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Olympische Winterspiele in Sotschi
"Die Sportler bilden sich selbst eine Meinung"

Die Menschenrechtssituation in Russland solle auch nach Beendigung der Olympischen Spiele im Blick behalten werden, mahnt Christian Breuer, Vorsitzender der Athletenkommission im Deutschen Olympischen Sportbund. Von den teilnehmenden Sportlern dürfe man jedoch keinen Boykott verlangen.

Christian Breuer im Gespräch mit Mario Dobovisek |
    Mario Dobovisek: Enteignungen, nahezu grenzenlose Überwachung, Menschenrechtsverletzungen, zum Beispiel Reform des offen ausgelebten Hasses gegen Homosexuelle - im Februar beginnen die Olympischen Winterspiele von Sotschi, doch sie stehen im Schatten der Kritik an Russland.
    Die Olympischen Winterspiele in Sotschi finden statt, und zwar ohne den Bundespräsidenten, denn Joachim Gauck ließ gestern bestätigen, er werde nicht nach Russland reisen. Viele sehen in seinem Boykott eine "wunderbare Geste" wie Markus Löning, der Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung. Andere spielen es herunter und sagen, Gauck hätte ohnehin nicht vor gehabt, nach Sotschi zu reisen. Wie dem auch sei: Am Telefon begrüße ich Christian Breuer. Er ist Vorsitzender der Athletenkommission im Deutschen Olympischen Sportbund, sozusagen die Stimme der Sportler, selbst 15-facher deutscher Meister im Eisschnelllauf, Teilnehmer an den Olympischen Spielen von Nagano und Salt Lake City. Guten Morgen, Herr Breuer!
    Christian Breuer: Guten Morgen!
    Dobovisek: Was bedeutet aktiven Sportlern bei Wettkämpfen wie Olympia die Unterstützung aus der Heimat, auch durch den Besuch von Kanzler und Bundespräsident?
    Breuer: Ja, natürlich ist es von großer Bedeutung, dass man die Unterstützung erfährt. Bei den Wettkämpfen und auch in der Vorbereitung ist es natürlich so, dass wir sicherlich nicht die Möglichkeit haben, oder jeder Sportler die Möglichkeit hat, den Kontakt zu finden zu dem jeweiligen Repräsentanten, sei es Bundespräsident oder Bundeskanzlerin. Aber dennoch ist es natürlich eine große Unterstützung, die wir dann erfahren.
    Dobovisek: Und zumindest die Unterstützung des Bundespräsidenten, die wird in Sotschi fehlen. Können Sie ihn nachvollziehen?
    Breuer: Ich glaube, er wird von zuhause aus die Daumen drücken. Aber ich glaube, man muss es schon so betrachten, wie es ist, dass er einen Termin nicht wahrnimmt, der ihm "angeboten" worden ist, beziehungsweise man gewünscht hat, dass er kommt. Ich glaube, ihm das Wort Boykott in den Mund zu legen, ist ein bisschen weit. Das kann ein Bundespräsident, wenn er etwas boykottieren möchte, dann doch selber tun. Er boykottiert nichts, er hat diesen Termin nie in seinem Kalender gehabt. Das sehe ich auch so. Auf der anderen Seite setzt er natürlich trotzdem ein Zeichen, indem er auch nicht kurzfristig entscheidet zu kommen.
    "Die Sportler bilden sich selbst eine Meinung"
    Dobovisek: Wie setzen sich Sportler denn mit politischen Situationen im Gastland auseinander, zum Beispiel mit den vorgeworfenen Menschenrechtsverletzungen in Russland?
    Breuer: Ja natürlich! Die Sportler werden damit konfrontiert im Vorfeld, sie setzen sich damit auseinander, viele, nicht alle. Man darf auch nicht verlangen, dass jeder auf einmal sich genau mit diesen Themen beschäftigen möchte, und einfach sagt, ich möchte mich auf den Sport konzentrieren. Die Fälle haben wir auch, logischerweise.
    Aber dennoch: die Sportler werden allein schon deswegen, weil sie nominiert werden für die Mannschaft, damit konfrontiert, auch durch die Medien, und bereiten sich dementsprechend vor und sind interessiert und haben dann natürlich auch eine Meinung dazu. Ich glaube, das ist das, was ich auch schätze an unseren Sportlern, dass sie sich selber eine Meinung bilden und versuchen, dieses Bild, was sie sich vorher schaffen, abzugleichen mit den Situationen, die sie dann vorfinden dort vor Ort.
    Dobovisek: Sich eine eigene Meinung zu bilden, ist das eine; sie dann tatsächlich öffentlich zu äußern, das andere, gerade in Russland, wenn die Meinungsfreiheit in Gefahr ist. Wie sollen Sportler Ihrer Meinung nach damit umgehen?
    Breuer: Ich glaube, man darf hier die Sportler nicht überfordern. Das haben wir auch schon in Peking erlebt. Die Sportler sind nicht verantwortlich dafür, wo die Spiele ausgetragen werden, die aktiven. Ich glaube, man darf ihnen nicht zu viel abverlangen, denn sie kommen dorthin und fahren dorthin für ihre sportliche Leistung in erster Linie. In zweiter Linie werden sie die Möglichkeiten und Gelegenheiten nutzen, wenn sie denn möchten, um sich zu äußern beziehungsweise auch vielleicht Bilder hier und da zu machen und ins Internet zu stellen. Das ist ja nicht verboten, das kann auch nicht verboten sein. Ich glaube, sie werden die Chancen, die sie haben, wenn sie möchten, nutzen. Aber bitte: Man sollte den Sportlern nicht zu viel abverlangen, denn ich glaube, da haben wir ganz andere Leute für, sowohl im Auswärtigen Amt als auch in anderen Positionen, die genau dafür gewählt worden sind oder auch bezahlt werden.
    Dobovisek: Nun sagt das Auswärtige Amt ja gerade, dass auch Ausländern bei Weitergabe von Informationen, öffentlichen Demonstrationen und Unterstützung von Homosexualität Geldstrafen in Höhe von bis zu 2.300 Euro drohen, bis zu 15 Tagen Haft und sogar die Ausweisung. Es ist also sehr konkret als Gefahr. Wie schätzen Sie das für die Sportler ein?
    Breuer: Ich gehe davon aus und ich bezweifele auch, dass ein Sportler des Landes verwiesen wird, wenn er sich zu diesem Gesetz äußert. Wie der Fall dann aussieht, wenn man da an einer Demonstration, falls sie denn stattfinden sollte, teilnimmt oder Ähnliches, das ist eine andere Frage. Aber natürlich erhalten oder haben die Sportler auch einen, ich sage mal, besonderen Schutz durch eine Akkreditierung, was aber nicht heißen soll, dass das eine Meinungsfreiheit der Sportler dadurch unterdrückt. In meinen Augen ist es so, dass es viel, viel wichtiger ist, nach den Spielen - jetzt haben wir alle die Aufmerksamkeit in Richtung Sotschi gelenkt -, nach den Spielen das Thema weiter zu verfolgen, und da bin ich wiederum gespannt. Ich habe es nach Peking erlebt, wie schnell auch diese Themen wieder versickern. Da bin ich gespannt, inwieweit dieses Thema aufrecht erhalten bleibt in unserer Öffentlichkeit, auch in Deutschland, um dort eine Meinung zu bilden in Richtung Russland.
    "Mehr auf die Sportlerstimmen hören"
    Dobovisek: Ist das vielleicht auch ein Hinweis in Richtung Internationales Olympisches Komitee, sprich auch ein Hinweis auf die Vergabe zukünftiger Spiele?
    Breuer: Das haben Sportler zurecht auch immer kritisiert, dass Spiele vergeben werden, wo man nicht unbedingt der Meinung sein muss, dass man da die Sportlerstimme gehört hat. Aber man kann auch nicht immer die Entwicklung eines Landes sieben Jahre voraussehen und ich glaube, die Kriterien, wie sie vergeben werden, messen sich dann an anderen Maßstäben. Aber ich glaube, dass ein großes Kriterium auch in Zukunft sein muss, eines der Hauptkriterien, inwieweit dieses Land den demokratischen Gepflogenheiten, die wir so kennen, in dem Sinne auch entspricht, und das ist die Frage, inwieweit das IOC das aufnehmen wird. Ich wünsche es mir, denn das gehört auch zu dieser Welt des Sports dazu, weil wir sind nun mal eine Völkerverständigung. Die Sportler reisen 250 Tage im Jahr zusammen durch die Welt, egal welche Nationalität, und das darf sich auch ruhig widerspiegeln in der Auswahl der Orte, zu denen wir dann reisen oder hoffentlich reisen werden als Olympiateilnehmer.
    Christian Breuer, heute Athletensprecher des DOSB, in seiner aktiven Zeit
    Christian Breuer, heute Athletensprecher des DOSB, in seiner aktiven Zeit (picture alliance / dpa - Franz-Peter Tschauner)
    Dobovisek: Christian Breuer, Vorsitzender der Athletenkommission im Deutschen Olympischen Sportbund. Bundespräsident Joachim Gauck will nicht zu den Olympischen Winterspielen nach Sotschi reisen. Ich danke Ihnen für das Gespräch!
    Breuer: Ja, vielen Dank!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.