Alle sind unglücklich mit Yuriko Koike. Nur diejenigen nicht, die sie im Juli zur neuen Bürgermeisterin von Tokio gewählt haben. Ein Erdrutschsieg über den etablierten "Old-Boys-Club", dem ihre beiden Vorgänger angehört hatten. Beide mussten unter Korruptionsverdacht zurücktreten. Yuriko Koike hatte im Wahlkampf versprochen, den Augiasstall auszumisten, sprich: das überlastete Budget der Millionenmetropole zu überprüfen. Dazu gehört Olympia 2020 - ein Investitionssumpf, in das Geld nur so versickert. Ursprünglich sollten die Spiele 700 Milliarden Yen kosten, jetzt ist von 3 Billionen die Rede. In Euro ist das ein Preissprung von 6 auf 27 Milliarden. Koike zog die Reißleine. Sie sagte zum Beginn ihrer Amtszeit: "Bis zum Jahr 2020 haben wir nur noch vier Jahre Zeit. Dies ist die letzte Chance, um innezuhalten und nachzudenken. Als neu gewählte Gouverneurin möchte ich zum Startpunkt zurückkehren und überlegen, was Olympische Spiele eigentlich sein sollen."
Auf jeden Fall billiger sollten sie sein. Doch seltsamerweise ist das sehr schwierig. Als Yuriko Koike noch gar nicht Sicht war, musste Premierminister Abe persönlich die Planungen für das pompöse Nationalstadion stoppen, als die Kosten auf 2 Milliarden Euro geklettert waren. Jetzt klafft dort - mitten in Tokio - eine gewaltige Baulücke, die bis zum Beginn der Spiele mit einer Leichtbauarena gefüllt werden soll.
Niemand trägt die Gesamtverantwortung
Inzwischen hat sich herausgestellt, dass zwar jede Menge Gremien und Behörden im olympischen Sumpf mitrühren, es aber niemanden gibt, der die Gesamtverantwortung für die Kosten trägt. Klar ist nur: Jedes Defizit geht zu 97,5 Prozent zu Lasten der Stadt Tokio - und ihrer neuen Bürgermeisterin Koike, die sagte: "Zu meinen wichtigsten Aufgaben gehört, wie versprochen, die Überprüfung des Budgets. Ich habe das Organisationskomittee der Spiele und die japanische Regierung um Zusammenarbeit gebeten."
Das Organisationskomittee unter dem Vorsitz des ehemaligen Premierministers Mori hatte offenbar alle Ausgaben abgenickt. Nun warnt Mori vor jedweder Änderung, schließlich habe das IOC doch alles genehmigt. Ob es wusste, was es da tat, steht auf einem anderen Blatt. Der Verdacht erhärtet sich, dass sich das IOC - vielleicht sogar wissentlich - von falschen Kostenschätzungen hat täuschen lassen.
So wie bei der haltlosen Behauptung, das Kernkraftwerk Fukushima sei 'unter Kontrolle', könnten die willfährigen Herren in Buenos Aires nach dem Motto 'Augen zu und durch' gehandelt haben. Um die Wogen zu glätten, erklärte IOC-Präsident Thomas Bach nun kürzlich in Tokio: "Ich bin sehr zuversichtlich, dass wir eine sehr signifikante Kostensenkung erreichen."
Empörte Verbände
Der einfachste Weg wäre, auf teure Neubauten zu verzichten. Yuriko Koike hat drei Projekte im Blick: Die Ruder- und Kanu-Strecken in der Tokyo-Bay, einst mit 60 Millionen Euro veranschlagt, jetzt auf 440 Millionen geschätzt, die Schwimm-Arena auf 600 Millionen taxiert, und die Volleyball-Halle auf 350 Millionen. Würde es nicht ausreichen, vorhandene Sportstätten zu renovieren? Die zuständigen Verbände sind empört.
Der Weltruderverband in Gestalt seines Präsidenten Jean-Christophe Rolland stand als erster auf der Matte. Er sei nicht bereit, auf die neue Strecke zu verzichten. Am Dienstag dieser Woche besuchte der internationale Schwimm-Funktionär Marculescu die Bürgermeisterin und verlangte, dass es beim geplanten 'Aquatic Center' bleibe. Begründung: Es werde nicht nur für 2020 von Bedeutung sein, sondern ein Vermächtnis für künftige internationale Schwimmwettbewerbe. Kein Wort darüber, dass dieses 'Vermächtnis' offenbar viel zu groß ausfallen würde und nicht weit von vorhandenen Schwimmzentrum liegt.
Tags drauf meldete sich der japanische Volleyballverband. Er sei überzeugt von der absoluten Notwendigkeit der neuen Arena, ließ sich der Top-Funktionär Kawabuchi vernehmen, einer Arena, Zitat, 'mit der wir uns vor der Welt brüsten können'. Kurzum: Keiner will zurückstecken. IOC-Boss Bach, eben noch scheinbar einsichtig, warnte die Gouverneurin: "Tokio und Japan haben den Zuschlag für die Spiele bekommen, weil sie ein sehr überzeugendes Konzept vorgelegt haben. Wir werden die Spielregeln nach der Entscheidung nicht ändern."
Pläne schon eingestampft
Die Spielregeln sind allerdings schon längst geändert. Von dem Plan, mit dem Japan vor drei Jahren in Buenos Aires beeindruckt hatte, ist kaum noch etwas übrig. Es sollten die Spiele der kurzen Wege sein - mit 85 Prozent aller Sportstätten in einem Radius von 8 Kilometern um das Olympische Dorf. Von wegen. Schon 2014 wurden die Pläne für Badminton, Basketball und Segeln eingestampft, auch für Taekwondo und Bahnradfahren werden vorhandene Stadien genutzt, die zum Teil weit von Tokio entfernt liegen.
Gegen die neue, teure Ruderstrecke gab es schon lange Proteste von Vogelschützern, weil sie ein Biotop zerstört. Nun könnten die Wettbewerbe entweder um 400 Kilometer nach Norden verlegt werden, wo es bereits Anlagen dafür gibt, oder ganz raus aus Japan - nach Südkorea. Der Austragungsort im Norden Japans hätte für Yuriko Koike einen besonderen Charme, denn er liegt im Katastrophengebiet des Tsunamis von 2011: !Wenn die Olympischen Spiele auch in den Katastrophengebieten von 2011 stattfinden, dient das allen Japanern als Hoffnungsschimmer."
Die Notunterkünfte für die Tsunami-Opfer könnten für die Athleten genutzt werden. Das wäre eine bedeutende Botschaft an die Welt. Thomas Bach hätte noch nicht einmal etwas dagegen, sagt er. Vielleicht hat das IOC gemerkt, dass sein Motto 'schneller, höher, stärker' überholt ist, weil es kaum noch Städte gibt, die sich für das Spektakel Olympischer Spiele dauerhaft in Schulden stürzen wollen.
Nun wartet alles auf die Streichliste der Gouverneurin. Bis Jahresende soll sie vorliegen. Mit einem charmanten Lächeln hat Yuriko Koike den Streit vorerst vertagt: "Wir lernen zusammen mit dem IOC, um die Olympischen Spiele 2020 zum Erfolg zu führen."
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