Archiv

Ost-Ukraine
Herrenlose Dörfer im Visier

Sowohl die Ukraine als auch die pro-russischen Donezker Rebellen legen ihr Augenmerk auf bisher nicht kontrollierte Dörfer wie etwa Kominternowo. Dadurch rücken sich die Kriegsparteien wieder gefährlich nahe und es kommt zu schwerem Beschuss. Die Beobachter der OSZE werden bei ihrer Aufklärungsarbeit insbesondere von den pro-russischen Rebellen behindert.

Von Jan Pallokat |
    OSZE-Patrouille in der Region Donzek (Ost-Ukraine) am 26.12.2015.
    OSZE-Patrouille: Behinderung der Beobachter. (picture alliance / dpa / Sergey Averin)
    Monatelang lag das Dorf Kominternowo im Niemandsland inmitten der ost-ukrainischen Front, weder von der Ukraine noch von den Separatisten kontrolliert, abgeschnitten von Lebensmittel-, Wasser- und Energieversorgung. Doch die Staatslosigkeit bot auch Vorteile, die Kriegsparteien beschossen sich anderswo, etwa im lange schwer umkämpften Küstenort Schirokyne ganz in der Nähe, heute eine komplett zerstörte Geisterstadt voller Minen. Über Kominternowo aber, dem Niemandsdorf, flogen die Geschosse sozusagen hinweg. Doch seit dem 22. Dezember ist alles anders.
    "Ein Soldat hat mir das Geheimnis verraten. Sie kamen schon am Abend und versteckten sich in einem Keller. Und in aller Frühe kamen sie dann raus. Ich bin an dem Tag vor Sonnenaufgang nach Mariupol gefahren, ich habe da Dienstags und Samstags Kunden auf dem Markt. Ich habe nichts bemerkt, bekam aber dann einen Anruf der Verwandten, dass im Dorf Chaos herrscht. Es gab gepanzerte Fahrzeuge und Kämpfer ohne Abzeichen; jetzt freilich tragen sie die Abzeichen der Republik Donezk und Neu-Russlands."
    Kriegsparteien nutzen fragile Waffenruhe
    Eduard Basurin, einer der Chef-Kommandeure der Donezker Rebellen, will freilich nicht von Eroberung sprechen.
    "Dieses Dorf wird nicht von uns kontrolliert, sondern beobachtet. Das muss man trennen. Und es ist erst passiert, nachdem die Ukraine alle umliegenden Dörfer erobert hat."
    Tatsächlich nutzen beide Kriegsparteien die fragile Waffenruhe, um herrenlose Dörfer einzusammeln. Internationale Beobachter sehen das mit Sorge, da sich so Kämpfer beider Seiten wieder bedrohlich naherücken. Auch im Dorf Kominternowo kam es schließlich, wie es wohl kommen musste: Am vergangenen Donnerstag geriet der Ort unter schweres Artilleriefeuer. Eine Anwohnerin zeigt den Propellerantrieb und Schrappnell eines Geschosses größeren Kalibers, wohl 120 Millimeter. Es sind panzerbrechende Waffen, die hier offenbar zum Einsatz kamen. Ein Wunder, dass es keine Toten gab.
    "Das kam hier runter, es hat jemand gefunden. Meine Tochter ist 13 und kennt sich schon besser aus mit solchen Geschossen als ich."
    Tags darauf zieht eine Patrouille der internationalen OSZE-Beobachtermission ein im Dorf mit ihren Schutzwesten und moderner Technik. Bereitwillig zeigen die neuen Herren im Dorf die Schäden; das russische Fernsehen befragt die Kommandeure der Separatisten. Doch die Beobachter der OSZE interessiert nicht nur, womit und woher geschossen wurde. Sie wollen auch herausfinden warum. Hinweise aus dem Dorf deuten daraufhin, dass in viele der beschossenen Häuser Soldaten einquartiert worden waren.
    Patrouille der OSZE wird behindert
    Vor allem ein helles Gebäude wird genannt, dass einen seitlichen Treffer abbekommen hat. Ein Waffendepot? Als Hug und seine Männer hinein wollen, endet die Kooperationsbereitschaft der Rebellen plötzlich.
    Vermummte Kämpfer mit Kalaschnikows versperren den Weg. Hug ruft Rebellenkommandeur Basurin an; der erscheint betont langsam im Armeejeep.
    Aus Sicherheitsgründen sei der Zutritt versperrt, versichert der Rebellenkommandeur. Im Haus lägen möglicherweise Minen. Hug aber kennt das schon und lässt sich nicht abwimmeln.
    - "Nach der Vereinbarung von Minsk sind sie verpflichtet, uns Zugang zu gewähren. Ihre Gründe interessieren mich nicht."
    - "Noch mal, hier könnten Minen liegen."
    - "Dann prüfen Sie das nun."
    - "Wir haben hier keine Minenräumer."
    - "Dann holen Sie sie her. Sie haben die Verpflichtung, uns Zutritt zu gewähren. Sie haben diese verletzt."
    - "Ihr Problem."
    Sagt es und springt wieder in den Armeejeep. OSZE-Mann Hug aber wird einmal mehr zu Protokoll geben, dass die Mission an ihrer Arbeit massiv behindert wurde. Solche Hinweise machen inzwischen einen guten Teil der täglichen Lageberichte der Mission aus. Die meisten dieser Vorfälle verantworten die pro-russischen Rebellen.