
Antiseptische Kunst statt Kunstfreiheit
Eugen Gomringer widersprach und warf der Hochschulleitung vor, sich in diesem kleinen, eng demokratischen Rahmen verheddert zu haben. Dass sein Gedicht "Avenidas" einem anderen Poem Platz machen soll, das dem linken, feministischen, basisdemokratischen Verständnis der Hochschule besser entspricht, will dem Lyriker nicht einleuchten.
Er verstehe die ganze Debatte nicht und sehe die Kunstfreiheit gefährdet. "Wir diskutieren forciert die Frage, wie antiseptisch Kunst sein muss, damit sie sein darf."
Gomringer warf der Hochschulleitung vor, die Tragweite ihrer Entscheidung nicht verstanden zu haben – in Intellektuellenkreisen würden schon Parallelen zur Bücherverbrennung gezogen.
So ging es während der Diskussion, die auf reges Interesse stieß, auch weniger um das Gedicht an sich und um die Frage "Was darf Kunst?", so Claudia van Laak, als vielmehr um die Frage "Was darf eine Hochschule?"