Martin Schläpfers Choreografie zu Mozarts "g-Moll-Sinfonie" ist kein schlechtes Stück geworden, aber es ist nicht ausreichend geprobt. Im ersten Satz sind sich die Tänzer häufiger musikalisch nicht einig. Wahnsinnig schnelle Unisono-Passagen wirken aber schrecklich, wenn Unstimmigkeiten das Bild zerstören. Das Bühnenbild ist in einer blau ausgeleuchteten Empore hinter der Szene, in der kopflose Kostümständer kostbare Roben tragen. Später fährt diese Empore herunter und auch die einzelnen Puppen fahren umher. Doch das wirkt eher unmotiviert als geisterhaft. Dem zu rasanten Spitzentanz steht das etwas neckische Gebaren der Barfüßigen gegenüber. Am unbefangensten wirkt Schläpfers Tanz noch in den Soli und Duetten. Aber so schön manche Passagen sind, so wenig eindrücklich rauscht diese Mozart-Choreografie vorbei.
Die zweite Uraufführung des Abends hat die Schweizerin Brigitta Luisa Merki entworfen. Ihr eigenes Flamenco-Ensemble, sagenhafte Musiker und Tänzer hat sie hierfür zusammengegeben mit Mitgliedern des Ballett am Rhein. So kann sie ihren sehr eigenen Stil, eine Vermischung traditioneller Flamenco-Elemente mit zeitgenössischem Tanz als Begegnung unterschiedlicher Tanzkulturen inszenieren und die Idiome sogar wieder aufspalten und auf Individuen verteilen. Das macht ihr Stück, bei dem die Musiker hinter den Tänzern auf der Bühne sitzen, so anschaulich, und überraschend ungekünstelt in der Wirkung. Denn jeder der Beteiligten macht nur das, was er mit Überzeugung authentisch ausführen kann. Wenn man aus Merkis Schweizer Flamenco-Fusion keine Thesen über den Tanz der Gegenwart ableitet und "Adonde vas, Siguiryia?", - "Wohin gehst Du, Mädchen?" einfach gebannt folgt, erlebt man eine fabelhafte halbe Stunde in einer fremden Welt. Man kann gar nicht anders als sich dem kehligen, klagenden Gesang zu ergeben, den dahinbretternden Gitarren, dem stakkatohaften Absatz-Feuer der Männer, über denen das Testosteron in der Bühnenluft steht wie ein summender Bienenschwarm über einer Sommerwiese. Ja, irgendwie ist das alles das Klischee seiner selbst, aber schön ist es doch.
Gut, dass es Pausen gibt, denn sonst würde man in Mats Eks anschließendem Stück "Rättika", "Rettich" dastehen wie Marsmenschen, die in der Philharmonie gelandet sind. Man braucht die 20 Minuten Stimmengewirr im Foyer wie die Schiefertafel den Schwamm.
Mats Ek lässt uns über die eigene Torheit lachen
Denn mit dem Konzert für Violine und Orchester D-Dur opus 77 von Johannes Brahms schließt der Abend mit einem musikalisch absolut hinreißenden Ereignis, das die volle Konzentration verlangen darf. Marc Bouchkov als Solist entlockt seinem Instrument eine solche Süße, eine solche Zartheit in der Intensität, dass man es kaum glauben kann. Eins wird dieser Gesang der Violine mit dem von Marc Piollet zu unglaublicher Klangschönheit geführten Spiel der Düsseldorfer Symphoniker. Und dazu nun Mats Eks sperrige, kobolzige Tanzsprache, denkt man anfangs bang, seine kuriosen Begegnungen zwischen Mann und Frau, seine wichtelhaft über den Boden wischenden Armbewegungen, seine in tiefem Plié-Schritt wackelnden Popos? Aber siehe da, so sinfonisch antwortet der bald 70-Jährige auf den Brahms, mit solchem Ernst und tiefer Bewegungsfreude, dass pures Glück das Ergebnis ist. In Grand Jetés fliegt das in zauberhafte Erd- und Blumenfarben gekleidete Ensemble über die Bühne. Überhaupt ist alle Bewegung hier groß, weit, innig und frei.
Das eine ist, wie es Ek gelingt, dem Dahinschmelzen in einer Musik tänzerischen Ausdruck zu verleihen. Das andere ist, wie dieser schwedische Skeptiker und späte Nachfolger Ingmar Bergmanns gleichwohl zeigt, dass der Mensch nicht gemacht ist, in diesen Sphären des musikalisch Schönen und Wahren dauerhaft zu leben. Weit entfernt davon. Darum ist paradoxerweise "Rättika" so realistisch wie surreal, wenn etwa Tänzerinnen auf dem Po über den Boden rutschen und Stoffrettiche über der Szenerie schweben. Mats Ek lässt uns Brahms neu hören und über unsere eigene Torheit lachen. Was mehr könnte man verlangen von einem Choreografen?