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Orientalische Christen
Massenexodus aus dem Irak und Syrien

Vor 100 Jahren war noch jeder fünfte Bewohner des Orients Christ, heute sind es nur noch maximal fünf Prozent. Grund dafür sind vor allem die Kriege, an denen radikale Gruppierungen wie der Islamische Staat (IS) im Irak beteiligt sind. Die IS hat das Miteinander der Minderheiten in einem muslimisch geprägten Land zerstört.

Von Ulrich Pick |
    Christen und kurdische Jesiden auf der Flucht im Nordirak
    Christen und kurdische Jesiden auf der Flucht im Nordirak (Marwan Ibrahim / AFP)
    Bislang war der Irak ein Mosaik unterschiedlicher ethnischer und religiöser Gruppierungen. Das brutale Vorgehen der Terrorgruppe Islamischer Staat hat dieses Miteinander zerstört.
    "Erstmals nach 2000 Jahren, erstmals gibt es keinen Gottesdienst in Mossul. Erstmals singt niemand Vater unser in Mossul. Das ist ein kultureller Genozid."
    Erzdiakon Emanuel Youkhana kommt aus Dohuk im nordirakischen Kurdengebiet. Für den Geistlichen der Assyrischen Kirche des Ostens ist die momentane Situation der Christen im Irak weit schlimmer als zur Zeit der ersten Fluchtwelle im Jahr 2008. Denn die Kämpfer des Islamischen Staates, so sagt er, kennten kein Pardon:
    "Für Jesiden und Christen ist es die schlechteste Zeit seit ein paar hundert Jahren: Sie sagen zu den christlichen Familien, dass sie entweder konvertieren zum Islam oder die werden ermordet oder sie müssen fliehen."
    Seit Sturz Saddam Husseins fliehen Christen massenweise
    Rund drei Viertel aller Christen haben inzwischen den Irak verlassen. Lebten im Jahr 2003, als die Amerikaner Saddam Hussein stürzten, noch 1,5 Millionen Christen an Euphrat und Tigris, sind es heute nach Schätzungen der dortigen Kirchen nur noch 300.000 bis 400.000. Dabei sind viele von jenen, die sich noch im Land befinden, bereits zum wiederholten Mal auf der Flucht. Man müsse befürchten, sagt Matthias Vogt von der katholischen Hilfsorganisation Missio, dass sie auf absehbare Zeit nicht mehr in ihre angestammten Wohnorte zurückkönnen:
    "Vielen waren vor einigen Jahren schon aus dem Süden, aus Bagdad, geflohen, hatten Zuflucht gefunden in den Dörfern der Ninive-Ebene. Und eben diese Dörfer und Ortschaften sind jetzt erneut von den Kämpfern vom Islamischen Staat überrannt worden. Die Christen mussten fliehen, sind zum großen Teil in Erbil oder in Dohuk, ganz im Norden in der kurdischen Region in der Nähe zur türkischen Grenze und hoffen darauf, dass sie versorgt werden mit Lebensmittel, Decken und so weiter."
    Vier religiöse Minderheiten neben dem Islam
    Bislang bildete die irakische Bevölkerung eine Art Mosaik aus unterschiedlichen ethnischen und religiösen Gruppierungen. Die seit mehreren Jahren anhaltenden Kämpfe zwischen sunnitischen und schiitischen Muslimen, vor allem aber das jetzige brutale Vorgehen der sunnitischen Terrorgruppe Islamischer Staat haben dieses Miteinander nachhaltig zerstört. Die Folge sei, so befürchtet Emanuel Youkhana, dass es für die Minderheiten im Irak kaum noch Platz geben werde:
    "Im Irak gibt es vier religiöse Minderheiten vor dem Islam: Juden, Mandäer, und dann Jesiden und natürlich auch Christen. Von den Juden gibt's noch ein paar Familien. Von den Mandäern gibt es ein paar Tausend. Die große Frage: Was kommt nachher für die Jesiden und für die Christen?"
    Christliche Bräuche gehen verloren
    Dass inzwischen drei Viertel der irakischen Christen aus ihrem Heimatland geflohen sind, zieht erhebliche soziale und kulturelle Folgen nach sich: Zum einen wird durch den Exodus der Einfluss und die gesellschaftliche Position derjenigen Christen, die nach wie vor im Land sind, weiter geschwächt. Zum anderen drohen Jahrhunderte alte Gebräuche und Sprachen der orientalischen Christen verloren zu gehen. Dies dürfte vor allem für das alte Aramäisch gelten, jene Sprache, die Jesus selbst gesprochen haben soll und die noch immer von vielen irakischen Christen gesprochen wird. Im Ausland, sagt Raad Sana, der Mitglied der chaldäisch-katholischen Kirche ist und jetzt im rheinland-pfälzischen Bad Kreuznach lebt, werde das Aramäische aussterben:
    "Meine Kinder, sie reden noch meine Muttersprache. Aber meine Kinder zusammen, sie reden Deutsch. Und nachher, nach zehn Jahren, zwanzig Jahren kriegen sie auch Kinder, aber sie reden nur Deutsch. Und unsere Sprache geht langsam, langsam weg."
    Ein Drittel syrischer Christen lebt im Exil
    Auch in Syrien geht die Zahl der Christen spürbar zurück. Bis vor dreieinhalb Jahren, als der Bürgerkrieg begann, machten die Christen knapp zehn Prozent der 22 Millionen Einwohner zählenden Bevölkerung aus. Inzwischen hat nach Angaben von christlichen Hilfswerken rund ein Drittel von ihnen das Land verlassen. Exakte Informationen über ihre derzeitige Situation sind schwer zu bekommen, zumal die Lage in Syrien sehr unterschiedlich ist. Während Christen im Norden um die Stadt Aleppo herum aufgrund des Vorrückens der Terrorgruppe Islamischer Staat weiterhin gezwungen sind zu fliehen, gibt es im Gebiet um Homs, das wieder von Assads Truppen kontrolliert wird, kleine Verbesserungen, berichtet Matthias Vogt:
    "Viele Christen – jedenfalls in der Kirchenführung – begrüßen, dass Assad in vielen Teilen Gelände zurückgewinnt und sie dort einigermaßen sicher leben können. Und uns wird berichtet, dass nicht wenige Christen in ihre Städte und Dörfer unter Regierungskontrolle in den letzten Wochen und Monaten zurückgegangen sind."
    Doch insgesamt leben nach Angaben der katholischen Hilfsorganisation Kirche in Not von den weltweit 35 Millionen Christen, deren Muttersprache Arabisch ist, bereits 20 Millionen im Exil und nur noch 15 Millionen im Orient. Gemeinsam ist vielen von ihnen ein Gefühl der Heimatlosigkeit. Sie säßen, sagt Bischof Isaak Barakat, der Anfang des Jahres aus der syrischen Hauptstadt Damaskus nach Köln kam, letztlich zwischen allen Stühlen:
    "Im Nahen Osten sagen sie: Sie sind Ausländer, sie sind Christen! Und wenn wir nach Europa kommen, sagen sie: Sie kommen aus dem Nahen Osten. Sie sind Muslime! So bezahlen wir doppelt. Hier und auch dort."