Hamburg-Wilhelmsburg, das ehemalige Kerngelände der IBA, der Internationalen Bauausstellung. Ungewöhnliche, teils futuristische Wohnhäuser, manche aus Holz, andere ausstaffiert mit raffinierten Sonnensegeln. Doch ein Gebäude fällt besonders auf – wegen seiner tiefgrünen Fassade und wegen der Geräusche, die es von sich gibt.
"Das Wasser muss ständig bewegt werden. Das Einfachste ist, indem man große Gasblasen von unten einströmen lässt."
Die Fassade ist ein Bioreaktor. Seine 129 Einzelelemente sind gefüllt mit 3.500 Litern Wasser, sagt Martin Kerner, Geschäftsführer der Biotechnologiefirma SSC. Für die tiefgrüne Färbung sorgen Algen, laufend umgewälzt von den blubbernden Blasen. Nur so bekommt jede der mikroskopisch kleinen Algenzellen genug Licht.
"Geerntet wird, wenn wir sagen: Wir wollen eine gewisse Zelldichte. Und wenn diese Zelldichte überschritten wird, entnehmen wir Algen und ernten sie."
Algen und Wärme aus der Fassade
Algen nämlich gelten als proteinreiches Nahrungsergänzungsmittel – ein Kilogramm ist bis zu 30 Euro wert. Gefüttert werden sie im Algenhaus mit dem CO2 aus einer Gastherme. Doch die Wassertanks an der Fassade dienen nicht nur als Brutstätte für Einzeller, sondern auch als Wärmelieferant für die 15 Wohnungen im Haus.
"Wenn die Reaktoren zu weit aufheizen, müssen wir die Wärme auskoppeln. Damit haben wir Wärmegewinne, die wir nutzen können, um das Haus mit Warmwasser zu versorgen."
Diese Kombination aus Algenzucht und Warmwassererzeugung ist es, die das Hamburger Algenhaus von anderen Ansätzen unterscheidet, etwa dem MINT-Projekt in Berlin. Bei dem dienen röhrenförmige Bioreaktoren an der Hausfassade nur der Algenbrut für Nahrungsmittel und nicht auch der Wärmeproduktion. 2013 legte das Algenhaus in Wilhelmsburg los. Hat sich die Technik seitdem bewährt? Einerseits schon, meint Martin Kerner.
"Insgesamt haben wir ein System, das 48 Prozent Energiekonversions-Effizienz hat und was natürlich extrem gut ist."
Andererseits aber gab’s massive Probleme, und zwar mit der Zuverlässigkeit.
"Wir waren in den ersten zwei Jahren nicht in der Lage, in einen Standardbetrieb reinzukommen, wo man sagt: Wir machen die Tür zu, das System läuft und gut ist’s."
Technische Probleme zwingen zu Reparaturen
Bald fingen die 129 Bioreaktoren an zu korrodieren, zudem waren manche Rohre zu klein dimensioniert. Ein ums andere Mal mussten Kerner und seine Leute ausrücken, um verstopfte Leitungen zu reinigen. 2014 wurden die Schäden immer massiver, die Experten mussten die Anlage abschalten. Jetzt half nur noch ein grundlegender Umbau.
"Was bedeutete, dass wir jeden einzelnen Reaktor abbauen mussten, die Innereien neu einbauen, was sehr viel Geld gekostet hat. Wenn wir die Gelder nicht gekriegt hätten, hätten wir die ganze Anlage in die Tonne treten müssen – was extrem desaströs für uns gewesen wäre."
Zum Glück für Kerner und seine Leute schoss die Forschungsinitiative "Zukunft Bau" öffentliche Fördergelder zu, sonst hätte sich der Umbau nicht finanzieren lassen. Doch die Experten erneuerten den Reaktor nicht nur. Sie ergänzten ihn auch um weitere Komponenten mit dem Ziel, die Effizienz zu steigern: Sie bauten eine Anlage ein, die das Abwasser aus den Wohnungen zu Biogas vergärt. Das vergorene Restwasser landet dann im Algenreaktor. Und sie installierten eine Extraktionsanlage, mit der sich die Algen kontinuierlich ernten lassen, also im laufenden Betrieb. Anfang 2016 war der runderneuerte Algenreaktor fertig. Bislang, sagt Martin Kerner, läuft er ohne größere Probleme.
Lohnend wird das Verfahren bei großen Gebäuden
"Wir sind jetzt relativ zuversichtlich, dass wir diese Anlage die nächsten Jahre zuverlässig betreiben können."
Und wieviel proteinreiches Algenextrakt hat das Haus mit der tiefgrünen Fassade schon produziert? Nicht der Rede wert, antwortet Kerner, schließlich sei das Ganze ja ein Pilotprojekt.
"Wir verbessern das Verfahren. Aber eine Vermarktung des Produkts würde dann kommen, wenn man größere Anlagen hat."
Lohnen dürfte sich das Verfahren erst bei großen Gebäuden, bei Sporthallen, Büros oder Lagern. Das Hamburger Algenhaus kann zwar zeigen, ob die Technik zuverlässig funktioniert. Ob sie auch wirtschaftlich ist, dazu bräuchte es ein deutlich größeres Folgeprojekt.
"Die Anlage selber ist, glaube ich, schon wirklich top und auch marktfähig. Und wir hoffen, dass wir das relativ zeitnah auch mal groß realisieren können."