DLF-Autor Carsten Upadek lebt in Rio de Janeiro, Austragungsort der Olympischen Sommerspiele 2016 (5.-21.8.). Massenproteste gegen die Verschwendung von Milliarden wie vor zwei Jahren vor der Fußball-Weltmeisterschaft hält er für die nächsten Monate für unwahrscheinlich.
"So merkwürdig das klingen mag, aber die Brasilianer haben größere Probleme als einige Milliarden. Das Land steckt mitten in der tiefsten wirtschaftlichen Krise seit Jahrzehnten. Die Präsidentin versucht einem Amtsenthebungsverfahren zu entgehen. Die Regierungsparteien bekämpfen sich statt Probleme zu lösen, und ein gewaltiger Korruptionsskandal erschüttert die Brasilianer fast täglich mit neuen Details. Darin verwickelt: einige der wichtigsten Unternehmen und Politiker des Landes."
Offizielle Stellen in Brasilien sehen keine Auswirkungen des Korruptionsskandals auf die Spiele, wie Upadek im DLF feststellt,
"Angeblich nicht – behauptet zumindest der brasilianische Sportminister. Trotz Krisen laufe alles gut, sagte er im Dezember. Die finanziellen Mittel für die Olympischen Spiele seien abgesichert, alle Baustellen würden alle rechtzeitig fertig, die Umweltfragen auf einem guten Weg und die Sicherheit sei garantiert – nach den Anschlägen von Paris sind nun 85.000 Sicherheitskräfte vorgesehen."
Der DLF-Korrespondent äußert sich zu den Auswirkungen dieser Affäre nicht ganz so optimistisch.
"Dass die großen Baukonsortien, die die wichtigsten Olympia-Projekte realisieren, in den gewaltigen so genannten Petrobras-Skandal verwickelt sind, ist schon einige Monate klar. Jetzt im Dezember beschuldigte die Bundesstaatsanwaltschaft aber erstmals einen der wichtigsten Politiker des Landes der Korruption in direktem Bezug auf die Spiele. Der Präsident der Abgeordnetenkammer Eduardo Cunha soll umgerechnet 450.000 Euro für die Hilfe bei Steuerbefreiungen der Olympiabauten kassiert haben und noch einmal satte 12,3 Millionen Euro für die Freigabe von Mitteln aus einem Sozialfond, die unter anderem in die Milliarden-Projekte Olympisches Dorf und Hafenviertel geflossen sind. Wenn das stimmt, muss man sich fragen, was sonst noch so gekauft wurde im Geschäft zwischen Baukonzernen und Politik. Zumal die Kostenströme nur sehr schwer nachzuvollziehen sind, weil einfach wichtige Verträge nicht veröffentlicht werden."
Als Beispiel nennt Upadek den Olympiapark, das Herzstück der Spiele.
"So behauptet Rios Bürgermeister immer wieder, dass von den Gesamtkosten von umgerechnet 9,1 Milliarden Euro gut zwei Drittel aus der privaten Wirtschaft kämen. Das 'Bürgerkomitee WM und Olympia' hat im Dezember aber ein Dossier veröffentlicht und darin die bisher nicht bekannten Kosten einberechnet und kommt zu einem umgekehrten Schluss: der brasilianische Bürger zahlt demnach 62,1 Prozent der Zeche. Abgesehen davon, dass sie Autoren mal eben auf Mehrkosten von 100 Millionen Euro kommen."
Die Ergebnisse der Studie kommen in Brasilien nicht gut an, aber:
"Es verhallt so ein bisschen. Es ist halt kompliziert mit so vielen Zahlen. Die großen brasilianischen Medien zeigen lieber Olympia-Test-Events. Im Januar werden die Arenen Carioca eins, zwei und drei mit Basketball, Judo und Gewichtgeben eingeweiht. Da muss schon mal ein Olympiasieger auf den Tisch hauen, damit das auch wahrgenommen wird: Getan hat der holländische Windsurfer Dorian van Rijsselberghe nachdem er hier in der Bucht von Rio kurz vor Weihnachten den Brasilien-Cup gewonnen hatte. Dort werden auch die olympischen Segel- und Windsurfdisziplinen stattfinden. Rio hat bei der Kandidatur versprochen, die Bucht um 80 Prozent zu reinigen. Rijsselberghe schrieb in seinem Blog an Heiligabend, das Wasser sei ekelig und gefährlich. Dort schwämmen genug Plastikbeutel, mit denen die gesamte Weltbevölkerung ihre Weihnachtseinkäufe mit erledigen könne."
Die Missstände sind schon über ein Jahr bekannt. Auch die DLF-Sportredaktion berichtete bereits darüber. Upadek nennt auch Reaktionen.
"Es gibt inzwischen Müllboote und Kläranlagen an manchen Zuflüssen. Die sind nämlich allesamt nichts als Abwasserkanäle der acht Millionen Metropole. Doch das reicht längst nicht aus. Der Gouverneur sagt immer stolz: Bei der Bewerbung haben wir nur 19 Prozent des Wassers geklärt, das in die Bucht fließt, nun sind es 50 Prozent. Heißt also umgekehrt, die Hälfte des Abwassers fließt immer noch ungeklärt in die Bucht von deren eigentlicher Reinigung spricht man am liebsten gar nicht mehr."
Brasilien steckt tief in der Krise, die Korruption ist bei den Olympia-Baustellen angekommen und die Kosten- und Umweltfragen sind weitgehend offen. So etwas wie Olympia-Vorfreude macht Upadek dennoch aus.
"Das ist natürlich so ein bisschen abhängig davon, welche Leute man fragt: Gehst Du zu den Test-Events hier in Rio, findest Du natürlich Menschen, die sich auf die Spiele freuen. Ich bin aber davon überzeugt, dass sich die Mehrheit inzwischen eher fragt: Was bringt uns das? Für die WM wurden zwölf Stadien für zwei Milliarden Euro neu gebaut oder reformiert – und heute stehen sie weitgehend leer. Der Glauben, dass die Olympischen Spiele Rio ein positives Erbe hinterlassen könnten, fällt vielen ziemlich schwer. Gerade in einer Zeit, in der die Krise so schlimm ist, dass die Krankenhäuser von Rio nur noch Notfälle behandeln und alle anderen Krankenabweisen, weil sie kein Geld mehr haben für Geräte, Medikamente oder Ärzte."
Das vollständige Gespräch können Sie bis mindestens 01. Juli 2016 nachhören.