Anne Raith: Man muss gar nicht so weit blättern im Programm der neuen Regierung in Wien, um zu dem Punkt zu gelangen, der auf der anderen Seite der Grenze, in Italien nämlich, für Aufregung sorgt. Ordnung und Sicherheit ist das Kapitel überschrieben, in dem es um die Neuregelung des Staatsbürgerschaftsgesetzes geht. Wir haben den kleinen Abschnitt auf Seite 33 für Sie vertont, zufälligerweise in 33 Sekunden, die man allerdings bis zum Ende durchhalten muss, um zu verstehen, was der Stein des verklausulierten Anstoßes ist.
Zitat:
"Im Geiste der europäischen Integration und zur Förderung einer immer engeren Union der Bürgerinnen und Bürger der Mitgliedsstaaten wird in Aussicht genommen, den Angehörigen der Volksgruppen deutscher und ladinischer Muttersprache in Südtirol, für die Österreich auf der Grundlage des Pariser Vertrages und der nachfolgenden späteren Praxis die Schutzfunktion ausübt, die Möglichkeit einzuräumen, zusätzlich zur italienischen Staatsbürgerschaft die österreichische Staatsbürgerschaft zu erwerben."
In Südtirol ist die Aussicht auf einen Doppelpass, denn darum geht es, auf einen italienischen und einen österreichischen Pass also mit einiger Begeisterung aufgenommen worden. Das übrige Italien hat verhalten bis ungehalten reagiert.
Tassilo Forchheimer in Rom, lassen Sie uns zunächst einmal klären, warum diese Ankündigung ein solches Politikum ist. Wie ist der Status Südtirols zwischen Italien und Österreich geregelt?
Tassilo Forchheimer: Das ist eine sehr lange Geschichte. Ich versuche, es einigermaßen kurz zu machen. Gehen wir zurück in den Ersten Weltkrieg. Damals hat Italien von der Entente, also von Frankreich, Großbritannien, Russland, in einem Geheimvertrag das Angebot bekommen, wenn ihr mit uns ein Bündnis eingeht gegen die Mittelmächte, also im Wesentlichen Deutschland und Österreich-Ungarn, dann bekommt ihr Südtirol als Entschädigung. Und das ist dann nach dem Ersten Weltkrieg tatsächlich passiert. Die Zeiten für die Südtiroler sind spätestens, als dann Mussolini an die Macht kam, richtig schlimm geworden.
Südtirol war oft ein Spielball der Mächte
Die deutschsprachige Bevölkerung ist damals unterdrückt worden. 1939 kam es noch schlimmer. Da gab es dann diese sogenannte Option. Das war ein Umsiedelungsabkommen zwischen Hitler und Mussolini, wo sich die Südtiroler entscheiden mussten. Und nach dem Krieg dann haben die Siegermächte eine Wiedervereinigung des südlichen Tirols mit dem nördlichen Tirol abgelehnt und aber immerhin die Bedingung gestellt, dass die Rechte der deutschsprachigen Bevölkerung zu schützen sind. Und daraus ist dann das sogenannte Pariser Abkommen, das Südtirol-Abkommen entstanden. 1946 war das. Darin sind die kulturellen Rechte der deutschsprachigen Bevölkerung in der Region Trentino, Südtirol wirklich völkerrechtlich garantiert worden. Und das Interessante daran ist, dieses Südtirol-Abkommen, abgeschlossen zwischen Österreich und Italien hat letzten Endes auch diese Schutzmachtfunktion, von der da gerade die Rede war, indirekt anerkannt, also den Österreichern zugesprochen, dass sie doch auch für die Südtiroler irgendwie ein bisschen mitsprechen.
Raith: Wie hat also jetzt dann auf der anderen Seite die italienische Regierung auf die Ankündigung aus Wien reagiert? Hat sie überhaupt reagiert?
Forchheimer: Eher zurückhaltend. Die wirklich maßgeblichen Politiker – es gibt immer ein paar Gockel, die durch die Landschaft rennen –, aber die wirklich maßgeblichen Politiker waren wirklich sichtbar bemüht, kein weiteres Öl ins Feuer zu gießen. Der Präsident des Europaparlaments, Tajani, hat letztlich sinngemäß gesagt, das bringt jetzt keine wirkliche Entspannung. Europa hat viele Fehler gemacht, aber zum Glück ist die Zeit der Kriege und der Nationalismen vorbei. Also mit anderen Worten, das, was die Österreicher da beschlossen haben, das stammt aus einer völlig anderen Zeit.
Raith: Italien ermöglicht das ja aber auch zum Teil in ähnlichen Modellen mit Blick auf die italienischen Minderheiten im Ausland. Setzt das die Italiener nicht unter Druck, den Österreichern sozusagen Ähnliches zuzugestehen?
Forchheimer: Es gibt so eine ähnliche Regelung für den Nordosten Italiens, also Istrien, die Umgebung von Triest. Da hat eine Berlusconi-Regierung im Jahr 2006 beschlossen, Menschen, die im Jahr 1947, als Italien dort Gebiete verloren hat ans ehemalige Jugoslawien, in diesen Gebieten gewohnt haben und italienischer Zunge waren oder sind, können die italienische Staatsbürgerschaft beantragen. Das ist tatsächlich eine ähnliche Regelung.
"Dadurch kann wirklich Sand ins Getriebe kommen"
Allerdings reden wir dort von einer sehr kleinen Minderheit, während wir in Südtirol von nach wie vor der Bevölkerungsmehrheit sprechen, also Dreiviertel der Südtiroler Bevölkerung sind deutschsprachig. Und das ist eben die Frage. Was passiert, wenn jetzt eine Mehrheit der Südtiroler sich auf einmal für eine andere Staatsbürgerschaft entscheiden würde? Das sind Hirngespinste möglicherweise, aber da kann durchaus wirklich Sand ins Getriebe kommen.
Raith: Sie haben geschildert, dass sich die italienische Regierung auch deswegen wahrscheinlich weitgehend zurückhält. Haben Sie den Eindruck, dass dieser Vorstoß aus Wien das italienisch-österreichische Verhältnis trüben kann?
Forchheimer: Er kann es trüben. Die Stimmung wird dadurch mit Sicherheit nicht besser. Man war eigentlich auf einem ganz guten Weg. Es gab jetzt in letzter Zeit wegen der Brennergrenze, Flüchtlingsfragen und so weiter ohnehin schon Spannungen, aber im Grunde ist die Perspektive für Südtirol – so war es jetzt jedenfalls über Jahrzehnte, spätestens seit 1972, seit dem Zweiten Autonomiestatut war die Perspektive immer die offene Grenze, das Europa der Regionen. Südtirol hat sich sehr positiv entwickelt, dadurch, dass es so eine Verbindungsfunktion zwischen Nord und Süd hat. Und genau auf diesem Weg wollen die Italiener wohl eher voranschreiten.
Raith: Streit um den Doppelpass in Südtirol. Informationen waren das von unserem Korrespondenten Tassilo Forchheimer in Rom. Besten Dank!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.